Einst galt sie als sein Sprachrohr. Für die ehemalige Ministerin für öffentliche Diplomatie, Galit Distel Atbaryan, konnte das Lob für Premierminister Benjamin Netanjahu lang Zeit gar nicht groß genug ausfallen. Auch galt sie als glühende Unterstützerin der kontroversen Justizreform der rechts-religiösen Koalition in Jerusalem. Bis zum 7. Oktober.
Jetzt hat sich die Meinung von Distel Atbaryan um 180 Grad gedreht. »Ich habe eine große Wut auf Netanjahu, eine Wut, die mich von innen verbrennt«, schrieb sie an eine Aktivistin gegen die Regierungspolitik und fügte hinzu: »Die Tage dieser Regierung sind gezählt, das ist völlig klar.« Die Politikerin ist Mitglied von Netanjahus rechtskonservativem Likud.
Fünf Tage nach dem blutigen Massaker der Terrororganisation Hamas auf südliche Gemeinden in Israel, bei dem mindestens 1200 Menschen getötet und etwa 240 als Geiseln nach Gaza verschleppt wurden, trat sie von ihrem Posten zurück. Damals gab sie als Grund an, dass die Regierung ihre Befugnisse außer Kraft gesetzt habe und sie meine, dass sämtliche Gelder an die Kriegsbemühungen Israels fließen müssten.
Protest gegen Netanjahus Sicherheitspolitik
Doch offenbar war das nur ein Teil der Wahrheit. In der privaten WhatsApp-Konversation, die Distel Atbaryan später öffentlich bestätigte, bezeichnete sie ihren Rücktritt als Protest gegen Netanjahus Sicherheitspolitik, die es der Hamas ermöglichte, neben der Hisbollah-Terrorgruppe im Libanon zu florieren und so stark zu werden.
»Sie wissen nicht, wie Netanjahu mich gebrochen hat. Und ich halte den Mund«, schrieb sie und drohte dann: »Sobald dieser Krieg zuende ist, werde ich alles verraten.« Monatelang habe sie ihre persönliche Wut auf den Premierminister unterdrückt. »Die Wut über die Monster, die unter seinen Regierungen im Süden und Norden wuchsen, hat mich kaputtgemacht und zum Rücktritt geführt.«
»Sobald dieser Krieg zuende ist, werde ich alles verraten.«
Ex-Diplomatieministerin galit distel atbaryan
Zur selben Zeit forderte Oppositionsführer Yair Lapid den Ministerpräsidenten auf, sein Amt niederzulegen, weil die »Regierung unfähig ist, diesen Krieg gegen die Hamas zu führen«. Netanjahu müsse »jetzt, während der Kämpfe, gehen«, sagte der Vorsitzende der Zentrumspartei Jesch Atid. Es ist das erste Mal seit Kriegsbeginn, dass Lapid offen den Sturz des Premierministers fordert und anderen Mitglieder des Likud anbietet: »Wir würden der Regierung unter einem anderen Premier vom Likud beitreten.«
Angeblich befände er sich mit Mitgliedern der Regierungspartei in Verhandlungen. »Es gibt dort viele Menschen, die verstehen, dass es dem Land schlecht geht«, so Lapid weiter. »Denn diese Regierung funktioniert nicht. Wir brauchen Veränderungen und können es uns nicht erlauben, einen längeren Kampf mit einem Premierminister zu führen, in den die Öffentlichkeit kein Vertrauen hat.«
Lapid will nationale Wiederaufbauregierung
Lapid sagte, er sei bereit, eine »nationale Wiederaufbauregierung« unter der Führung des Likud mit ultraorthodoxen Parteien, Avigdor Libermans säkularer Partei Israel Beitenu und dem Bündnis Nationale Einheit von Benny Gantz zu bilden, betonte jedoch: »Netanjahu kann sie nicht anführen.«
Lapid war dem Kriegskabinett, das sechs Tage nach dem Hamas-Angriff gebildet worden war, nicht beigetreten. Er hatte seinen Beitritt davon abhängig gemacht, dass die beiden rechtsextremen Politiker, Finanzminister Bezalel Smotrich, der den religiösen Zionismus anführt, und Itamar Ben Gvir, Vorsitzender von Otzma Yehudit, von der Regierung ausgeschlossen werden. Netanjahu hatte das abgelehnt.
Die regierende Likud-Partei unter Netanjahu kritisierte Lapid für seine Äußerungen und warf ihm vor, eine Regierung bilden zu wollen, die einen palästinensischen Staat anstreben würde. Jesch Atid konterte, dass Lapid eine vom Likud geführte Koalition vorschlägt, mit einem Likud-Premier, der allerdings nicht Netanjahu ist. »So beginnen wir mit der nationalen Heilung.«