Die Israelis sind fleißig. In den meisten Familien arbeiten beide Elternteile Vollzeit, gehen täglich ins Büro, in den Laden oder in die Fabrik. Und trotzdem können sich viele Menschen in dem kleinen Nahoststaat immer weniger leisten. Jetzt hat die neue rechtsreligiöse Regierung einen Plan zur Senkung der exorbitanten Lebenshaltungskosten vorgestellt.
Dabei geht es für die meisten nicht um teure Urlaube, Restaurantbesuche oder das neue Handy. Mehr als ein Viertel aller Haushalte (26 Prozent) ist oft nicht in der Lage, die grundlegenden Kosten des Monats zu bestreiten, verzichtet auf Arztbesuche oder Medikamente. Für 2023 müssen sich die meisten aufgrund der weiter steigenden Preise im Supermarkt mit der Tatsache auseinandersetzen, dass sie noch weniger kaufen können als vor einigen Monaten.
oecd-staaten Laut einem aktuellen Bericht der nationalen Sozialversicherungsbehörde Bituach Leumi ist Israels Armutsquote im Jahr 2021 auf 20 Prozent gestiegen – das entspricht zwei Millionen Menschen. Damit ist Israel nach Costa Rica die zweitärmste unter den Industrienationen. Überraschend, da das Land unter den OECD-Staaten (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) auf Platz vier der »leistungsstärksten Volkswirtschaften« rangiert.
Doch das Problem ist alles andere als neu. Die Direktorin von Bituach Leumi, Yarona Shalom, weiß, dass Israel seit vielen Jahren von Armut und Ungleichheit heimgesucht wird. »Um mit den Ungleichheiten in der Gesellschaft fertigzuwerden, ist einerseits eine Erhöhung der Beihilfen erforderlich und andererseits die Bereitstellung von Instrumenten.«
Bituach Leumi empfahl der Regierung, einzugreifen und die Sozialleistungen für Familien mit niedrigem Einkommen zu erhöhen
Sozialminister Yoav Ben-Tzur weigere sich, »die Realität zu akzeptieren, in der Senioren, Kinder und Familien in Armut leben. Das ist eine schreckliche Sache, die eine reformierte und moralische Gesellschaft nicht hinnehmen kann«.
not Akzeptieren oder nicht. Für viele ist die »schreckliche Sache« Alltag. Wie für die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, Kathy Surcher-Smith. Die Angestellte mit Hochschulabschluss arbeitet ebenfalls Vollzeit, und doch reicht es nicht annähernd. Sie erzählte dem Radiosender 103FM, wie ihre finanzielle Not so groß wurde, dass sie einen Post in den sozialen Netzwerken absetzte, in dem sie eine ihrer Nieren zum Verkauf anbot.
»Die Lage ist schmerzhaft und schockierend. Aber genau darin stecke ich. Ich fühle mich, als würde ich ersticken.« Es seien die laufenden Ausgaben, Miete, Schule, Lebensmittel, die alles auffräßen. »Als die Miete um 1000 Schekel erhöht wurde, war das eine Lücke, die ich nicht mehr schließen konnte.« Obwohl die Kosten für ihre Wohnung sogar unter dem Marktpreis lägen.
Dabei, meint Surcher-Smith, sei sie noch besser dran als andere, denn die meisten alleinerziehenden Mütter in Israel verdienten nicht einmal so viel wie sie. »Man kann reduzieren, verzichten, sparen. Aber man kann nicht aufhören zu leben. Ich habe keine Angst vor harter Arbeit – doch das reicht nicht.« Die junge Mutter hat ihren Post übrigens schnell wieder gelöscht. Organverkauf ist in Israel strikt verboten.
Bituach Leumi empfahl der Regierung im Nachgang des aktuellen Berichtes, einzugreifen und die Sozialleistungen für Familien mit niedrigem Einkommen zu erhöhen sowie Arbeitnehmer zu unterstützen, die unter der Armutsgrenze leben. Das monatliche Kindergeld etwa beträgt gerade einmal 42 Euro pro Kind.
