Das Öl macht’s und nicht die Kartoffel. So etwa lautet die Begründung dafür, was die goldgelben und vor Fett triefenden Latkes zum Chanukkaessen macht. »Diese Pfannkuchen werden in Öl gebraten und sind an Chanukka Tradition, weil sie das Wunder des Öls, das acht Tage reichte, symbolisieren«, schreibt die Kochbuchautorin Elizabeth Wolf Cohen über Latkes.
Ihren Weg in die jüdische Küche haben die fettigen Küchelchen in Osteuropa begonnen. »Die jüdische Küche hat sie ja auch von den Gojim übernommen, und nicht umgekehrt«, sagt Tom Franz, und der muss es wissen. Der in Köln geborene Israeli hat 2013 die Fernsehshow Masterchef gewonnen. »Das Siegergericht waren meine Latkes nicht, aber ich habe sie auf dem Weg dahin zubereitet.«
beilagen Im israelischen Fernsehen hat Franz sein Gericht als »Reibekuchen« vorgestellt, nicht als Latkes. »Die Aufgabe, die wir gestellt bekamen, war ja ›Kompott‹«, erzählt er. Mit einem dem israelischen Publikum weniger geläufigen Namen konnte er freier die Beilagen entwickeln. »Ich habe kein Apfelkompott gemacht, sondern eine Mischung, in der auch Birnen vorkamen.« Dafür hat er Rote Bete eingekocht, weil er so eine israelische Variante seines kölschen Kindheitsessens zaubern konnte: Rübenkraut als Aufstrich auf den Reibekuchen, kalt und mit Schwarzbrot. »Rübenkraut gibt es aber in Israel nicht, dann habe ich an seiner Stelle Rote-Bete-Sirup gemacht.«
Nicht Latkes, sondern israelische Reibekuchen lagen also auf dem Teller. Rievkooche, wie man in Köln sagt. In anderen Gegenden haben sie andere Namen: Kartoffelpuffer, Reiberdatschi. Über 20 Namen gibt es allein im deutschsprachigen Raum, etliche klingen lustig: »Grommbierkischelcher« im Saarland etwa oder »Abernklitscher« in der Oberlausitz. In Irland sind sie als »Boxty« bekannt, in Schweden als »Rarakor« und im Iran als »Kuku sib Zamini«. Und dann gibt es die Latkes.
Doch schon die Frage, ob es regionale oder nationale Unterschiede gibt, ist schwer zu beantworten: In Ruths Kochbuch, das Ruth Melcer und Ellen Presser 2015 vorlegten, wird nur Olivenöl verwendet, was ja auf mediterrane Küche verweist. In dem beliebten Kochbuch Jerusalem von Yotam Ottolenghi und Sami Tamimi hingegen taucht Olivenöl gar nicht auf: In Butter plus Sonnenblumenöl werden die Pfannkuchen dort gebraten. Und bei Tom Franz geht es salomonisch zu: Sonnenblumen- und Olivenöl zu je einem Teil. Halb-halb vom kölschen Israeli eben.
öl »Das Olivenöl ist gar nicht so entscheidend«, erklärt Franz. Natürlich schmecke es stärker vor als manch anderes Öl, daher nehme er ja auch mildes Olivenöl und auch das nur zur Hälfte. »Ein Unterschied ist vielleicht«, so Franz über seine alte und seine neue Heimat, »dass man Latkes in Israel oft mit Mehl macht, in Köln hingegen ohne Mehl – aus rheinischem Stolz!« Doch, schränkt Franz schnell wieder ein, so ganz stimmt das auch nicht: Es gebe auch israelische Köche, die auf Mehl verzichten, und natürlich gebe es auch Kölner, die den Pfannkuchenteig mit Mehl binden. »Der größte Unterschied dürfte der sein: In Israel isst man sie einmal im Jahr, an den acht Tagen. In Köln aber ist es Streetfood.«
Doch dass die Latkes im Judentum und im jüdischen Staat beinahe nur an den acht Chanukkatagen gegessen werden, hat doch etwas mit der Olive zu tun. »Das Entscheidende an den Latkes ist ja nicht die Kartoffel, sondern das Öl«, schreibt die renommierte Kochbuchautorin Joan Nathan in der New York Times. »Was zählt, ist die Erinnerung an das Wunder vom letzten Öllicht im Tempel, 2000 Jahre zuvor.«
Der Chanukkabezug muss vom Öl und kann gar nicht von der Kartoffel kommen, denn die war im Nahen Osten damals noch nicht bekannt. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Kartoffel in Palästina angebaut. Und sie war noch wenig schmackhaft, zumindest wenn man David D’Beth Hillel glaubt. Der weit gereiste litauische Rabbiner schimpfte 1832 über die »nicht kultivierte arabische Kartoffel«, die man ihm anbot.
schmalz Die Latkes kann D’Beth Hillel da aber auch noch nicht gekannt haben: Es gibt sie erst ab etwa 1840. »Weil Kartoffeln deutlich billiger waren als Weizenmehl und Käse«, schreibt Gil Marks in seiner Encyclopedia of Jewish Food, »wurden die Kartoffellatkes der verbreitetste Chanukkapfannkuchen in Europa« – gebrutzelt in Schmalz. Die Verbreitung über Europa hinaus kam jedoch nur zögerlich voran. Das Wort »Latkes« wird in der englischen Sprache erstmals 1927 nachgewiesen.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren Käsepfannkuchen aus Ricotta das beliebteste Chanukkaessen, verarbeitet mit Buchweizen oder Roggen. Dann aber wurden sie durch das Arme-Leute-Essen aus Kartoffeln verdrängt, gereicht gerne mit Apfelkompott oder Sauerrahm. Tom Franz wundert das nicht: »Kartoffeln sind ja auch wirklich gut.«