Am frühen Morgen, wenn die beiden die Sonne über der Wüste aufgehen sehen, bekommen sie noch immer eine Gänsehaut. »Ich muss manchmal wegen der ganzen Schönheit hier weinen«, gibt Robert Klose zu. Sein Freund und Kommilitone Florian Stark nickt. »Ich auch.« Als sich die Studenten vor drei Monaten in Richtung Israel aufmachten, konnten sie nicht ahnen, was sie hier erleben würden. Die zwei Berliner sind während des Krieges im Süden des Landes bei der Arbeit an ihrem Praktikumsplatz. Ans Kofferpacken dachten sie nur einmal – und dann nie wieder.
Robert und Florian studieren an der Beuth-Hochschule für Technik in Berlin Gartenbau. Im vierten Semester stand eine praktische Phase an. Malaysia, die USA und Israel standen zur Auswahl. Für Robert keine Frage: Es musste Israel sein. Zum einen, weil das kleine Nahostland die Top-Nation in Sachen Gartenbau ist. »Doch es ging noch um mehr«, wie er gesteht. »Ich war schon vorher mit ein paar Freunden da, wollte damals einfach sehen, wie es hier wirklich ist, und nicht immer nur Dinge vom Hörensagen erfahren.«
Professorin Manuela Zude an der Berliner Hochschule hat enge Verbindungen nach Israel, und so kamen die beiden ans Gilat-Zentrum in der Negevwüste. Gilat ist der südliche Campus der Forschungsabteilung des Ministeriums für Landwirtschaft.
Florian untersucht bei seiner Arbeit, wie man sogenannte Heatspots bei Paprika vermeiden kann, mit denen Früchte bei extremer Hitze oft übersät sind. Er misst die Ergebnisse durch die Zugabe unterschiedlicher Mengen von Mangan und Zink. Robert kümmert sich um die Auswertung von Messungen der Sensoren an Olivenbäumen hinter dem Forschungszentrum. Die Bäume wachsen in unterschiedlich salzhaltigem Wasser. »Ein ganz besonderes Experiment«, wie Roberts Chef Alon Ben-Gal betont. »Die beiden müssen hier richtig arbeiten und sich ihre Hände schmutzig machen.« Schon zum zweiten Mal sind deutsche Studenten in Gilat. »Und ich finde das ganz wunderbar«, sagt Ben-Gal und klopft den beiden auf die Schultern.
Angriff Doch Robert und Florian sollten nicht nur die Schönheit der Natur und die Gastfreundschaft der Israelis erleben. Der erste Alarm überraschte sie im Forschungszentrum. Sie erinnern sich: »Wir saßen in der Küche und wunderten uns über die Sirene, die auf einmal losging. Am Tag zuvor hatten wir einen Probe-Feueralarm und waren uns sicher, dass das wieder einer ist. Bis ein älterer Kollege reingestürmt kam und uns anschrie: ›Rennt!‹ Und dann sind wir gerannt.« Erst als sie den Sicherheitsraum verlassen konnten, wurde ihnen klar, was geschehen war: ein Raketenangriff aus dem Gazastreifen. »Uns schlotterten ganz gewaltig die Knie«, sagt Robert. »Und ich musste erst mal eine rauchen.«
Von diesem Tag an saßen die Deutschen so oft im Schutzraum oder Treppenhaus, dass sie gar nicht mehr mitzählen konnten. Mindestens vier- bis fünfmal täglich habe in Beer Sheva, wo die beiden wohnen, der Alarm geschrillt. Wie sie das ausgehalten haben? »Wir haben es mit der Erklärung meines Chefs Alon gehalten«, sagt Robert, »dass die Situation zwar angsteinflößend, die wirkliche Bedrohung für das Leben aber relativ gering sei. Weil es überall sichere Räume und natürlich das Raketenabwehrsystem Iron Dome gibt.« Doch dass das nicht eingesetzt wird, wenn das Geschoss in offenem Gelände landen wird, erfuhren sie auch.