Doch davon war bei der Pressekonferenz zur Senkung der Lebenshaltungskosten mit Premierminister Benjamin Netanjahu und Finanzminister Bezalel Smotrich von der ultrarechten Partei Religiöser Zionismus nichts zu hören.
last Dennoch stellte die Regierung ein Paket vor, das die finanzielle Last für israelische Bürger erleichtern soll. Bei diesen »ersten Schritten« soll die Grundsteuer ein Jahr lang eingefroren werden. Strom werde nicht acht, sondern »nur« 2,5 Prozent teurer. Ähnliches gilt für den Wasserpreis – die angekündigten Erhöhungen um 70 Prozent sollen lediglich gesenkt werden.
»Die Regierung, die ich führe, hat ihre Arbeit begonnen. Wir fühlen uns allen israelischen Bürgern verpflichtet«, betonte Netanjahu. »Das Erste, womit wir uns befassen, sind die Lebenshaltungskosten.« In den vergangenen eineinhalb Jahren sei der Markt in eine Inflationsspirale geraten, und die Zinsen in die Höhe geschossen, führte der Premier aus. »Das schadet den Familien und führt dazu, dass die Hypotheken für fast jeden Haushalt steigen.«
Die Armutsquote ist auf 20 Prozent gestiegen, das entspricht zwei Millionen Menschen im Land.
Bei den angekündigten finanziellen Erleichterungen für die Israelis handelt es sich allerdings nicht um direkte Preissenkungen, sondern hauptsächlich um einen Stopp weiterer Erhöhungen für verschiedene Dienstleistungen und Steuern. Vor allem die Kosten für Dinge des täglichen Bedarfs und Wohnraum waren in den vergangenen Monaten weiter in die Höhe geschnellt. Im vergangenen Jahr allein hatten sich Immobilien um 20,3 Prozent verteuert.
Auch Lebensmittel waren in vielen Bereichen, von Obst und Gemüse über Dosenwaren bis zu Getränken, teurer geworden. In den kommenden Monaten wird erwartet, dass die Preise für Milchprodukte – trotz staatlicher Subventionen in Höhe von 15 Prozent – auch wieder steigen werden. Dabei kostet ein Liter Milch heute schon fast zwei Euro, der kleine Joghurtbecher 1,20 Euro.
versprechen Dennoch meint Netanjahu, die von ihm angekündigten Schritte würden »den Anstieg der Lebenshaltungskosten verlangsamen und den Kurs umkehren«. Demnächst wolle er es mit den Immobilienpreisen aufnehmen. Ebenso werde er sein Wahlkampfversprechen halten und die kostenlose Betreuung für Kinder unter drei Jahren voranbringen. Sollte er dies in die Tat umsetzen, wäre es allerdings eine große Erleichterung vor allem für kinderreiche Familien. Kinderbetreuung wird in diesem Segment ausschließlich von privaten Dienstleistern angeboten und kostet oft Tausende von Schekeln monatlich.
Smotrich kündigte zudem eine Reihe von »Strukturreformen« an, um Monopole zu brechen, was die Preise langfristig senken soll. Außerdem würden rund 100.000 Kleinunternehmen von Strompreiserhöhungen ausgenommen und berechtigte Verbraucher kleine Zuschüsse in Höhe von etwa 60 bis 90 Euro für ihre Heizkosten in diesem Winter erhalten.
Der Nachrichtensender I24-News rechnete aus, wie viel die durchschnittliche israelische Familie im Monat durch die angekündigten Maßnahmen der Regierung einsparen würde (ohne Zuschüsse): bei der Grundsteuer etwa 1,70 Euro, beim Benzin drei, beim Strom rund sechs Euro und beim Wasser weniger als 50 Cent. Macht 11,20 Euro. Dafür gibt es in Israel noch nicht einmal eine Pizza. Die kostet im Restaurant inzwischen rund 20 Euro.