Wer Tel Aviv kennt, der kennt auch das Dizengoff-Center. Die älteste Shopping-Mall des Landes hat fast vier Jahrzehnte Stadtgeschichte mitgeschrieben und ist doch nicht von gestern. Neuester innovativer Clou des Einkaufszentrums ist die Gemüsegärtnerei auf dem Dach. Seit einigen Monaten grünt es in 25 Metern Höhe. Mitten in der Großstadt pflanzt die Firma Livingreen in Kooperation mit der Mall frische Salate, Gemüse und Kräuter an.
Wer diese Gemüsefarm betritt, der muss sich keine Gummistiefel überziehen. Nicht ein Krümel Erde liegt auf den Wegen, die üblichen Beete voller Matsch sucht man vergebens. Stattdessen schaukeln die Salatköpfe auf einem Floß aus Styropor, steckt der Kohlrabi in Plastik-konussen, ranken fette Basilikumbüschel, Minze und Petersilie in weißen Rohren. Wie in einer Wohlfühloase plätschert Wasser leise vor sich hin.
Das System nennt sich Hydrophonik, auch Hydrokultur genannt. Die Pflanzen wachsen dabei gänzlich ohne Erde ausschließlich auf Wasser, dem verschiedene Nährstoffe und Sauerstoff beigefügt werden. Alles, was die Pflanze zum Gedeihen benötigt, wird ihr direkt in der Lösung permanent an die Wurzeln gepumpt. Auf diese Weise können nicht nur Blattgemüse, sondern auch Gurken, Tomaten und Paprika, Zwiebeln, Erdbeeren und sogar Papaya angebaut werden.
Fische Für Motti Cohen, den Geschäftsführer von Livingreen, liegen die Vorteile der Hydrophonik auf der Hand: »Bei dieser Methode wachsen die Pflanzen bis zu fünfmal so schnell wie beim gewöhnlichen Anbau. Es werden nur etwa 20 Prozent der sonst üblichen Wassermenge benötigt, und Pestizide fallen komplett weg, weil es keine Erde gibt, in der die meisten Schädlinge sitzen.«
Eine Erweiterung des Hydrophonik-Systems ist Aquaphonik; auch die ist auf dem Dizengoff-Dach zu finden. Dabei züchtet man Gemüse und Fische in einem geschlossenen Kreislauf. Die Ausscheidungen der Karpfen, Goldfische oder Kois werden als Düngemittel in das danebengelegene Gemüse-Wasserbeet gepumpt. Die Pflanzen reinigen das Wasser, und so fließt es wieder zurück in den Fischtank.
Hier, auf dem Dach der größten Mall Israels, gab es bis vor Kurzem nur Beton, eine Parkgarage und ein Fitnessstudio. Dann suchte das Center einen Partner, um seinen Einsatz für Nachhaltigkeit zu unterstützen. Das Ergebnis sind nun 100 Quadratmeter voller Grünzeug. »Wir wollen grün und umweltfreundlich sein und entsprechende Werte vermitteln«, sagt Cohen. »Doch es geht nicht nur um Nachhaltigkeit, sondern auch darum, ein funktionierendes und profitables Geschäft aufzubauen.«
Anfangs startete die Farm als Pilotprojekt, um das System auszutesten. Da es nach Angaben der Betreiber bestens läuft, soll die Fläche schon bald auf 500 Quadratmeter erweitert werden. »Das ist die Mindestgröße, um die Farm profitabel zu machen«, er-klärt Mendi Falk, der die Dachgärtnerei leitet. Sehr zur Freude der Kunden, die sich in zwei Restaurants in der Mall und auf dem wöchentlichen Markt die frischen Produkte schmecken lassen können.
Markt Nach Meinung der Betreiber der urbanen Gärtnerei schmeckt man den Unterschied zwischen ihrem Gemüse und dem regulären aus dem Supermarkt sofort. »Es liegt eindeutig an der Frische«, meint Cohen, zupft ein Blättchen vom duftenden Basilikum und hält es sich unter die Nase. »Unsere Produkte werden geerntet und landen innerhalb von einer Stunde auf den Tellern der Kunden oder auf dem Marktstand. Es gibt keine Transporte, keine Kühlung. ›Ernten und Essen‹ lautet das Motto.«
Grundidee von Livingreen ist es, dass kein Transportweg länger als 500 Meter sein soll. In diesem Umkreis sollen die Produkte der urbanen Farmen an Restaurants, Märkte und Privatkunden verkauft werden. »Unser Ziel ist ein Netzwerk aus Farmen, die grün und profitabel sind. In der Stadt und für die Stadt.«
Je kürzer die Wege, desto besser. Das System von Livingreen kann man sogar auf dem Balkon seiner eigenen Wohnung aufbauen. »Denn wer hat schon einen Garten in der Stadt?« Das Rohrsystem, das nicht viel mehr Platz als ein kleiner Esstisch einnimmt, gibt es für rund 1800 Schekel (rund 400 Euro) samt Pumpe. Wer es simpler und handlicher mag, der kann die Green Box für etwa 40 Euro mit Platz für fünf Kräuterpflanzen in seine Küche stellen.
Für Interessierte, die mehr über den nachhaltigen und urbanen Anbau von Gemüse wissen möchten, haben die Initiatoren die Firma »Yarok Ba’Ir« (Grün in der Stadt) gegründet. Das ganze Jahr über finden dort Seminare und Schulungen statt. Ein anderes Projekt ist die »Living Box«, ein System, das ohne Elektrizität funktioniert, zusammenfaltbar ist und so in die ganze Welt verschickt werden kann, um auch da Gemüse anbauen zu können, wo es sonst nicht möglich wäre.
Der Platz für selbstgezüchtetes Gemüse in der engbesiedelten Metropole liegt in luftiger Höhe, auf den Dächern, davon ist Motti Cohen überzeugt und zeigt auf die Flachdächer von Tel Aviv ringsherum. Hier sieht er es in seiner Zukunftsvision im warmen Mittelmeerklima schon bald überall grünen und sprießen. »Ich glaube fest daran, dass damit eine wahre Gemüserevolution möglich ist.«
www.livingreen.co.il