»Hi, ich bin Amir.« Der große, hagere Mann stellt sich auf typisch israelische Art vor – unkompliziert und direkt. Amir Raveh ist 42 und betreibt seit 15 Jahren eine Möbeltischlerei. Er ist einer von über 700 Ausstellern, die kürzlich beim Internationalen Designfestival DMY in Berlin ihre Werke präsentierten. Denn Raveh ist nicht bloß ein Tischler, er macht Designkunst.
»Ich produziere in meiner Werkstatt auch konventionelle Möbel, allerdings nicht selbst – ich habe vier Angestellte, die das machen«, erzählt Raveh. »Die Designstücke stelle ich aber persönlich her. Das hat mich schon immer interessiert, und das entwickelt sich noch immer weiter. Ich glaube, in den vergangenen vier Jahren habe ich meinen eigenen Stil gefunden.« Nagarya, der Name seines Ladens, bedeutet eigentlich nichts weiter als »Tischlerei«. »Ich habe ihn aber absichtlich falsch geschrieben, mit Alef statt He am Ende, um ihm eine besondere Note zu verleihen«, erklärt Raveh.
Bevor er sein Studio eröffnete, machte Raveh eine Ausbildung als Tischler. Danach studierte er Industriedesign an der Bezalel-Hochschule in Jerusalem. An Israels berühmter Akademie für Kunst und Design wirkten einst auch bekannte Künstler aus Deutschland wie Jacob Steinhardt und Hermann Struck. In den 30er-Jahren kamen viele vor den Nazis geflüchtete Anhänger des Bauhauses an die Bezalel.
Bauhaus Auch wenn Raveh sein Studium vor dem Abschluss abbrach – »es funktionierte irgendwie nicht« –, erinnern seine Möbelstücke ein wenig an die Neue Sachlichkeit und das Bauhaus. »Ich betrachte sie zwar auch als Kunst, aber als eine, die zugleich funktional ist – Funktionskunst.« Allerdings sind viele Elemente zu verspielt für echte Bauhaus-Möbel. Tatsächlich transportieren sie das, was den frühen Zionisten, die auch die Bezalel-Schule gründeten, als nationaler Kunststil für den neuen Staat vorschwebte – eine Kombination aus jüdischen, nahöstlichen und europäischen Traditionen.
»Anregung finde ich praktisch überall, wo ich hinschaue«, erzählt Raveh. »Siedlungen von Beduinen im Negev beispielsweise geben mir viel Inspiration. Auch sie kombinieren alles Mögliche, das sie finden, und bauen daraus ihre Zelte und Häuser. Es sind höchst unterschiedliche Materialien, die sie verwenden, deswegen werden es sehr farbenprächtige Kompositionen. Zwar benutzen die Beduinen häufig diesen typischen schwarzen Stoff für ihre Zelte, aber sie verwenden auch Blech und alle möglichen anderen Materialien.«
Seine eigene Arbeitsweise beschreibt Raveh so: »Entweder die Idee kommt aus meinem Kopf, oder sie entwickelt sich aus dem vorhandenen Material oder Gegenstand. Die zweite Art gefällt mir besser: Gegenstände finden und sie auf neue Art kombinieren. Das ist auch deswegen schön, weil es den Recyclinggedanken aufnimmt. Der ist ja auch in Deutschland sehr wichtig.«
Kombination »Die Basis für ein Möbelstück kann zum Beispiel ein Teil sein, das lange in irgendeiner Ecke meines Studios herumgelegen hat, bis ich es plötzlich wahrnehme und denke: Hey, das könnte ein Tresen sein«, berichtet der Designer. »Den Tresen, den ich auf der DMY ausstelle, habe ich beispielsweise auf Grundlage einer alten Leinentruhe gebaut, in der früher Bettwäsche aufbewahrt wurde. Die Truhe hatte ich einfach irgendwo beim Ausführen meiner Hunde gefunden, in der Nähe des Flohmarkts in Jaffa, wo ich lebe. Ich fand sie, nahm sie mit, und nach einigen Monaten erkannte ich darin plötzlich eine Bar für Getränke. Ich änderte ein paar Dinge daran, kombinierte sie mit einigen Regalbrettern, die in meinem Studio übrig waren, und dann war der Tresen fertig. Auch die Beine an den Seiten habe ich einfach gefunden, ich vermute, sie stammen ursprünglich von einem Tisch.«
