Es wurde zeitlich eng. Als Israels Staatspräsident Reuven Rivlin Mitte März im Schloss Bellevue war, äußerten er und Hausherr Frank-Walter Steinmeier die Hoffnung, dass es in der nur noch kurzen Amtszeit Rivlins doch noch etwas werde mit Steinmeiers Staatsbesuch in Israel. Dieser musste im Mai vergangenen Jahres wegen der ersten Welle der Corona-Pandemie abgesagt werden.
Ein paar Tage, bevor Rivlin seinen Amtssitz in Jerusalem verlässt, erklingen dort am Donnerstag um kurz nach 10 Uhr doch noch die Nationalhymnen beider Staaten, schreiten beide Präsidenten Schulter an Schulter die Front der angetretenen Soldaten ab.
Es ist zwar ein Besuch mit dem bei solchen Anlässen üblichen Programm wie Begrüßung mit militärischen Ehren, Gesprächen, Kranzniederlegung und Staatsbankett. Und doch absolviert Steinmeier hier alles andere als eine normale Reise. Dass ihn sein erster Staatsbesuch seit Beginn der Corona-Pandemie nach Jerusalem führt, zeigt, wie wichtig dieser ihm ist. Dass er der letzte Staatsgast ist, den Rivlin vor der Amtsübergabe empfängt, belegt, dass dies durchaus auf Gegenseitigkeit beruht.
Die Visite ist aber vor allem auch Ausdruck der Freundschaft zwischen beiden Staatsoberhäuptern. Mehrfach bezeichnet der Israeli den Deutschen in seiner Ansprache am Donnerstag als »engen Freund«. Dass er als sein letzter Staatsgast komme, habe »symbolische Bedeutung«. Steinmeier entgegnet, Rivlin könne sich gar nicht vorstellen, »wie geehrt ich mich fühle«.
Das gilt explizit auch für die Einladung Rivlins an Steinmeier im vergangenen Jahr, als erstes deutsches Staatsoberhaupt bei der Internationalen Holocaust-Konferenz in Yad Vashem zu sprechen - »der vielleicht emotionalste, bewegendste Moment meiner Amtszeit«, wie Steinmeier am Donnerstag bekennt. Dieser werde ihm »auf ewig in Erinnerung bleiben«.
Damals prangerte er den immer wieder aufflammenden Antisemitismus in Deutschland an. Worte und Täter seien heute nicht dieselben wie zur Zeit des Nationalsozialismus. »Aber es ist dasselbe Böse«, sagte Steinmeier damals. Seitdem hat sich noch mehr »Böses« in Deutschland gezeigt. Als sich im Mai Israel und militante Palästinenser im Gazastreifen einen elftägigen militärischen Konflikt mit vielen Opfern lieferten, zogen Demonstranten mit antisemitischen Parolen durch die Straßen. Israelische Flaggen brannten.
Steinmeier geht schon bei der Ankunft auf das Problem ein: »Der Antisemitismus ist nach wie vor in der Welt und wir müssen ihn weiter bekämpfen, wo immer er sein hässliches Haupt erhebt - niemals dürfen wir vergessen.« Am Donnerstag - wieder in Yad Vashem - spricht er vom »unbeschreiblichen Leid, das im Namen Deutschlands verursacht wurde« und uns »mit Schmerz und Scham erfüllt«. »Wir versprechen feierlich: Nie wieder«, schreibt er ins Gästebuch.
Mit Interesse wird in Israel auch die bevorstehende Bundestagswahl verfolgt.
Die Zunahme antisemitischer Vorfälle in Deutschland wird in Israel mit Sorge gesehen. Rivlin warnte immer wieder eindringlich vor solchen Entwicklungen auf der ganzen Welt, die in der Pandemie noch zugenommen haben. Er sieht Deutschland jedoch an der Seite Israels, beschwört in seiner Ansprache den gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Hass. Sein schon gewählter Nachfolger Isaac Herzog hat angekündigt, sich diesen Kampf ebenfalls auf die Fahne zu schreiben. Steinmeier und Herzog dürften bei ihrem Mittagessen in diesem Punkt also schnell zueinander gefunden haben.
Mit Interesse wird in Israel auch die bevorstehende Bundestagswahl verfolgt. »Sind die Grünen auf dem Weg zur Führung der stärksten Wirtschaftsmacht Europas?«, fragte das israelische Wirtschaftsblatt »Globes« vor kurzem. »Impfweltmeister« Israel beobachtete auch sehr genau die Vertrauenskrise in Deutschland angesichts der dort viel schleppender angelaufenen Corona-Impfkampagne. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet könne seine Partei nur mit einer »Blitzkampagne vor einer schmerzhaften Niederlage retten«, schrieb »Globes« dazu.
Umgekehrt schaut die deutsche Politik gespannt nach Israel, wo nach vielen Regierungsjahren von Benjamin Netanjahu nun eine Acht-Parteien-Koalition im Amt ist.
Langzeitkanzlerin Angela Merkel (CDU) gilt als starke Fürsprecherin Israels. Aber wie werden die Beziehungen nach ihrer Ablösung aussehen? Mit einer grundlegenden Neuausrichtung wird insgesamt kaum gerechnet - wie immer die Bundestagswahl ausgehen mag. Als sich Steinmeier am Nachmittag mit dem neuen Ministerpräsidenten Naftali Bennett und mit Außenminister Yair Lapid trifft, ist der Text seiner Tischrede für das Staatsbankett am Abend bereits veröffentlicht. Darin bekräftigt er: »Deutschland wird immer an der Seite Israels stehen, und Israel kann weiterhin auf die Freundschaft meines Landes zählen.«
Umgekehrt schaut die deutsche Politik gespannt nach Israel, wo nach vielen Regierungsjahren von Benjamin Netanjahu nun eine Acht-Parteien-Koalition im Amt ist. »Welche Perspektiven ergeben sich aus dieser neuen Regierung für die israelische Innenpolitik? Mit welchen Prioritäten geht die neue Regierungsmannschaft an die Arbeit?« - so lauteten zwei der Fragen, die Steinmeier im Gepäck hatte.
Auf die Freundschaftsachse ihrer beiden Präsidenten werden Deutsche und Israelis bald verzichten müssen. Im persönlichen Verhältnis soll sich nichts ändern. »Lieber Ruvi, deine Amtszeit endet, unsere Freundschaft bleibt«, sagt Steinmeier am Ende seiner emotionalen Rede. »Dankeschön«, antwortet Rivlin lächelnd - bevor sich beide umarmen.