Während in Gaza und im Westjordanland Dienstagnacht Freudenschüsse knallten und Feuerwerke den Himmel erhellten, flossen in Israel die Tränen. Die ersten 26 palästinensischen Häftlinge haben die Gefängnisse in Israel verlassen und kehrten in ihre Heimatorte zurück. Sie sind allesamt verurteilte Mörder. Fast zeitgleich schlugen in Israels Süden Raketen aus dem Gazastreifen ein.
Um die Entlassung nicht zu einem »Siegeszug« ausarten zu lassen, wurden die Männer in Kleinbussen mit verhängten Fenstern von der Haftanstalt Ayalon zu den Checkpoints an der Grenze mit den palästinensischen Gebieten gebracht. Dort erwarteten mehrere Hundert jubelnde Palästinenser ihre Landsleute. Auf dem Weg versuchten einige israelische Aktivisten, den Konvoi zu stoppen, wurden jedoch nach wenigen Minuten durch die Polizei von der Straße entfernt.
Seit Wochen bereits waren Angehörige von Terroropfern und Vertreter von Opferverbänden gegen die Freilassung auf die Straße gegangen. Immer wieder hatten sie ihren Unmut darüber geäußert, dass Mörder und Terroristen aus der Haft kommen sollen. Bei Demonstrationen vor der Knesset hatten sich die Frauen und Männer die Hände mit roter Farbe angemalt, um zu zeigen, dass hier Gefangene »mit Blut an den Händen in die Freiheit geschickt werden«.
Terroropfer Nach Bekanntgabe der Namen der Freitzulasssenden am Montag hatte der Verband der Terroropfer »Almagor« erklärt, dies sei ein »Feiertag für die palästinensischen Terrororganisationen und ein unsagbar trauriger Tag für die betroffenen Familien und die ganze israelische Gesellschaft«. Der Vorsitzende Meir Indor beschuldigte die Regierung, »dem Terror nachzugeben und das mit einigen PR-Maßnahmen zu verdecken«. Er wolle Himmel und Erde in Bewegung setzen, um gegen den Terrorismus zu kämpfen und wieder Gerechtigkeit herzustellen.
Die Pressestelle der Regierung veröffentlichte noch am Abend der Freilassungen eine Liste der Taten der 26 ersten Freigelassenen, um der Behauptung entgegenzuwirken, es handele sich um »politische Gefangene«, wie es von palästinensischer Seite immer wieder heißt. Etwa Salah Mugdad (47), der vor 20 Jahren Israel Tennenbaum, den Sicherheitsmann eines Hotels in Netanja, ermordete. Ebenfalls entlassen worden ist Borhan Sabiah, der sechs angebliche palästinensische »Kollaborateure« mit Israel tötete. Er wurde zu sechs Mal lebenslänglich verurteilt. Mohammed Sawalha war an dem Mord an Baruch Heisler in einem Bus in Ramat Gan beteiligt. Drei weitere Menschen wurden dabei verletzt. Er hätte lebenslang hinter Gittern sitzen müssen. Doch nun ist er frei.
Einer der Aktivisten, die gegen die Freilassungen demonstrierten, ist Avi Natan. Er ist sicher, dass auch diese »Geste« nicht zum Frieden beitragen wird, und versteht die Taktik seiner Regierung nicht. »Ich weiß nicht, was das soll, diesen Meuchelmördern praktisch ein neues Leben zu schenken. Das haben sie nicht verdient. Die Opfer bringt uns niemand mehr wieder.«
Natan ist kein Hardliner, er will Frieden mit den Nachbarn und befürwortet Gespräche zwischen beiden Seiten. Allerdings meint er, dass die Regierung lieber etwas wirklich Sinnvolles tun solle, nämlich einen Baustopp in den jüdischen Siedlungen zu verkünden. »Es ist doch klar, dass die Palästinenser sich auf nichts einlassen, wenn wir immer betonen, dass wir zwar an Frieden interessiert sind, aber trotzdem gleichzeitig fröhlich auf ihrem Land weiterbauen. Ein ernst gemeintes Ende des Siedlungsbaus würde die Verhandlungen tatsächlich voranbringen. Doch das machen unsere Politiker nicht mit und lassen sich stattdessen auf diesen Irrsinn ein, verurteilte Mörder zu befreien, die vielleicht bald wieder töten.«
erste phase Angekommen in Ramallah (Westjordanland) begrüßte Mahmud Abbas, der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, persönlich die Freigelassenen und feierte mit den etwa 1000 Anwesenden. »Wir heißen unsere Brüder willkommen, die die Dunkelheit der Gefängnisse gegen das Licht der Freiheit eingetauscht haben«, rief Abbas der Menge zu. »Sie sind die Ersten, die befreit sind, doch wir werden nicht ruhen, bevor alle Brüder wieder mit uns sind.« Dass es sich um Mörder handelte, mit denen der Präsident da feierte, erwähnte niemand.
Die Aktion vom Dienstag ist die erste Phase, um die Friedensbemühungen, die zeitgleich in Washington stattfinden, wieder in Gang zu bringen. Israel hatte diese »wohlwollende Geste« für die Palästinenser zuvor im Kabinett beschlossen. Insgesamt werden 103 Männer freigelassen, die allesamt vor den Oslo-Verträgen von 1993 festgenommen worden waren. Diese ersten 26 wurden von einem Sicherheitskomitee ausgewählt, dem Verteidigungsminister Mosche Yaalon vorsaß.
petition 14 der Männer sind in den Gazastreifen entlassen worden, zwölf ins Westjordanland. Acht der ehemaligen Häftlinge wären ohnehin innerhalb der kommenden drei Jahre entlassen worden, zwei sogar in den nächsten sechs Monaten, erklärte das Büro von Regierungschef Benjamin Netanjahu am selben Abend.
Noch in letzter Minute hatten die Angehörigen der Opfer mit einer Petition vor dem Obersten Gerichtshof versucht, die Entlassungen der Mörder zu stoppen. Jedoch ohne Erfolg. Richter Ascher Grunis schrieb in seiner Begründung, die Petition abzulehnen: »Es ist keine Frage, dass die Angelegenheit eine schwierige und sensible ist. Unsere Herzen sind jetzt bei den Familien der Opfer.«