Nur einige Wochen nach ihrem Zusammenschluss erlebte die neue israelische Regierungskoalition ihre erste Krise. Am 6. Juli scheiterte die Abstimmung zur Verlängerung der Regelung, die die Familienzusammenführung von Palästinensern aus dem Westjordanland und Gaza mit israelischen Staatsbürgern aussetzt. Die Regelung betrifft hauptsächlich arabische Israelis und unterwirft sie dadurch de facto einer Gruppenbehandlung, ohne jeden Fall individuell zu prüfen.
Der Hintergrund: Während der zweiten Intifada wurden mehr als 20 terroristische Aktivitäten von Palästinensern verübt, deren Aufenthalt in Israel durch die Familienzusammenführung zustande gekommen war. Um diese Sicherheitslücke zu schließen, verabschiedete die Knesset 2003 einen befristeten Zusatz zum Einreisegesetz, der seitdem jährlich verlängert wurde. Seit einem weiteren Zusatz aus dem Jahr 2007 bezieht sich die Aussetzung der Familienzusammenführung auch auf Ehepartner aus dem Iran, Libanon, Syrien und Irak. Darüber hinaus ist die Familienzusammenführung in Einzelfällen möglich, wenn es sich um Frauen, die älter als 25 Jahre sind, oder Männer über 35 Jahre handelt.
SICHERHEIT Von Beginn an haben sowohl arabische als auch Abgeordnete der linken Partei Meretz für die Abschaffung der Regelung gekämpft. Sie sehen das Sicherheitsargument als vorgeschoben an und halten die Regelung für ein Instrument zur demografischen Kontrolle. Die Menschenrechtsorganisation Adalah klagte schon 2003 mit dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit aufgrund der Diskriminierung arabischer israelischer Staatsbürger. Das Oberste Gericht konnte daraufhin die Entscheidung der Legislative nur mit einer knappen Mehrheit von sechs zu fünf Stimmen aufrechterhalten. Die Abkehr von der Prämisse der individuellen rechtlichen Gleichbehandlung wurde mit Sicherheitsbedenken begründet.
Den rechtsnationalen Parteien geht die Regelung über die ausgesetzte Familienzusammenführung andererseits nicht weit genug. Aus ihrer Sicht ist eine als temporär angelegte Maßnahme, die jährlich verlängert werden muss, unzureichend. Auch sie argumentieren demografisch. Demnach solle Israel als jüdischer Staat endlich ein permanentes Gesetz zur Kontrolle der nichtjüdischen Einreise und Niederlassung verabschieden, das im Sinne des exklusiven jüdischen Charakters des Staates konstruiert sei.
Diese Argumentation wurde in der Nacht der Abstimmung von rechtsnationalen Parteien der Opposition vorgetragen. Sie ist inhaltlich nicht neu, spielte jedoch für die jährliche Verlängerung in den vergangenen 17 Jahren keine Rolle. Die Abstimmung verlief bis jetzt jedes Mal problemlos, fand sich doch immer eine Mehrheit ohne arabische Parteien und Meretz, um die Regelung routinemäßig zu verlängern. Unabhängig davon, ob für sie demografische oder Sicherheitsüberlegungen ausschlaggebend waren, stellte die Regelung für die Mehrheit der Abgeordneten einen gemeinsamen Nenner dar.
Die Angelegenheit trifft die neue Koalition an ihrem wunden Punkt.
Der Grund für die Entscheidung der rechten jüdischen Oppositionsparteien, und allen voran des Likud, diesmal dagegen zu stimmen, erklärt sich primär aus dem Wunsch, die neue Koalition zu sprengen. Ihr taktisches Vorgehen zeigt auch ihre Geschlossenheit hinter dem Oppositionsführer Benjamin Netanjahu.
BRUCHLINIEN Die Bruchlinien innerhalb der Koalition stehen im starken Kontrast dazu. Zwei von vier Abgeordneten der islamistischen Koalitionspartei Raam, der ersten unabhängigen arabischen Partei in einer israelischen Regierungskoalition, enthielten sich. Ein Abgeordneter der religiös-nationalen Jamina-Partei, die als weiterer Koalitionspartner mit Naftali Bennett den Premierminister stellt, stimmte dagegen. Aus einer bisher rein formellen Abstimmung wurde für die Koalition aus Juden, Arabern, Linken und Rechten ein nicht überwindbarer Kraftakt.
Im Vorfeld versuchte die Innenministerin Ayelet Shaked von Jamina, den Entwurf noch derart zu modifizieren, dass ein Kompromiss für die Koalitionspartner möglich wäre. So sollte die Regelung nur für ein halbes Jahr verlängert werden. Außerdem wurde die Abstimmung an ein Vertrauensvotum gekoppelt. Die Gefahr einer Regierungsauflösung brachte die Partei Meretz, die früher immer dagegen gestimmt hat, zum Einlenken. Das Ergebnis von 59 zu 59 Stimmen rettete die Regierung, konnte aber dennoch keine Mehrheit zur Verlängerung der Aussetzung der Familienzusammenführung herbeiführen.
Unter den gegenwärtigen Umständen muss die Innenministerin von nun an jeden Fall einzeln prüfen. Damit erhöht sich jedoch die Chance auf eine erneute Klage vor dem Obersten Gericht. Das Sicherheitsargument könnte diesmal scheitern. Israel hat mittlerweile andere Möglichkeiten, um die Sicherheit zu gewährleisten.
Die Angelegenheit trifft die neue Koalition an ihrem wunden Punkt, nämlich den konträren Auffassungen über komplizierte Fragen zur Beschaffenheit und Zukunft des Staates. Die Hoffnung darauf, dass sie kontroverse Sachverhalte zunächst ausklammern könnte, hat sich nicht bewährt. Die Opposition wird diese Schwäche für sich nutzen und versuchen, auch zukünftig bei jeder Gelegenheit Grundsatzdebatten anzustoßen – und die neue Koalition vorzuführen.