Koalition

Er droht mit Neuwahlen

Wegen Reform des öffentlich-rechtlichen Fernsehens stellt Netanjahu Ultimatum

von Sabine Brandes  21.03.2017 11:21 Uhr

Großes Rätselraten: Was will Netanjahu erreichen? Foto: Flash 90

Wegen Reform des öffentlich-rechtlichen Fernsehens stellt Netanjahu Ultimatum

von Sabine Brandes  21.03.2017 11:21 Uhr

Für diese Ankündigung erntete er sogar von den meisten engen Verbündeten nur noch Kopfschütteln: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu droht mit Neuwahlen. Der Grund ist allerdings keine handfeste Regierungskrise, sondern die Reform der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt. Netanjahu will mit dem Kopf durch die Wand und verhindern, dass die Reform durchgeführt wird.

Während der letzten Legislaturperiode hatte der damalige Kommunikationsminister Gilad Erdan die Erneuerung ins Rollen gebracht. Die alte »Israelische Sendebehörde« (IBA) sei unbeweglich, überteuert und redundant, so sein Fazit. Zeit, sie generalzuüberholen und eine neue mit Namen »Kan« (hebräisch: Hier) zu bilden. Diese sollte politisch unabhängiger sein als ihr Vorgänger. Doch gerade das will der Premier offensichtlich nicht. Persönlich hatte er die Eröffnung mehrfach verzögert. Mit aller Macht will Netanjahu die Reform der staatsfinanzierten Medien aufhalten. Und er macht aus seinem Vorhaben, sie zu seinen Gunsten auszurichten, nicht einmal mehr einen Hehl.

Kehrtwende Doch jetzt zog Finanzminister Mosche Kachlon die Notbremse, indem er in der vergangenen Woche entschlossen verkündete, dass die Reform »nicht einen Tag länger aufgeschoben wird«. Zunächst konnten die beiden einen Kompromiss erreichen und entschieden, dass Kan am 30. April eröffnet wird. Allerdings stellte Netanjahu eine Bedingung: Die Regierung solle alle Fernseh- und Radiostationen im Land überwachen. Der Finanzminister stimmte zu. Doch am Samstag kam plötzlich die Kehrtwende. Wieder einmal bemühte Netanjahu Facebook und ließ wissen, dass er seine Meinung geändert habe. Am selben Tag berichtete der Fernsehkanal 2, der Premier habe vertrauten Ministern erklärt, dass er, wenn die Reform nicht gekippt werde, Neuwahlen einleiten werde. »Es sei ihm sehr ernst gewesen.« Gleich nach der Ankündigung reiste Netanjahu zum Staatsbesuch nach China.

Bereits 2014 hatte Netanjahu selbst die Auflösung seiner eigenen Regierung angeordnet. Angeblich, weil die Chefs der Koalitionsparteien, Zipi Livni als Justizministerin und Yair Lapid im Finanzressort, den Aufstand geprobt hatten. Doch vor wenigen Wochen erklärte der Regierungschef persönlich im Zuge der Ermittlungen wegen Korruption in den sozialen Netzwerken, dass er seinerzeit das Ende der Regierung eingeleitet habe, um den Gesetzesvorschlag zu einem veränderten Presserecht zu torpedieren. Er schrieb: »Wir alle wissen, dass ich mich vehement gegen das Israel-Hayom-Gesetz gestellt habe« – die kostenlose Verteilung des Netanjahu-nahen Blattes sollte verboten werden –, »es ist auch bekannt, dass ich, als der Vorschlag von einer großen Mehrheit angenommen wurde, die Regierung aufgelöst und Wahlen angeordnet habe.«

Panik Regierungstreue Presse auf Kosten der Steuerzahler? Da wird sogar dem Innenminister der Koalitionspartei Schas, Arie Deri, angst und bange. »Es wäre unvertretbar, wenn es wegen einer Sendeanstalt Neuwahlen gäbe«, sagte er. »Der Wähler wird uns nie verzeihen, wenn wir deshalb die Regierung zu Fall bringen«, warnte er und kündigte an, dass er, wenn sein Chef aus China zurück ist, alle Minister in einem Raum versammeln und erst dann wieder herauslassen wolle, wenn es eine Lösung gibt.

Auch Yair Lapid von Jesch Atid meldete sich zu Wort: »Haben die den Verstand verloren?«, fragte er ungläubig. »So leitet man kein Land. Der Premier, der Finanzminister und andere in Führungspositionen kümmern sich um läppisches Politisieren und nicht darum, was für die Bürger von Bedeutung ist.« Den Vorschlag von Oppositionsführer Isaac Herzog, eine gemeinsame Union zu bilden, um die Regierung abzulösen, lehnte Lapid jedoch ab.

Präsident Reuven Rivlin bezeichnete das Geschehen schlicht als verrückt. »Der Staat Israel steht vor weitreichenden Entscheidungen in politischen, wirtschaftlichen und Sicherheitsangelegenheiten. Diese Krise ist künstlich herbeigeführt.«

Kann sich Netanjahu so sicher sein, dass er wiedergewählt wird? Darüber gehen die Meinungen in Israel auseinander. Manche sind überzeugt, dass sich der Premier tatsächlich in absoluter Sicherheit wägt, weil seine Koalition auf festen Beinen steht und es derzeit keine wirkliche Alternative gibt. Andere indes sind geneigt zu glauben, dass Netanjahu wegen der Korruptionsermittlungen gegen ihn zusehends in Panik verfällt und nach Wegen sucht, seine Legislaturperiode zu verlängern.

Verhör In den vergangenen Wochen hatten die Behörden ihn viermal stundenlang in zwei Verdachtsfällen wegen Korruption verhört. Ebenfalls vernahmen sie seine Ehefrau Sara und andere, die darin verwickelt sein könnten, darunter den Hollywood-Produzenten Arnon Milchan und den Herausgeber der Tageszeitung Yedioth Ahronoth, Arnon Mozes. Netanjahus wiederholte Versicherung, »es wird nichts dabei herauskommen, weil es nichts gibt«, wird von immer mehr Israelis infrage gestellt.

Eine andere Theorie lautet, dass Netanjahu nur auf einen Eklat gewartet habe, um seine Koalitionspartner und Parteikollegen, von denen in der letzten Zeit immer mehr gegen seinen Führungsstil rebellieren, wieder auf Kurs zu bringen. Erst vor wenigen Tagen hatte sich Yehuda Glick vom Likud auf Facebook über die »Kultur der Angst im Likud« ausgelassen. Mit Naftali Bennett vom Jüdischen Haus, der innerhalb der Koalition zusehends an Macht gewinnt, gerät der Premier regelmäßig aneinander. Und sogar zwei seiner Parteifreunde, Avi Dichter und Israel Katz, kündigten an, sich um den Chefposten zu bewerben, »wenn Netanjahu nicht mehr auf der Bildfläche ist«.

Von einem Szenario sind viele Politikexperten im Land überzeugt: Der Premierminister will der Opposition nur ungern Zeit geben, sich besser aufzustellen und dann beim tatsächlichen Wahltermin im November 2019 eine ernste Bedrohung für seine Regierung darzustellen. Allerdings kann Netanjahu auch bei einer Wiederwahl nicht sicher sein, ob alle Mitglieder der neuen Koalition seine Vorliebe für eine »positive Presse« so leidenschaftlich vertreten wie er selbst.

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