Israel

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Hardliner oder Versöhner? Beobachter tun sich schwer, Naftali Bennett richtig einzuschätzen. Foto: Flash 90

Kaum war Naftali Bennett am Sonntagabend von der Knesset mit hauchdünner Mehrheit zum neuen israelischen Premierminister gewählt worden, da markierten ihn die Tagesthemen in der ARD bereits als »ultranationalistisch«. Mit dieser harten Klassifizierung werden radikale Politiker etikettiert, die rücksichtslos extreme Ziele verfolgen. Naftali Bennett ist gegen einen weiteren palästinensischen Staat neben Jordanien und befürwortet stattdessen die Annexion von Teilen des seit 1967 von Israel besetzten Westjordanlandes.

Hier ist Vergleichbarkeit angebracht. Seit 1945 hat Russland, einst die Sowjet­union, Ostpreußen besetzt und später annektiert. Polen ist mit Oberschlesien ähnlich verfahren. Brandmarken die ARD oder andere Medien deshalb die Regierungen in Moskau oder Warschau als »ultranationalistisch«? Israel ist von einer Reihe Staaten umgeben, deren Monarchien, Militär- oder Religionsdiktaturen nach deutschen Maßstäben weder als demokratisch noch als stabil bezeichnet werden können.

doppelter standard Dennoch werden Ägypten und Jordanien als »moderat« definiert. Als »moderat« gelten auch der iranische Präsident Rohani und sein Außenminister Zarif. Dieser Tage hat ein Kommentator der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« Jerusalem vorgeworfen, sich gegenüber Iran kompromisslos zu verhalten. Der Autor vergaß zu erwähnen, dass das Mullah-Regime die Vernichtung Israels anstrebt, ein atomares Aufrüstungsprogramm betreibt und Terrororganisationen in Gaza, Libanon, Syrien mit Waffen und Geld unterstützt und zum Krieg gegen Israel aufstachelt. Das ist doppelter Standard.

Es ist angebracht, dass sich jene, die sich mit Israel und seinen Politikern auseinandersetzen, unvoreingenommen Gedanken machen, welche Zeichen sie Menschen, darunter Israelis und Juden, aufstempeln. Sie sollten überlegen, woher ihr Bedürfnis rührt, einen Staat und seine Entscheidungsträger zu stigmatisieren. Dass es auch Europäer und Israelis gibt, die Bennett oder Netanjahu als ultranatio­nalistisch, ja, als faschistisch einstufen, ist kein Freibrief. In Israel herrscht Meinungsfreiheit. Dummheit und Ungenauigkeit sind grenzenlos.

Verlassen wir die schrille Begleitmusik in der Knesset und in ausländischen und manchen israelischen Medien. Wenden wir uns stattdessen einer sachlichen Einschätzung der Wahl der neuen Regierung in Jerusalem zu. Dass diese Koalition und ihr erster Ministerpräsident möglich wurden, haben die meisten Israelis zunächst für unwahrscheinlich gehalten. Auch Benjamin Netanjahu.

Dummheit und Ungenauigkeit sind grenzenlos.

Der 71-Jährige ist Israels begabtester Politiker, ein hervorragender Redner, abwägend und durchsetzungsstark. Dies bewies er zuletzt, als er Israels Bevölkerung weltweit am effektivsten gegen das Coronavirus impfen ließ und auf diese Weise vielen Menschen das Leben rettete. Doch Bibi hat eine Eigenschaft, die viele seiner Talente und Erfolge zunichtemacht. Er begnügt sich nicht mit dem Wissen um seine Klugheit und gibt sich nicht bescheiden, wie Angela Merkel das tut. Netanjahu lässt andere seine Überlegenheit allzu oft spüren. Das mag man nirgends.

jasager So nimmt es nicht wunder, dass einstige enge Mitarbeiter Netanjahus wie Naftali Bennett, Gideon Saar oder Avigdor Lieberman sich von ihrem ehemaligen Chef abwandten und eigene Parteien gründeten, die sich in Konkurrenz zum Rekordpremier begaben und Wähler von dessen Likud abzogen. In der Partei verblieben weitgehend Jasager – was ihre Attraktivität verkleinerte. Doch Netanjahu wollte die Zeichen der Zeit nicht erkennen und konzentrierte sich auf die Außenpolitik. Hier konnte er zweifellos Verständigungserfolge in der arabischen Welt verbuchen.

Gegenüber dem wichtigsten Verbündeten USA aber beging Netanjahu einen strategischen Fehler. Er arrangierte sich mit dem ihm nahestehenden Donald Trump und vernachlässigte die nunmehr regierenden Demokraten. Sein innenpolitisches Manko: Netanjahu verbündete sich mit den religiösen Parteien, die beim Rest der Israelis herzlich unbeliebt sind, weil viele »Religiöse« Transfergelder beziehen und obendrein keinen Wehrdienst leisten.

Diese unbelehrbare Politik kostete Netanjahu die Mehrheit. Das war die Voraussetzung für das Zustandekommen einer breiten heterogenen Koalition unter Führung des Liberalen Yair Lapid. Neben dessen Zukunftspartei gehören dem neuen Regierungsbündnis rechte und Siedler-Gruppen, außer Bennetts »Rechter« auch die Partei des ehemaligen Likud-Politikers Gideon Saar, die russische Klientelpartei Liebermans, die wiedererwachte Arbeitspartei und die linke Friedenspartei Meretz an.

raam-partei Bedingung für das neue Regierungsbündnis waren zwei Umstände. Obgleich seine Zukunftspartei dreimal so viele Stimmen wie Bennetts Partei errang, erklärte sich Lapid bereit, seinen Freund Bennett die ersten zwei Jahre als Regierungschef zu akzeptieren. Den Ausschlag für das Gelingen gab die Teilnahme der islamistischen Raam-Partei. Deren Vorsitzender Mansour Abbas ist Pragmatiker. Er will die Lebensbedingungen der israelischen Araber verbessern, statt eherne Prinzipien zu verkünden.

Damit beteiligt sich erstmals eine arabische Partei an einer israelischen Regierung. Das könnte ein erster Schritt in Richtung auf eine Verständigung beider Volksgruppen sein. Ultranationalismus ist mit dieser Konstellation weder beabsichtigt noch möglich. Das malt man sich vielmehr in Europa aus.

Der Autor ist Politologe, Publizist und Schriftsteller. Zuletzt erschienen: »Hannah und Ludwig. Heimatlos in Tel Aviv«

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