Was Alma, 13, und ihren Bruder Noam, 17, aufrechtgehalten habe, sei das Wiedersehen mit ihrer Ima gewesen. Doch Yonat, die Mutter von Alma und Noam Or, ist tot. Von Terroristen der Hamas am 7. Oktober ermordet. Ihr Vater Dror ist nach wie vor in Geiselhaft, ihr Haus wurde niedergebrannt. Das erfuhren die beiden Teenager aus dem Kibbutz Be’eri erst nach ihrer Freilassung am Samstag aus Gaza. So viel Jubel auch ausbrechen mag, wenn die verschleppten Israelis und Ausländer nach Hause zurückkehren, für die meisten gibt es auch weiterhin keine Erlösung.
Hanan Bsora’i, der Großvater der Kinder und Yonats Vater, berichtete, dass sich der Zustand der beiden langsam stabilisiere. »Ich habe mit Alma gesprochen, ihre Reaktionen sind positiv. Sie drückt Freude, Erleichterung und Losgelöstheit von den Schwierigkeiten aus, die sie während der Tage ihrer Gefangenschaft hatten.«
Lange auf die Rückkehr gewartet
Nach ihrer Entlassung aus dem Schneider Kinderkrankenhaus sind Alma und Or vorerst bei Familie in Tel Aviv. »Wir haben lange auf ihre Rückkehr gewartet, darauf, dass sie aus den Fängen der grausamen, monströsen Hamas-Terroristen befreit werden«, so Bsora’i emotional. »Ich will meinen Enkelkindern aber nicht zu viele Fragen stellen. Ich will ihre Freude über die Freilassung nicht trüben. Für mich reicht es zunächst, zu wissen, dass sie körperlich und emotional einigermaßen stabil sind.«
Währenddessen würde die Familie auf Dror warten und um Yonat, die brutal ermordet wurde, trauern. »Was den Menschen angetan wurde, kann nicht rückgängig gemacht werden. Wir müssen sensibel sein und darauf achten, die Kinder mit Sorgfalt und Mitgefühl über das Geschehene aufzuklären. Leider wird ihnen alles nach und nach klar werden.«
»Hamas/Islamischer Staat zwang ihn unter Waffengewalt, die grauenvollen Videos anzuschauen, die sie gefilmt haben.«
Eitans tante, deborah cohen
Eitan Yahalomi wuchs in einem anderen Kibbutz auf: Nir Oz. Auch dieser Name steht für die absolute Zerstörung, die die Schlächter der Hamas am Schwarzen Schabbat anrichteten. Der zwölfjährige Junge wurde mit seiner Mutter und den zwei kleinen Schwestern gekidnappt. Seine Mutter schaffte es, sich aus den Fängen der Terroristen zu befreien, doch Eitan, der auf einem anderen Motorrad entführt wurde, kam nach Gaza. Am Montag wurde er befreit.
Eitans Tante Debroah Cohen sprach im französischen Fernsehen darüber, was er erlebte: »Hamas/Islamischer Staat zwang ihn unter Waffengewalt, die grauenvollen Videos anzuschauen, die sie gefilmt haben«. Außerdem hätte ihn die Bevölkerung von Gaza bei Einfahrt in die Enklave geschlagen. »Ich hatte gehofft, dass sie ihn gut behandeln würden. Doch das war überhaupt nicht der Fall.« Auch IDF-Pressesprecher Daniel Hagari verurteilte die Behandlung Eitans: »Wir haben gerade erfahren, dass Eitan die grauenvollen Videos der Massaker sehen musste, die die Terroristen der Hamas angerichtet haben. Er ist doch erst zwölf Jahre alt…«
Schwere der Auswirkungen erst in Zukunft zu verstehen
Esthi Yahelli ist die Großmutter des Jungen. »Als Safta ist es sehr schwer, so etwas zu sehen und zu hören. Es war ja kein Sommercamp. Er war eingesperrt, er war allein. Wir alle haben viel Arbeit vor uns, bis Eitan wieder einigermaßen ins Leben zurückkehren kann.«
»Wir werden die Schwere der Auswirkungen einiger der Dinge, die sie erlebt haben, erst in der Zukunft wirklich verstehen«, erklärt Professorin Gilat Levani, die die pädiatrische Abteilung am Schneider Kinderkrankenhaus leitet, die derzeit für die freigelassenen Geiseln eingerichtet ist. Levani lässt wissen, dass die Menschen nach und nach beginnen würden, die erschütternden Geschichten aus ihrer Gefangenschaft zu erzählen.
»Von den Kindern erhält man unterschiedliche Informationen und muss diese Erkenntnisse zusammenfügen, um den gesamten Ablauf zu verstehen. Von den Eltern hören wir eine kohärentere Abfolge von Erfahrungen – sowohl emotional als auch praktisch. »Nicht jeder hat das Gleiche durchgemacht. Doch was dort passierte, war sehr schwierig. Im Allgemeinen beschreiben sie gefängnisähnliche Zustände und große Ängste.«
»Wir sehen die unbestreitbaren Spuren einer Geiselhaft.«
professor gilat levani
Mit der Veröffentlichung der ersten Bilder habe man den Eindruck gewinnen können, dass ihre körperliche Verfassung in Ordnung sei, erläutert, Levani, »sie haben vielleicht keine schweren, lebensbedrohlichen Krankheiten, aber man kann die unbestreitbaren Spuren einer Geiselhaft eindeutig erkennen«.
Die Geiseln hätten fast ausschließlich etwas Brot und Reis erhalten, keine Eier, kein Gemüse oder Obst. »Die Menge an Essen war sehr gering, den meisten zufolge war es zweimal am Tag eine halbe Scheibe Brot. Einige erhielten gelegentlich mehr«, weiß die Medizinerin. Das führte zu einem Gewichtsverlust von acht bis 15 Kilogramm innerhalb von eineinhalb Monaten, was zehn bis 20 Prozent ihres Körpergewichts entspricht. »Wir sprechen von einem massiven Abbau der Muskelmasse und schwerer Unterernährung.«
Einer Bewohnerin des Kibbutz Be’eri, Miri Gad-Mesika, ist nach der Rückkehr von Kindern etwas anderes aufgefallen: »Bei mindestens zwei unserer freigelassenen Mädchen habe ich ein seltsames Phänomen festgestellt - sie flüstern nur noch.« Die Geiseln wurden von ihren terroristischen Entführern offenbar angewiesen, mehr als 50 Tage lang extrem leise zu sprechen, um ihren Aufenthaltsort nicht preiszugeben. »Ja, sie unterhalten sich mit allen nur noch im Flüsterton.«