Ein anderes Stück, das Raveh auf der DMY präsentierte, ist eine Bank. »Das war eine Auftragsarbeit«, berichtet er. »Ein Choreograf hatte sie für ein Stück mit zwei Tänzern bestellt. Die einzige Vorgabe war eine bestimmte Größe, damit zwei Tänzer darauf tanzen konnten. Über alles Übrige – die Materialien, die Form – habe ich entschieden.«
Vor der diesjährigen DMY war Raveh nur einmal, für drei Tage, in Deutschland. »Das war vor drei oder vier Jahren. Damals habe ich leider nicht genug gesehen, deswegen bin ich froh, wieder hier zu sein.« Persönliche Verbindungen hierher hat er nicht. Weder Familie noch Freunde. »Noch nicht«, sagt Raveh lachend. Die Wurzeln seiner Eltern liegen in Osteuropa. »Sie sind in Israel geboren, aber meine Großeltern kamen aus Polen. Einige Angehörige meiner Familie sind in der Schoa umgekommen. Andere konnten vorher fliehen und überlebten. Nur deswegen gibt es mich.« Ob er angesichts der deutschen Geschichte gemischte Gefühle hat, wenn er heute als Israeli nach Deutschland kommt? »Nein, eigentlich nicht.« Das Gebäude des alten Berliner Flughafens Tempelhof, in dem die Messe stattfindet, wurde von den Nazis gebaut, auf dem Flughafengelände gab es damals mehrere Arbeitslager. Raveh findet die Hangars aber vor allem »sehr eindrucksvoll«.
Wohnen Eine persönliche Verbindung gibt es aber doch. Die Großmutter seiner Freundin Efrat stammt aus Deutschland. Sie ist über 90 und hat die deutschsprachigen Kurzbeschreibungen seiner Ausstellungsstücke angefertigt. »Man sagte mir, es sei ein etwas altmodisches, poetisches Deutsch, in dem sie die Texte geschrieben hat«, schmunzelt Raveh.
Kürzlich nahm er mit seiner Freundin an einem Event mit dem Titel »Batim mibifnim« (Häuser von innen) teil. »Da konnten Menschen die Wohnungen anderer besuchen und sich deren Einrichtung ansehen. Im Laufe des Tages sind bestimmt 300 bis 400 Leute durch unsere Wohnung gezogen. Das war ganz schön anstrengend.« Efrat und er leben »in einer wunderschönen Gegend, ganz nahe am alten Hafen Jaffas. Auch der Flohmarkt ist gleich um die Ecke, der entwickelt sich ziemlich rasant.«
Überhaupt verändere sich Jaffa gerade unglaublich schnell. »Wenn man den Ort mit seinem Zustand vor einem Jahrzehnt vergleicht, kann man ihn kaum wiedererkennen.« Dabei gebe es ähnliche Entwicklungen wie in den zentralen Altbauvierteln Berlins zu beobachten: Die Mieten steigen, Alteingesessene können sich die Wohnungen nicht mehr leisten, Leute mit höheren Einkommen ziehen her. »Das schafft Spannungen, das kann man richtig spüren.« Zudem seien die meisten ärmeren Leute in Jaffa Araber, während die Wohlhabenderen, die sie ersetzen, meist jüdische Israelis sind. »Das ist schon problematisch.« Raveh hofft jetzt, dass er auch deutsche Käufer für seine Designermöbel begeistern kann. Nicht zuletzt, damit er sich weiterhin die steigenden Mieten im schönen Jaffa leisten kann.