Die Studenten sind ständig auf Feldern unterwegs, um ihre Arbeit an den Pflanzen zu erledigen. Bei einem Vorfall musste Robert gemeinsam mit Kollegen in ein Erdloch springen, als der Alarm losplärrte. Von ihrem Versteck aus sahen sie die Rakete, die über ihren Köpfen vom Iron Dome zerstört wurde. Dann ein zweiter Knall, die Erde bebte. »200 Meter von uns war eine eingeschlagen. Es war nicht witzig.«
Terror An einem Punkt war Florian kurz davor, seine Koffer zu packen. In Beer Sheva hatte es einen Einschlag gegeben, anschließend sah er einen Krankenwagen in Richtung der Wohnung eines Freundes fahren. »Das war echt zu viel für mich. Ich fühlte mich nirgendwo mehr sicher.« Auch Robert sei draußen nur noch an Hauswänden entlanggerannt. Natürlich waren die Familien und Freundinnen der beiden extrem besorgt. Ständig forderten die Eltern: »Kommt bitte nach Hause.«
Die Situation eskalierte weiter. Also stellten sie sich ein Ultimatum: Wird es nicht besser, gehen wir. »Aber am nächsten Tag stand das schon nicht mehr zur Debatte«, sagen sie übereinstimmend und schmunzeln. »Zwar war es uns wichtig, dass wir durch unser Bleiben Solidarität mit Israel bekunden, aber wir wollten nicht die Helden spielen. An einem Punkt hatten wir uns wohl irgendwie an die Situation gewöhnt.« Dabei war es oft nicht leicht, wie Florian erzählt: »Es ging mir schlecht, die erste Woche habe ich kaum geschlafen. Es ist nicht komisch, mitten in der Nacht mehrmals ins Treppenhaus zu rennen, weil das der einzig vermeintlich sichere Ort im Haus ist.« Über Sätze von Freunden, die Hamas habe doch nur »ein paar popelige Bomben«, ist er richtig wütend geworden. »Die haben keine Ahnung. Mit diesen Raketen zu leben, ist echter Terror.«
Ihr Aufenthalt in Israel hat großen Eindruck auf die jungen Deutschen gemacht. »Es ist so eine irre intensive Erfahrung und berührt uns sehr stark.« Florian, der in Berlin oft in der linken Szene unterwegs ist, wo Israel Streitthema sei, sagt: »Jetzt, wo wir hier Menschen kennen, mit ihnen verbunden sind, ist das natürlich noch viel emotionaler geworden.« In den drei Monaten hier hat er viel gelesen und sich mit seinem Freund ausgetauscht. Jetzt versucht der 24-Jährige, Freunden in E-Mails und Gesprächen die Situation zu erklären. »Oft ist es ein totales Halbwissen, das da verbreitet wird. Ich weiß schon jetzt, dass ich Freunde verlieren werde, wenn ich zurückkomme.«
Reflex Davon geht auch sein Kommilitone aus. »Wir sind hier und sehen, wie die Leute in Europa plötzlich wie aus einem irrsinnigen Reflex heraus gegen Israel protestieren. Wir lesen Dinge wie: ›Genozid in Gaza‹ und fragen uns, was geht da ab? Das ist sehr beschämend.« Rechtfertigen mussten sie sich nie für die Geschehnisse in Berlin, Paris und anderswo. »Wir haben allerdings auch gleich klargemacht, wie völlig scheiße wir das finden.«
Und wie haben die Israelis darauf reagiert, dass die jungen Deutschen nicht prompt ihre Koffer packen, um dem Raketenhagel zu entfliehen? »Die Kollegen haben jeden Morgen gefragt, wie es uns geht, wie die Nacht war. Aber sonst wurde es nicht besonders erwähnt. Wir waren einfach hier – und das war gut so.«
Am liebsten würden sie gleich hierbleiben, sagen beide, während sie über die staubige Erde der Negevwüste hinter dem Forschungszentrum gehen. Ein kleiner Trost ist ihnen, dass sie wissen: Sie kommen wieder. »Es ist ein wunderschönes und ganz besonderes Land. Und das liegt nicht nur an der Sonne.« Nach ihrer Rückkehr wollen sie Antisemitismus offensiver begegnen. »Wir haben uns schon überlegt, ob wir nicht mal mit einer blau-weißen Kippa durch Kreuzberg und Neukölln spazieren sollten ...«