Es wird still. Jom Kippur, der heiligste Tag des jüdischen Kalenders, hält Einzug. Israel bereitet sich auf das Ruhen des gesamten öffentlichen Lebens vor – und ist gleichzeitig in erhöhter Alarmbereitschaft angesichts einer Rekordzahl von Terrorwarnungen.
Der Versöhnungstag Jom Kippur, den die meisten traditionellen und religiösen Juden mit Fasten, Gebeten und innerer Einkehr begehen, beginnt in Jerusalem um 17.45 Uhr (israelische Zeit). Wenn sich der Sonnenuntergang am Dienstag nähert, verstummen alle lokalen Fernseh- und Radiokanäle allmählich und senden nicht bis zum Ende der 25-stündigen Fastenzeit. Jom Kippur endet am Folgetag um 18.55 Uhr in Jerusalem.
FLÜGE Bereits ab Dienstagnachmittag werden alle Flüge zum und vom Flughafen Ben Gurion eingestellt, Überflüge sind ebenfalls verboten. Der öffentliche Verkehr sämtlicher Busse und Bahnen ist ausgesetzt, und auch Pkw dürfen lediglich im Notfall fahren.
Dafür übernehmen die mit Muskelkraft betriebenen Räder wie in jedem Jahr die Straßen von Kiriat Schmona bis nach Eilat: Jung und Alt düsen auf Fahrrädern, Rollern, Skateboards und Rollschuhen durch die Städte, über autofreie Land- und Schnellstraßen. Für sie ist Jom Kippur der Feiertag der Fahrräder.
»Lasst uns in diesem einenden Moment für den Frieden untereinander beten.«
Rabbiner shmuel rabinovitch
Religiöse Israelis halten das Fastengebot an Jom Kippur strikt ein, doch auch viele Säkulare beteiligen sich daran. Die letzte aktuelle Umfrage veröffentlichte das Israel Democracy Institut im Jahr 2019. Damals gaben 60,5 Prozent aller jüdischen Landesbewohner an, weder Speisen noch Getränke zu sich zu nehmen. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) sagten zudem, sie wollen an mindestens einem Gottesdienst in einer Synagoge teilnehmen.
SLICHOT Das hatten Tausende von Menschen bereits an den Tagen vor Jom Kippur getan und waren an die Kotel in Jerusalem gepilgert. Der Slichot-Gottesdienst, eine Litanei von Buß- und Bittgebeten, wird bereits Tage vor Rosch Haschana bis zum Versöhnungstag jeden Abend abgehalten. In dieser Zeit sind nach Angaben der Western Wall Heritage Foundation mehr als eine Million Gläubige an die Heilige Stätte gekommen, um Slichot zu sagen.
Am Montag hatten die beiden Oberrabbiner Israels, der aschkenasische Rabbi David Lau und der sefardische Rabbi Yitzhak Yosef, gemeinsam mit Bürgermeister Moshe Lion und dem Rabbiner der Klagemauer, Shmuel Rabinovitch, das Gebet geleitet. »Lasst uns in diesem einenden Moment für den Frieden untereinander beten. Lasst uns beten, dass es uns immer gelingt, das Gute unserer Nachbarn zu sehen und nicht, was ihnen fehlt. Lasst uns beten, dass wir miteinander in Einheit, Brüderlichkeit und Liebe verbunden sind«, so Rabinovitch in der Eröffnungspredigt.
SCHLIESSUNG In den Palästinensergebieten ist die Lage währenddessen weiterhin angespannt. Die israelische Armee IDF ist in Alarmbereitschaft und verhängte eine Schließung des Westjordanlands und des Gazastreifens, eine gängige Praxis an jüdischen und israelischen Feiertagen. 26 Militäreinheiten würden über Jom Kippur Verstärkung erhalten, Tausende israelische Soldaten im Westjordanland und entlang der Sicherheitsbarriere Wache halten, gab die IDF an.
Medienberichten zufolge haben die Geheimdienste mehr als 80 Warnungen oder Tipps über mögliche Terroranschläge erhalten, während sich jüdische Israelis auf Jom Kippur vorbereiten. In den letzten Wochen war es wiederholt zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Palästinensern in Ost-Jerusalem sowie der Jerusalemer Altstadt und zu Anschlägen im Westjordanland gekommen.