Fast 50 traumatisierte Besucher des Nova-Festivals, die das Hamas-Massaker am 7. Oktober überlebt haben, sollen in den letzten sechs Monaten durch Selbstmord gestorben sein, weil sie die Tragödie nicht bewältigen konnten. Dies gab ein Überlebender am Dienstag in Israel bei einer parlamentarischen Anhörung einer staatlichen Prüfungskommission zur psychischen Behandlung der Überlebenden vom 7. Oktober bekannt.
»Nur wenige wissen davon, aber es fanden fast 50 Suizide unter den Nova-Überlebenden statt. Diese Zahl ist bereits zwei Monate alt, die Rate dürfte also um einiges gestiegen sein«, sagte Guy Ben Shimon, ein Überlebender des Festivals. Ben Shimon erzählte bei der Anhörung, dass viele seiner Freunde, die dem Massaker entkommen waren, sich von dem, was sie gesehen hatten, nicht erholen mehr konnten.
Es gebe viele Überlebende, die aufgrund ihres psychischen Zustands hospitalisiert werden mussten. »Meine Freunde kommen nicht aus dem Bett, ich auch nicht«, beschrieb er ihren Zustand seit dem Angriff vom 7. Oktober.
Mutmaßliche Versäumnisse
»Auch ich bin praktisch nicht in der Lage, etwas zu tun. Ich habe einen Hund gebraucht, der mir hilft, in meinem täglichen Leben zu überleben. Es ist unser aller Ziel, zur Arbeit zurückzukehren und normal zu funktionieren, aber ohne angemessene Hilfe, sind wir nicht in der Lage, dies zu schaffen«, fügte Ben Shimon hinzu.
Im Mittelpunkt der Anhörung standen mutmaßliche Versäumnisse staatlicher Stellen gegenüber den Überlebenden des 7. Oktobers. Es wurden zahlreiche Beschwerden wegen meist bürokratischen Schwierigkeiten eingereicht, womit die Überlebenden bei der Anerkennung ihrer posttraumatischen Belastungsstörung sowie beim Erhalt der benötigten Mittel offenbar konfrontiert waren.
Nova-Überlebende forderten daher diese Woche vor der Knesset mehr psychische und medizinische Hilfe im Rahmen von Behandlungen. Jüngsten Studien zufolge warten seit dem 7. Oktober 600.000 Israelis auf psychologische Unterstützung.
Dementi vom Ministerium
Das israelische Gesundheitsministerium dementierte die Aussage, wonach fast 50 Festivalbesucher Selbstmord begingen. Wie viele Überlebende sich tatsächlich das Leben nahmen, wisse man nicht, hieß es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung. Das Ministerium gibt an, keine Informationen oder Statistiken dazu zu haben.
»Daten und Zahlen zu den mutmaßlichen begangenen Suiziden sowie die Zahl der Krankenhauseinweisungen unter Überlebenden des Nova-Festivals sind dem Gesundheitsministerium und dem psychiatrischen System nicht bekannt bzw. falsch«, sagte Gilad Bodenheimer, der zuständige Leiter der Abteilung für psychische Gesundheit im Gesundheitsministerium, der bei der Anhörung der Nova-Überlebenden anwesend war.
Bodenheimer erklärte weiter, eine vom Nova-Gemeinschaftsverband in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen durchgeführte Untersuchung belege, dass entsprechende Daten nicht vorhanden seien. »Es gibt Personen, die sich das Leben genommen haben, aber die Verbreitung falscher Daten kann Schaden anrichten.«
Psychologische Betreuung
Während der Anhörung erzählten die Überlebenden von ihrem täglichen Kampf seit dem Massaker. »Warum muss ich ständig beweisen, was ich erlebt habe? Warum muss ich auf die Details meiner Erlebnisse zurückgreifen, damit man mir glaubt?«, kritisierte Naama Eitan, eine weitere Überlebende des Musikfestivals während der Anhörung.
Daraufhin berichtete sie: »Ich habe an einer Studie teilgenommen, die meinen Puls und andere Parameter überwachen und zeigen sollte, wie schlecht es mir geht. Ich schlafe durchschnittlich zwei Stunden pro Nacht. Jeden Morgen um sieben Uhr erlebe ich noch einmal jenen Moment, als ich im Gebüsch versteckt war und die Terroristen an mir vorbeizogen. Ich kann mich nicht mehr alleine bewegen, ich brauche ständige Begleitung.«
Ohne ihren Psychologen könne sie gar nicht dort in der Anhörung sein. Dann fragte Eitan die Anwesenden, warum Überlebende nur 24 Behandlungen erhalten würden. Ein weiterer Überlebender sagte, er wisse von einigen seiner Freunde, die beschlossen hätten, »aufzugeben«. Nach Angaben des Ministeriums für Wohlfahrt und Soziales werden derzeit 1700 der 3800 Überlebenden des Nova-Massakers psychologisch betreut.
Schmerzhaft und tragisch
Ebenfalls an der öffentlichen Anhörung teilgenommen haben Vertreter der Organisation »For Life«, die sich auf nationaler Ebene mit der Prävention von Suiziden und der Unterstützung von Familien, deren Angehörige Selbstmord begangen haben, befasst: »Unsere Organisation überwacht ständig die Zahl der Suizide in Israel. Stand heute und nach einer Untersuchung bei den zuständigen Stellen scheint es, dass es unter den Nova-Überlebenden eine Reihe einzelner Fälle gibt, jedoch nicht Dutzende«, hieß es von Seiten »For Life«.
Jeder Fall sei schmerzhaft und tragisch, und es müsse alles dafür getan werden, um Suizide unter den Überlebenden und im Allgemeinen zu verhindern. Eine Ausschreibung für die Ernennung von Gutachtern für Selbstmordfälle wurde erst kürzlich veröffentlicht, und man gehe davon aus, dass sie besetzt sei.
»Damit weniger Zweifel an der Zahl der Suizide aufkommen und wir in der Lage sind, in Echtzeit zu reagieren, ist es immer notwendig, das Ausmaß der Suizide zu kennen, insbesondere in Krisenzeiten«, fügte die Organisation hinzu.
Wenn Sie sich in einer akuten Krise befinden, wenden Sie sich bitte an Ihren behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten, die nächste psychiatrische Klinik oder wählen Sie den Notruf unter 112. Sie erreichen die Telefonseelsorge rund um die Uhr und kostenfrei unter 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222.