Jetzt wird Ernst gemacht: Die Bagger mit ihren mächtigen Zähnen sind angerückt, Presslufthämmer donnern tagein, tagaus, Abrissbirnen schlagen krachend Löcher in den Beton. Langsam, aber sicher bröckelt der mit Graffiti verzierte Bau. Für das »Dolphinarium« ist das Ende gekommen. Das Gebäude mit der wohl bewegtesten Geschichte an der Tel Aviver Strandpromenade wird abgerissen. Es war Sehenswürdigkeit und Schandfleck zugleich – an einem der teuersten Standorte direkt am Meer.
Jahrelang stand es leer, ganz verlassen war es jedoch nie. Über die Jahre hatte sich ein buntes Völkchen rund um das Dolphinarium versammelt: In einem Seitenflügel war die Surfschule Galim eingezogen, die es sich zur Aufgabe macht, gefährdete Kinder von der Straße zu holen und als Therapie auf den Wellen reiten zu lassen.
Hinter dem Gebäude trafen sich jeden Freitag kurz vor Sonnenuntergang Dutzende von Trommlern, Yogafans und aus Indien zurückgekehrte junge Leute. Sie begrüßten den Schabbat mit einer alternativen Zeremonie aus Drums, Tanz und spirituell angehauchtem Gesang.
Graffiti Für die Szene der Graffiti-Künstler war das Dolphinarium wie eine riesengroße leere Leinwand, auf der sie sich nach Lust und Laune austoben konnten. Vor einigen Jahren verkehrte Streetartist Dede das halbrunde Gebäude mit riesigen Zähnen in einen überdimensionalen Mund. »Jetzt hat es Biss«, meinte er damals.
1981 hatte der markante Bau seine Pforten für die Städter als das geöffnet, was sein Name verhieß: ein Wasserpark mit Delfinshow. Das Land war von der israelischen Landbehörde (ILA) gepachtet. Damit sich der Architekt Nachum Zolotov den Traum erfüllen konnte, lockte er in- und ausländische Investoren an.
Doch die Geschäftspartner aus Südafrika mit Beziehungen zur Mafia waren mehr an Geldwäsche denn an Kunststücken von Flipper interessiert. Als der Skandal publik wurde, verließen sie das Projekt. Dem Delfinarium ging das Geld aus. Schon 1985 schloss der Wasserpark seine Pforten. Von da an versuchten sich verschiedene Geschäfte mit mehr oder weniger Erfolg in dem riesigen Komplex. Es war Veranstaltungshalle, Kino, Sportgeschäft und Diskothek.
Die letzte Geschäftsidee endete auf grauenvolle Weise. Der Nachtklub im Dolphinarium lockte Ende der 90er-, Anfang der 2000er-Jahre vor allem junge russischsprachige Israelis an, die an den Wochenenden dort tanzten. Am 1. Juni 2001 sprengte sich ein palästinensischer Terrorist am Eingang inmitten der wartenden Teenager in die Luft. 21 junge Menschen starben, mehr als 120 wurden verletzt. Anschließend wollte sich kein Geschäftsmann mehr dort versuchen.
Promenade Es ist nicht das erste Mal, dass das berühmt-berüchtigte Gebäude dem Erdboden gleichgemacht werden soll. Doch Rechtsstreitigkeiten zogen sich jahrelang hin. Die Stadtverwaltung hat sich bereits seit mehr als einem Vierteljahrhundert dafür eingesetzt, das Gebäude zu entfernen. Doch erst jetzt konnte der Bürgermeister stolz auf einem der Abrissbagger posieren. »Der Abriss hat begonnen«, so Ron Huldai, »und damit kann die Vision einer durchgehenden Promenade entlang der gesamten Tel Aviver Küste Gestalt annehmen. Der Blick auf das Meer wird offen und ohne Beeinträchtigungen sein.«
»Absolut wundervoll«, findet Schiri Barda, die am Strand entlang joggt und in der Nähe wohnt. »Ich kann es gar nicht erwarten, denn dieses Monstrum hat mich schon immer gestört. Es hat die hübsche Strandgegend hier so schmuddelig wirken lassen.« Mit einem Grundstück in dieser 1A-Lage könne man etwas Fantastisches machen, meint sie. »Ich hoffe nur, dass es etwas wird, das allen Tel Avivern zugutekommt.«
Zumindest nach ersten Planungen hat die Verwaltung genau dies vor: Neben der Verbindung des nördlichen und südlichen Promenadenteils zu einem durchgehenden Spazierweg wird auf dem Gelände ein Park angelegt. Ein Neubau soll ein Gemeindezentrum mit Schwerpunkt Wassersport beherbergen. »Es wird ein minimaler Bau als Teil von Schattenelementen sein«, heißt es in einer Stellungnahme der Stadtverwaltung. Der Plan sei bereits vor Jahren bestätigt worden.
Stadtgeschichte Die Abrissarbeiten sollen rund zwei Monate dauern. Die Befreiung des begehrten Stückes Land aber kommt die Stadt recht teuer zu stehen. Denn die rund 6000 Quadratmeter, auf denen das Dolphinarium angesiedelt ist, gehörten dem deutsch-jüdischen Geschäftsmann Josef Buchmann, der es nach Angaben von »Globes« 1989 für fünf Millionen Dollar gekauft hatte.
2003 bot die Verwaltung Buchmann eine etwa doppelt so große Fläche auf der anderen Straßenseite an. Angeblich hat dieser Platz einen Wert von einer Milliarde Schekel (umgerechnet mehr als 230 Millionen Euro) und umfassende Baurechte. Auf dem Grundstück können Apartmenthäuser und ein Hotel mit 200 Zimmern gebaut werden. Buchmann verkaufte das Grundstück nach Globes-Berichten 2015 für 50 Millionen Dollar an israelische Investoren.
Verschiedene Interessengruppen zogen gegen den Deal vor Gericht. Ihrer Meinung nach hat die Stadtverwaltung zu viel von öffentlichem Grund und Boden an private Investoren abgegeben. Ein Urteil gibt es noch nicht, doch das Oberste Gericht entschied, dass mit dem Abriss trotzdem begonnen werden kann. Andere Aktivisten, darunter mehrere Architekten, sind der Meinung, dass man das Dolphinarium hätte erhalten und umbauen sollen. »Man darf so ein bedeutendes Stück Stadtgeschichte nicht einfach dem Erdboden gleichmachen.« Die Stadtverwaltung jedoch argumentiert, dass dies noch viel teurer werden würde, und will vor allem eines: einen freien Blick aufs Meer.