Die Lage in Israel ist extrem angespannt. Am Dienstag und Mittwoch wurden Tausende Menschen aus Sderot und anderen Gemeinden, die an den Gazastreifen angrenzen, mit Bussen in sicherere Gegenden gebracht. In einigen Ortschaften gibt es lediglich noch eine »Notbesetzung«, hauptsächlich Landwirte mit Tierhaltung und Rettungspersonal.
Die Bahnverbindung zwischen der Hafenstadt Aschkelon und Netivot, einer südlichen Kleinstadt, wurde derweil eingestellt, verschiedene Krankenhäuser gaben an, dass sie Patienten in Schutzräume verlegt hätten. Alle Menschen, die sich in der Nähe des Gazastreifens befinden, sind von der Armee angewiesen, sich dauerhaft unweit der Schutzräume aufzuhalten.
»schild und pfeil« In der Nacht zum Dienstag hatte die israelische Armee (IDF) eine Operation mit Namen »Schild und Pfeil« begonnen. Bei der Aktion wurden drei hochrangige Mitglieder der Terrorgruppe Islamischer Dschihad gezielt getötet.
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen starben bei dem Angriff insgesamt 13 Palästinenser, darunter auch Zivilisten. Der Islamische Dschihad gab an, die Frauen der drei Kommandeure und mehrere ihrer Kinder seien unter den Toten. Mindestens 20 Menschen sollen verletzt worden sein. Am Dienstag flog das Militär weitere Angriffe gegen Ziele des Islamischen Dschihad in Gaza.
Der Angriff fand sieben Tage nach dem Raketenbeschuss der islamistischen Terrororganisation auf Israel statt. Am 2. Mai waren mehr als 100 Geschosse auf Gemeinden im Süden des Landes abgefeuert worden – angeblich als Reaktion auf den Tod eines hochrangigen Mitstreiters der Gruppe, der im israelischen Gefängnis nach einem Hungerstreik starb. Mehrere Raketen schlugen in der Stadt Sderot ein, verletzten drei Arbeiter und beschädigten Autos und Gebäude.
angriffe Bei der Bekanntgabe der gezielten Angriffe von Montagnacht schrieb der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant: »Jedes terroristische Element, das den Bürgern Israels Schaden zufügt, wird es bereuen.« Berichten zufolge hatten er und Premierminister Benjamin Netanjahu die Operation am Freitag beschlossen, angeblich, ohne andere Kabinettsmitglieder einzubeziehen.
Der Vorsitzende der rechtsextremen Partei Otzma Yehudit und Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, hatte die Regierung zuvor wegen der seiner Meinung nach »schwächlichen Reaktion« auf den Raketenbeschuss aus Gaza aufs Schärfste kritisiert und dann jegliche Koalitionstätigkeit boykottiert.
Den Start der Militäroperation nannte er »einen guten Anfang«. Es sei an der Zeit, die Politik in Gaza zu ändern. Jetzt fordert Ben-Gvir ein »härteres Durchgreifen« auch im Westjordanland und ein Ende der Kompromissgespräche zur Justizreform. Regelmäßig droht er damit, die Koalition zu sprengen, wenn man seinen Forderungen nicht nachkomme.
Tausende Einwohner von Sderot wurden in Sicherheit gebracht.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warnte am Dienstag, dass jede Eskalation seitens der Palästinenser »mit einer entschiedenen Reaktion« beantwortet werde. »Wir befinden uns mitten in einer Kampagne, und in den kommenden Tagen müssen wir geduldig sein. Dabei stehen wir alle als Brüder zusammen.« An die Bevölkerung gerichtet, sagte er, dass die aktuelle Operation möglicherweise mehrere Tage andauern und sich auf weitere Fronten ausweiten könne.
Der Regierungschef ging auch auf die Kritik ein, die gegen ihn wegen der angeblich schwachen Reaktion auf den Raketenbeschuss geäußert wurde. »Wir sind mit Präzision und Vorsicht vorgegangen, um den richtigen Moment für den erfolgreichen Abschluss der Mission zu nutzen. ›Durch Täuschung sollst du Krieg führen‹, und so verfahren wir immer.«
unterstützung Abgeordnete der Koalition und der Opposition drückten ihre Solidarität aus. Oppositionsführer Yair Lapid twitterte, »ich gebe den Sicherheitskräften meine Unterstützung für diese Operation gegen den Islamischen Dschihad«. Er stimme jeder Operation zur Verteidigung der Bewohner des Südens zu.
Tausende Einwohner von Sderot wurden am Dienstagabend in Begleitung von Mitgliedern des Heimatfrontkommandos Pikud Ha’Oref im Rahmen des Maschaw-Ruach-Programms (übersetzt »Luft holen«) in Sicherheit gebracht. In der ersten Phase der Evakuierung reisten Hunderte Familien in 25 Bussen zu Hotels am Toten Meer. Das Verteidigungsministerium koordiniert und finanziert das Evakuierungsprogramm in Abstimmung mit den örtlichen Behörden. In einigen kleinen Gemeinden, die nah am Gazastreifen liegen, blieben nur noch einzelne Anwohner zurück.
Der Vorsitzende des Shaar HaNegev-Regionalrates, Ofir Liebstein, sagte, dass seine Teams mit Erhalt der Nachricht über die Operation in den frühen Morgenstunden umgehend in alle Orte ausschwärmten, wo sie noch Zusammenkünfte an Lagerfeuern zum Feiertag vorfanden, um die Menschen nach Hause zu schicken. Zur Militäraktion sagte er: »Es gibt Zeiten, in denen man reagieren muss, und es gibt Zeiten, in denen man die Initiative ergreifen muss. Normalerweise ist die Ruhephase nach einer Operation seitens der Armee länger. Ich hoffe, dass es auch dieses Mal so sein wird.«
terrorfraktionen Der sogenannte »Joint Operations Room«, ein Zusammenschluss verschiedener palästinensischer Terrorfraktionen im Gazastreifen, erklärte nach den Luftangriffen, Israel und seine Führer würden »den Preis zahlen«. Der Organisation gehören sowohl der Islamische Dschihad als auch die Hamas an.
Letztere gab am Dienstag bekannt, dass sie »Israel eine Lektion erteilen« und man gemeinsam handeln wolle. Die Aktion der israelischen Armee richtete sich gegen den Islamischen Dschihad, doch für die weitere Entwicklung der Lage ist entscheidend, ob sich die in Gaza regierende Hamas tatsächlich in den Konflikt einmischt oder nur droht. Sie verfügt über wesentlich mehr Mittel sowie hoch entwickelte und weitreichende Raketen, die problemlos die Großstadt Tel Aviv im Zentrum von Israel erreichen können. Auch hier ordneten die Behörden an, alle öffentlichen Schutzräume öffnen zu lassen.
Der Direktor des Instituts für nationale Sicherheitsstudien an der Universität Tel Aviv, Tamir Hayman, erklärt, wie entscheidend die Beteiligung der Hamas ist: »Das könnte zu einer erheblichen Verlängerung der Operation und auch zu Angriffen an der nördlichen Front führen.«
Städte mit gemischter arabischer und jüdischer Bevölkerung innerhalb Israels und das palästinensische Westjordanland seien ebenfalls Gebiete, in denen sich Kämpfe entwickeln könnten, meint der Experte. »Auch hier hat die Hamas großen Einfluss – und so hängt sehr viel davon ab, ob sie sich der Vergeltung gegen Israel anschließt oder nicht.«