Israels neues Kabinett hat eine Ministerin, der das Gefühl, die Nummer eins zu sein, nicht fremd ist: Pnina Tamano-Shata war die erste äthiopischstämmige Frau in der Knesset – nun ist sie seit dem 17. Mai auch die erste Ministerin Israels, die aus Äthiopien stammt. Die 39-Jährige ist für Einwanderung und Integration zuständig – und sie weiß ganz genau, wovon sie redet.
Pnina Tamano-Shata, die ab jetzt für jede einzelne Alija verantwortlich zeichnet, kam selbst als Kind auf abenteuerliche Weise ins Land. Sie wurde 1981 im nordäthiopischen Dorf Wuzaba in der Nähe der Stadt Gondar geboren, verbrachte aber mit der Familie ihre ersten Lebensjahre in einem Flüchtlingslager im Sudan.
Ihr Leben war geprägt von Hunger und Missbrauch – wie seinerzeit das von Tausenden Juden aus Äthiopien. Die Familie entschloss sich zur Flucht aus dem Camp, um ihren späteren Rettern vom Mossad entgegenzugehen.
WÜSTE In geradezu biblischer Weise führte sie ihr Weg durch die Wüste. Die damals dreijährige Pnina wurde von ihrem Bruder auf dem Rücken getragen, da die Mutter hochschwanger war.
»Die Menschen in Israel wissen meist nicht, was damals im Sudan geschah«, sagte Tamano-Shata der »Jerusalem Post«. »Es ist dies die heroische Geschichte von Menschen, deren Liebe zu Jerusalem sie zu allem bereit sein ließ und ihnen die größten Opfer abverlangte. Sie wussten, dass ihr Weg dorthin schwierig werden würde – aber sie wussten, dass ihre Zeit gekommen war. Das sollten wir weitertragen – als einen Teil der Geschichte des jüdischen Volkes.«
Als Ministerin für Einwanderung ist sie für die Alija zuständig.
Irgendwann erreichten sie die Lastwagen, die sie zum Flugzeug nach Jerusalem bringen sollten – in das Land ihrer Träume, das Ziel ihrer Gebete. Bekannt wurde die Aktion später als »Aktion Moses«. Tamano-Shata saß auf einem der Laster mit ihrem Vater und dem Großteil ihrer Verwandten. Ihre Mutter und eine ihrer Schwestern waren auf einem anderen Lkw, der später liegen blieb.
Der Ministerin, die in beinahe biblischer Diktion von ihrer Flucht erzählt, treibt es Tränen in die Augen, als sie das Trauma der Trennung von ihrer Mutter schildert. Es sollte ein weiteres Jahr dauern, bis diese es mit ihrem Baby und der älteren Tochter nach Israel schaffte.
FLUCHT »Nach der Geburt war meine Mutter todkrank. Meine Schwester kümmerte sich um sie und das Neugeborene. In dem Flüchtlingslager im Sudan gab es nur Zelte – die Sonne brannte mit 50 Grad vom Himmel, und die gesamte Umgebung war muslimisch. Ich erinnere mich gut, dass die Menschen Angst davor hatten, sich ans Rote Kreuz zu wenden. Ich habe zwei gleichaltrige Freunde, deren Eltern dort gestorben sind. Mein Mann hat auf der Flucht nach Israel seine zwei- und dreijährigen Schwestern verloren. Ich hatte das Privileg, es geschafft zu haben.«
Ein Privileg, dessen sich die Juristin und Journalistin stets bewusst ist – und das sie als Mission versteht.
Jetzt sitzt sie für Benny Gantz’ Partei Blau-Weiß am Kabinettstisch, wird von Glückwünschen in den sozialen Medien überschüttet und wundert sich, dass Mitarbeiter sie mit »Frau Ministerin« ansprechen. »Ich bin doch nur die Pnina«, antwortet sie dann, »dieses dreijährige Flüchtlingsmädchen aus Äthiopien.«
GEFÜHLE Dieses Mädchen war auch bei der Amtseinführung präsent. Genau wie die Gefühle, die die sonst pragmatische und zupackende Politikerin beim Thema Alija immer wieder einholen. »Ich erinnere mich gut an die schwierigen Momente und Jahre im Integrationszentrum. Es ist fantastisch, dass dieses kleine Mädchen sich durchsetzte und jetzt Ministerin in der israelischen Regierung wird.«
Ihre Erfahrungen sind die eines Menschen, dem man einst die Heimat genommen und der eine neue gefunden hat. Insofern will sie es in ihrer Position auch nicht bei Symbolpolitik belassen.
Das Ministerium, ein Hort israelischer Bürokratie, soll menschenfreundlicher werden und den Olim schnell ein Gefühl von Heimat verschaffen.
HEIMAT Pnina weiß selbst sehr genau, wie schwierig es ist, dieses Heimatgefühl zu erlangen. Als relativ frisch gewählte Abgeordnete sorgte sie im Dezember 2013 schon einmal für Schlagzeilen. Damals wollte sie bei einer Aktion in der Knesset Blut spenden.
Doch die Organisatoren von Magen David Adom verweigerten ihr die Teilnahme »wegen des spezifischen Bluttyps der äthiopischen Gemeinschaft«. Der damalige Knessetsprecher Yuli Edelstein warf den Roten Davidstern hochkant aus dem Parlament – der Skandal war perfekt.
Künftigen Olim will sie die Integration erleichtern.
Deshalb möchte sich Tamano-Shata als Ministerin auch um Details kümmern – wie etwa um Klimaanlagen in jedem Integrationszentrum. Und auf den coronabedingten Ansturm neuer Olim – ihr Ministerium rechnet mit 50.000 bis 100.000 Neueinwanderern – will sie so gut vorbereitet sein wie nur möglich.
»Wir müssen bedenken, dass nach der Ankunft ein Prozess von Anpassung und Eingliederung beginnt, für dessen Gelingen wir verantwortlich sind. Es reicht also nicht, zu sagen ›Wir lieben die Alija‹ – wir müssen auch die Neuankömmlinge selbst lieben. Das ist Teil der ›Zehn Gebote‹ der neuen Regierung, und meine Aufgabe ist es, so gut vorbereitet zu sein wie irgend möglich. Aus meiner Sicht steht die Alija ganz oben auf der Agenda der neuen Regierung.«
Und an der Spitze dieser Agenda steht sie. Vor allem dank Benny Gantz, der als Offizier an der Mission im Sudan beteiligt war. »Er hat alles mit eigenen Augen gesehen. Er hat vielleicht auch mich gesehen. Er sah jedenfalls die Kinder und weiß genau, was wir durchgemacht haben. Es ist eine große Ehre für mich, dass er mich berufen hat.«