Der Ausflug ist abgesagt. »Ganz ehrlich«, meint David Weiß, »zu solchen Zeiten hasse ich es, in Nahost zu leben.« Der Familienvater aus Tel Aviv ist genervt und besorgt. Am Wochenende wollte er mit seinem Sohn in den Golan fahren, um wandern zu gehen. Das Hochplateau liegt an der Grenze zwischen Syrien und Israel. Der Trip war lange geplant. Nach den
jüngsten Berichten aber bleiben die Weiß’ zu Hause. »Ich habe ein mulmiges Gefühl. Der Norden ist im Moment kein guter Ort.« Seit Tagen überschlagen sich die Meldungen: Hat Israel Syrien beschossen? Wird Damaskus zurückschlagen?
In der vergangenen Woche waren zweimal Ziele in Syrien angegriffen worden, Berichten zufolge Waffentransporte für die Hisbollah. Obwohl es keine offizielle Stellungnahme aus Jerusalem gibt, erklärten Regierungssprecher: »Israel hat das Recht, sich zu verteidigen.« Viele Experten glauben, dass es die Strategie der Regierung sei, Stillschweigen zu wahren, um dem noch amtierenden syrischen Präsidenten Baschar al-Assad einen »Ausweg« zu ermöglichen, ohne dass er sein Gesicht verliert, wenn er Israel nicht angreift.
Außerdem wolle Israel klarmachen, dass es einzig daran interessiert sei, Waffenlieferungen an die Hisbollah zu verhindern. Man habe in keiner Weise vor, sich in den Bürgerkrieg einzumischen oder den Rebellen zu helfen, das Assad-Regime zu stürzen, heißt es. Laut Berichten in internationalen Medien hatte der am Freitag beschossene Konvoi hochentwickelte und zielgenaue Fateh-110-Raketen geladen, die an die libanesische Terrorgruppe hätten geliefert werden sollten.
Warnung In der New York Times erklärten syrische Quellen, bei dem Luftangriff vom Sonntag seien Dutzende von Elitesoldaten getötet worden. Einige der beschossenen Orte in Damaskus hätten sich in der Nähe des Präsidentenpalastes befunden. Zwar würde es eine existenzielle Gefahr für Assad darstellen, außer gegen die Rebellen zusätzlich gegen Israel kämpfen zu müssen. Trotzdem könnten die Warnungen aus dem Nachbarland kaum schärfer sein.
Eine regierungsnahe syrische Tageszeitung hatte am Dienstag geschrieben, dass die Regierung in Damaskus die Verantwortung an die Armee delegiert habe, »auf israelische Aggression zu reagieren«, ohne Rücksprache halten zu müssen. Zudem sollten palästinensische Fraktionen Anschläge auf den Golanhöhen ausführen. Die Hisbollah werde mit hochentwickelten Waffen beliefert. Angeblich haben die Syrer bereits eine ganze Reihe von israelischen Zielen im Visier, die mit Raketen beschossen werden sollen.
Einmischung Der israelische Rundfunk berichtete, an der Grenze zu Israel hätten libanesische Soldaten Stellung bezogen, um sofort zu melden, wenn sich ein israelisches Armeeflugzeug in den Luftraum des Libanon begeben sollte. Und auch der Iran mischt sich ein: »Israels Terror wird schmerzhaft wie ein Bumerang zurückschlagen«, hieß es aus Teheran.
Sätze, die in der israelischen Bevölkerung in diesen Tagen mit Sorge aufgenommen werden. »Die Regierung hält sich bedeckt, und wir müssen uns unseren eigenen Reim machen«, sagt Sigal Cohen wütend, als sie in der Postfiliale in Herzlija ansteht, um die Gasmasken ihrer Familie überprüfen zu lassen. »Selbstverständlich« sei sie wegen der Nachrichten aus Syrien hier. »Dieser Tyrann aus Damaskus ist verrückt. Wer sagt denn, dass er uns nicht auf einmal mit seinen Chemiewaffen beschießt? Er tötet schließlich sein eigenes Volk. Warum sollte er gerade vor den von ihm gehassten Israelis haltmachen?«
Gasmasken Ein Tenor, den man in diesen Tagen oft hört. Die Erklärung, der geschwächte Präsident des Nachbarlandes könne es sich nicht leisten, an einer weiteren Front zu kämpfen, lassen nur wenige gelten. Zwar gibt es keine Panik, keine Hamsterkäufe oder Massen, die ihre Koffer packen, um das Land zu verlassen, doch dieses Mal scheinen die Israelis besorgter als gewöhnlich. Der sonst übliche Zynismus des Volkes, das viele Kriege kennt, scheint fast verschwunden, Nachrichten in Radio, Fernsehen und Internet werden aufmerksam verfolgt. Die Nachfrage nach Gasmasken – die für die gesamte israelische Bevölkerung zur Verfügung stehen – ist in den vergangenen Tagen um das Vierfache angestiegen.
Währenddessen tut die israelische Regierung offenbar alles, um die Situation zu entspannen. Statt auf Säbelrasseln wird auf Deeskalation gesetzt. Nach einer dreistündigen Sitzung des Sicherheitskabinetts flog Premierminister Benjamin Ne-tanjahu noch am Sonntag zu einem fünftägigen Staatsbesuch nach China – ein klares Zeichen, dass er nicht mit einer militärischen Auseinandersetzung rechnet.
Auch wurde eine seit Langem geplante ausgedehnte Militärübung ausgesetzt und der zivile Luftraum über dem Norden des Landes wieder geöffnet, um die Lage nicht weiter zu verschärfen. Der Chef des nördlichen Bereiches der israelischen Armee, Yair Golan, sagte: »Es weht kein Wind des Krieges durch die Luft. Es gibt keinen Grund zur Hysterie, alles ist ruhig, die Menschen im Norden können in Ruhe schlafen.«