Wenn Carlsberg auf sein »wahrscheinlich bestes Bier der Welt« aufmerksam machen will, prosten sich in der Regel rassige Frauen oder sportliche Männer ausgelassen zu. Diese universell eingesetzte Werbebotschaft funktioniert offenbar recht gut. Aber bei den ultraorthodoxen Juden kommt sie nicht an, und zwar in doppeltem Sinne. Die Gottesfürchtigen meiden die Medien, welche für die säkulare Mehrheit der Israelis maßgeblich sind. In den streng orthodoxen Haushalten stehen keine Fernsehapparate, Zeitungen wie Haaretz oder das Massenblatt Yedioth Ahronoth kommen nicht ins Haus. Wer also die Rabbiner und deren Anhänger über Mainstream-Medien erreichen will, stößt ins Leere.
Denn diese sind den Orthodoxen nicht rein genug. Sie wären mit Dingen konfrontiert, die aus streng religiöser Sicht »obszön« sind – Berichte mit erotischen Inhalten, Reportagen über die Homo-Szene von Tel Aviv, News über Vergewaltigungen oder Inserate von Callgirls. Deshalb lesen die Ultraorthodoxen nur Zeitungen, die zensiert worden sind. Die Rabbiner setzen dann zum Beispiel durch, dass der Ausdruck »schwangere Frau« durch »Frau vor der Geburt« ersetzt wird. Und wenn Politikerinnen eine Pressekonferenz geben, werden sie wegretuschiert.
Konsumfaktor Die Gemeinschaft der Ultraorthodoxen ist in Israel wichtig genug, um von den Werbern ernst genommen zu werden. Die Frömmsten der Frommen sind zwar in der Regel arm. Aber die Masse macht sie zu einem wichtigen Konsumfaktor. Die Million Ultraorthodoxen macht rund 15 Prozent der Bevölkerung aus. Und ihre Bedeutung wird zunehmen. Die Geburtenquote ist fünfmal höher als bei den Säkularen.
Um die ultraorthodoxe Gemeinschaft zu erreichen, setzen die Werber auf das mediale Netzwerk der Ultraorthodoxen. Dazu gehören zwei Radiostationen, 30 Zeitungen und Zeitschriften sowie Wandzeitungen, die in den wichtigsten Zentren der religiösen Gemeinschaft angeschlagen werden, also vor allem in den religiösen Stadtvierteln von Jerusalem und in Bnei Brak unweit von Tel Aviv, wo 65 Prozent der Gottesfürchtigen leben. Über diese Medien – und nur über diese – erreicht man die ultraorthodoxe Kundschaft.
Werbung Und dann geht es bloß noch um die Botschaft. Da die Orthodoxen ihre religiösen Autoritäten verehren, führt der Weg zum Konsumenten über den Rabbiner. Wenn der zum Beispiel die gesundheitsfördernde Wirkung des Gerstensaftes preist, glauben ihm die Frommen. Was die Carlsberg-Verkäufer in Israel auf die Idee brachte, eine der bei den Orthodoxen Israels angesehensten Persönlichkeiten für eine Kampagne zu verpflichten: Ovadia Yosef, Jahrgang 1920. Früher war er Oberrabbiner, heute ist er geistiger Mentor der ultraorthodoxen Schas-Partei, die in jeder Koalitionsregierung ein wichtiges Wort mitzureden hat. Für Carlsberg erläutert er indes keine religiösen Texte, sondern lässt sich auf einem Carlsberg-Kalender als Pin-up-Rabbi abbilden. Und seine Anhänger, für die er Vorbild ist, begreifen: Wenn der Rabbi Durst hat, trinkt er Carlsberg. Ovadia Yosef, so heißt es in seinem Gefolge, habe für seinen Auftritt übrigens kein Geld erhalten. Doch leer geht er nicht aus. Carlsberg holt sich bei ihm den »Koscherstempel«, was kostenpflichtig ist. Und die Carlsberg-Abfüller in Israel hoffen mithilfe ihres neuen Bier-Helden, der in Jerusalem ein politisches Schwergewicht ist, ein Flaschenpfandgesetz zu verhindern.
Marketingstrategen und Werber lassen sich immer wieder neue Ideen einfallen, um Produkte mit den strengen Gesetzen der Religion zu vereinbaren, damit sie auf ultraorthodoxen Markt eine Chance haben. Seit Kurzem werden zum Beispiel »koschere Mobiltelefone« angeboten. Bei ihnen gibt es weder SMS- noch Internetfunktionen. Erotische Unterhaltungen sollen dadurch ausgeschlossen werden. Offeriert werden auch »koschere Tarife«: Sie bestrafen denjenigen, der am heiligen Schabbat telefoniert, mit prohibitiv hohen Minutenpreisen. Neuerdings ködert eine der großen Versicherungsgesellschaften das orthodoxe Publikum mit einem »koscheren Pensionsfonds«: Er legt die Vorsorgegelder nur in Wertpapieren von Unternehmen an, die garantiert keine »unreinen« Produkte herstellen.
Einfluss Die Orthodoxen sind zwar nur eine Minderheit. Immer wieder sind sie aber in der Lage, ihre Weltanschauung der säkularen Mehrheit des Landes aufzuzwingen. Da sie gut organisiert sind, sind sie dazu nicht auf Werbeagenturen angewiesen. Als zum Beispiel die Modekette Fox das israelische Supermodel Bar Refaeli und einen landesweit bekannten Star aus einer Reality-TV-Serie leicht bekleidet und im Großformat werben ließ, reagierten die Frommen empört. Sie drohten mit Sanktionen gegen die »schockierende Werbekampagne«. Die Manager der Modekette gaben nach, mit Rücksicht auf die Umsätze, und ersetzten das umstrittene Poster durch brave Bilder.
Fox ist kein Einzelfall. So setzten die Orthodoxen durch, dass die nationale Airline ihre 36 Maschinen am heiligen Ruhetag, dem Schabbat, nicht starten lässt. Das reduziert zwar den Umsatz (und den Gewinn) massiv. Hätte sich EL AL dem Druck aber nicht gebeugt, wäre es zu einem Boykott durch die strenggläubigen Passagiere gekommen. Und der hätte durch keine noch so große Werbekampagne aufgehalten werden können.