Die Menschen auf der Bühne trugen orangefarbene T-Shirts, orangefarbene Luftballons wurden in den Abendhimmel geschickt. Es ist der zweite Geburtstag des kleinen israelischen Jungen Kfir Bibas. Doch niemand feierte hier. Die Menschen weinten. Denn Kfir mit den leuchtend roten Haaren ist die jüngste Geisel, die von der Hamas nach mehr als 15 Monaten noch immer in Gaza festgehalten wird. Weniger als 24 Stunden vor der angekündigten Freilassung der ersten Geiseln aus der Hölle hält ganz Israel den Atem an.
Bis in die Abendstunden hatte die Terrororganisation die Namen der entsprechend der Vereinbarung freizulassen Geiseln noch nicht bekannt gegeben. Am Sonntagnachmittag sollen drei Zivilistinnen nach Hause zurückkehren dürfen. Doch noch weiß niemand, wer es sein wird. Die Nerven der Angehörigen liegen völlig blank, und das ganze Volk bangt mit ihnen.
Im ganzen Land forderten Tausende die Rückgabe der festgehaltenen israelischen Geiseln. Auf dem Platz der Geiseln in Tel Aviv breiteten die Menschen ein überdimensionales Banner aus. Darauf zu sehen war der kleine rothaarige Kfir, mit seinem zahnlosen Babylächeln, in der Hand einen pinkfarbenen Plüschelefanten.
Die Bibas-Familie steht komplett auf der Liste der ersten Phase
Er war gerade einmal neun Monate als, als er auf grausamste Weise während des Massakers der Hamas am 7. Oktober 2023 aus seinem Haus verschleppt wurde. Zusammen mit seiner Mutter Shiri und dem fünfjährigen Bruder Ariel, schwer bewaffnete Terroristen um sie herum. Der Vater Yarden wurde ebenfalls von der Hamas entführt und dabei verletzt.
Bei dem verheerenden Überfall der Hamas wurden mehr als 1200 Menschen ermordet, die meisten von ihnen Zivilisten, und 251 Geiseln nach Gaza verschleppt. Darunter viele Kinder. Die beiden Bibas-Kinder sind die einzigen Minderjährigen, die noch festgehalten werden.
Die Bibas-Familie steht komplett auf der Liste der 33 Geiseln, die während der ersten Phase des Deals befreit werden sollen. Allerdings ist noch immer nicht bekannt, ob Shiri, Ariel und Kfir noch leben. Es ist eins der tragischsten Kapitel dieses grauenvollen Geschehens, das die Israelis besonders bewegt. Angehörige bestätigten mehrfach, dass sie in 15 Monaten von den beiden Kindern und ihrer Mutter kein einziges Lebenszeichen erhalten haben. Die Hamas hatte kurz nach Ausbruch des Krieges erklärt, dass Shiri Bibas und ihre beiden Kinder bei einem Angriff der israelischen Armee getötet wurden, doch die IDF bestätigte dies nie.
»Wir schicken eine Botschaft an ein Kind, das nicht feiern kann. Ein Kind, das in der Hölle gefangen ist.«
»Wir schicken eine Botschaft an ein Kind, das nicht feiern kann. Ein Kind, das nicht hier ist. Ein Kind, das in der Hölle gefangen ist. Ein Kind, das vielleicht nicht mehr am Leben ist«, sagte Ofri Bibas-Levy, die Schwester von Yarden Bibas, auf der Bühne - und hielt dabei das Stofftier in der Hand, mit dem einst Baby Kfir gespielt hat. »Aber es kommen keine Wörter. Nur Tränen.« Sie habe extrem »gemischte Gefühle« im Hinblick auf den nächsten Tag. »Einerseits sind wir alle voller Hoffnung, haben aber gleichzeitig große Angst vor dem, was kommen mag.«
Sie sei froh, dass endlich ein Abkommen unterzeichnet ist. »Und das an Kfirs Geburtstag. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen, vielleicht wird es ein Datum der Hoffnung.« Bibas-Levy dankte auch dem eingehenden US-Präsidenten Donald Trump, »ohne Sie wäre die Vereinbarung nicht zustande gekommen«. Doch wenn der Deal zusammenbricht, warnt sie mit zitternder Stimme, »dann bricht dieses ganze Land zusammen«.
»Eine ganze Nation wartet darauf, dass alle Geiseln nach Hause kommen«, schrieb das Forum für die Familien von Geiseln und Vermissten in einer Erklärung. »Das aktuelle Abkommen darf nur mit der Freilassung aller Geiseln enden, und zwar in einer Art und Weise, die im Voraus bekannt gegeben wird.«
Angehörige: Extremisten wollen den Deal torpedieren
Auch Angehörige von Geiseln, die bereits für tot erklärt wurden, waren an diesem Samstagabend gekommen, darunter die Tochter von Yossi Sharabi, Ofir Sharabi. Ihr Vater war bei einem Angriff der israelischen Armee auf Gaza gestorben. Das bestätigte auch die ehemalige Geisel Noa Argamani. »Niemand darf zurückgelassen werden. Niemand!«, rief die junge Frau.
Es ist die große Sorge der Angehörigen, dass die erste Phase des Deals zwar umgesetzt wird, doch keine weitere. Besonders Worte wie die von Finanzminister Bezalel Smotrich von der rechtsextremistischen Partei Religiöser Zionismus, der immer wieder fordert, dass der Krieg fortgesetzt wird und der Geiseldeal nicht stattfinden darf, verbreiten Angst und Schrecken. Noch am Abend vor dem geplanten Beginn der Waffenpause tönte er, dass der Gazastreifen für immer »unbewohnbar bleiben und Israel die Kontrolle über die Enklave übernehmen muss«. Premierminister Benjamin Netanjahu hätte ihm dies versprochen. »Die Extremisten versuchen, den Deal zu torpedieren«, warnten die Angehörigen anschließend.
Anat Angrest, die Mutter des von der Hamas gekidnappten IDF-Soldaten Matan Angrest, sagte: »Wir haben es in 15 Monaten leider nicht geschafft, den Ministerpräsidenten und die Regierung davon zu überzeugen, dass das Blut von Matan genauso viel wert ist wie das von allen anderen Israels.«. Sie forderte, dass der letzte Tag der ersten Phase der erste Tag der zweiten Phase wird.
»Krieg ist ein Mittel und darf nicht das Endziel sein.«
Zvi Zussman, dessen Sohn Ben Zussman im Kampf in Gaza starb, drängte auf ein Ende des Krieges. »Der Deal, den Israel unterzeichnet hat, ist schwierig«. Er sei aber aus gutem Grund unterzeichnet worden: »die Rückkehr der Lebenden und der Toten nach Israel. Krieg ist ein Mittel und darf nicht das Endziel sein«, betonte er. »Mein Sohn hat dieses schöne Land verteidigt. Die Bewohner des Nordens und des Südens haben ihre Heimat wieder, der Deal beginnt. Das ist ein echter Sieg!«
Auch Amit Susana, ehemalige Geisel, die anschließend mutig als erste über die sexuelle Gewalt der Hamas-Terroristen sprach, war auf den Platz gekommen. Sie war im November 2023 im Rahmen des ersten Geiseldeals freigekommen. Susana erinnerte an ihre eigene Geiselhaft und erzählte, dass sie die Befreiung von anderen Verschleppten, die in den Tagen vor ihr entlassen wurden, in Gaza im Fernsehen mitansehen durfte. Nun wünsche sie sich, »dass ich auch miterleben darf, wie alle anderen noch verbleibenden Geiseln endlich nach Hause zurückkehren.«