Unter den Entführungsopfern der islamistischen Terrorgruppe Hamas sind auch deutsche Staatsangehörige. Ihre Familien forderten beim Israel-Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock am Freitag ein schnelles und energisches Handeln der Bundesregierung. Im südisraelischen Netivot trafen zwei Betroffene mit der Ministerin zusammen. Nach Angaben des israelischen Präsidenten Issac Herzog von Donnerstag gelten sieben Deutsche weiter als vermisst. Am Sonntagabend sagte Baerbock in der ARD, derzeit gebe es keinen Kontakt zu deutschen Geiseln.
»Deutschland muss all seine Mittel nutzen, um bei der Freilassung der Geiseln zu helfen«, sagt Joni Ascher auf Anfrage. Seine Frau Doron (34), seine beiden Töchter Aviv (2) und Raz (5), seine Schwiegermutter Efrat und ihr Partner Gadi sind seit 7. Oktober vermisst. Seither lebe er »von Sekunde zu Sekunde, von Gedanken zu Gedanken und verliere die Hoffnung«.
Dramatische Geiselnahme
Joni Ascher schildert den Morgen, als er zum letzten Mal Kontakt zu seiner Frau hatte. »Meine Frau war mit den Kindern in Nir Oz, um ihre Mutter zu besuchen. Am Morgen rief sie mich an und flüsterte, sie höre Schüsse und dass Personen ins Haus eindringen. Wir wurden unterbrochen - und das war der letzte Anruf.« Die braunen Augen mit tiefen Ringen halten kaum den Blickkontakt. Auf einem von der Hamas veröffentlichten Video erkannte Ascher seine Familie. Es zeigt sie mit zwei Terroristen.
Weitere Informationen gibt es nicht - obwohl er seither ruhelos versucht, irgendetwas über ihren Verbleib herauszufinden. »Zeit ist ein kritischer Faktor. Mit jedem Tag steigt die Gefahr, dass sie verletzt werden. Meine Frau und eine meiner Töchter brauchen ihre Medikamente.« Die Bundesregierung, fordert Joni Ascher, »muss handeln, und zwar schnell«.
»Das deutsche Volk hat Verantwortung für uns. Wir wollen jetzt sehen, dass das passiert«, sagt auch Gili Roman. Seine Schwester Jarden wird seit Samstag vermisst und wurde mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls in den Gazastreifen entführt. »Wir haben ein deutsches Erbe. Es ist kein Zufall, dass wir deutsche Staatsbürger sind«, so Roman. Deutschland müsse »Taten vor Ort zeigen«, so wie es die USA und Großbritannien bereits täten.
Jarden war mit ihrem Mann Alon und dem dreijährigen Sohn Gefen zu Besuch bei ihrer Schwiegerfamilie im Kibbutz Beeri an der Grenze zum Gazastreifen, wo sie nach Schilderungen ihres Bruders aus dem Haus entführt wurden. »Sie hat sich heldenhaft verhalten. Sie ist aus dem fahrenden Auto der Terroristen entkommen, mit Gefen in ihren Armen.« Dann habe sie das Kind ihrem Mann in die Arme gedrückt, in der Hoffnung, dass er schneller laufen und sich retten könne.
Alon und Gefen überlebten. Von Jarden fehlt seither jede Spur. Intensive Suchaktionen mit Sondereinheiten ergaben keinen Hinweis - »aber wir haben auch kein Blut und keine Leiche gefunden«, so Roman. Er geht davon aus, dass die Terroristen seine Schwester auf der Flucht ein zweites Mal entführten.
»Die Geschichte meiner Schwester ist die Geschichte, die ich mein ganzes Leben als jüdisches Erbe gehört habe«, sagt Gili Roman. Dies müsse ein für allemal gestoppt werden; »niemals wieder«, die beiden Worte, die nach dem Holocaust zum klaren Bekenntnis gegen Faschismus und Antisemitismus geworden sind.
Angehörige der Geiseln hoffen auf Regierungen
Gili Romans Stimme bricht, als er über die unvorstellbare Sorge um seine Schwester spricht. Seit Tagen setzt Israels Armee ihren Kampf gegen die Hamas mit Luftschlägen und seit Freitag auch mit Razzien im Gazastreifen fort. Er habe die Truppen vor Ort gesehen und vertraue ihrem Urteil, sagt Roman. Er wolle auch der israelischen Regierung vertrauen, dass sie das Leben der Geiseln bei ihren Entscheidungen mit berücksichtigt.
Baerbock appellierte am Freitag »nicht nur als deutsche Außenministerin, sondern auch als Mensch und Mutter« an die Hamas und ihre Verbündeten, die Unschuldigen freizulassen. Auch Gili Roman fordert die Freilassung aller Geiseln, nicht nur seiner Schwester. Bestimmt sagt er: »Ich bin überzeugt, dass wir uns an einem historischen Ort und in einem historischen Moment befinden, in dem wir die Möglichkeit haben, das Richtige zu tun.«