Als er nach gut halbstündiger Einleitung endlich auf dem Podium steht, wird es am Donnerstagabend ganz still im Leon und Mathilde Recanati Auditorium des Tel Aviv Museum of Art. In den höchsten Tönen hatten seine Vorredner von ihm geschwärmt, ihn gepriesen dafür, dass er als Außenminister den Anstoß gegeben hatte, die Rolle des Auswärtigen Amtes in der Nazizeit zu untersuchen. Doch als Joschka Fischer nun nach tosendem Applaus der rund 500 Zuhörer das Wort ergreift, muss er erst einmal etwas klarstellen: »Ich wurde hochgelobt dafür, dass ich es getan habe. Aber ehrlich gesagt, hatte ich niemals darüber nachgedacht.« Ovationen im Saal.
Angriffe Zum ersten Mal sprach Fischer am Donnerstagabend in Israel über die von ihm in Auftrag gegebene Studie »Das Amt und die Vergangenheit«, deren Veröffentlichung im Oktober eine intensive Debatte nach sich gezogen hatte. »Die Historiker-Kommission musste viele Angriffe aushalten«, erinnert sich Professor Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem, der an der Studie mitgewirkt hat. »Dabei ist die Frage doch: Warum mussten wir überhaupt bis 2005 warten, um solch eine Kommission zu gründen?«
Joschka Fischer kennt die Antwort. »Ich habe gedacht, mein Land hätte seit 1945 einen enormen Fortschritt gemacht, einen neuen historischen Konsens erreicht.« Deswegen sei er nach seinem Amtsantritt als Außenminister auch gar nicht auf die Idee gekommen, die Strukturen seiner Behörde zu verändern, geschweige denn zu untersuchen. Bis ein Brief von Marga Hensel bei ihm auf dem Schreibtisch lag, einer ehemaligen Mitarbeiterin des Außenministeriums, die sich beim damaligen Kanzler Gerhard Schröder über den Nachruf in der AA-Hauspostille auf den Diplomaten und Kriegsverbrecher Franz Nüßlein beschwert hatte. »Ich war naiv«, gibt Fischer zu, »ich habe einen Fehler gemacht und musste ihn korrigieren.«
Lautstark Seine klaren Worte kommen bei den Zuhörern gut an, unter denen viele ältere Jeckes sind. Auch ohne tiefer in die Details der Studie zu gehen, überzeugt der wortgewandte Fischer. So sehr, dass in der anschließenden offenen Diskussion kritische oder vom Thema abweichende Fragen zum Teil von lautstarken Unmutsäußerungen des Publikums begleitet werden. Als eine Zuhörerin einen Zusammenhang zwischen den »grausamen Märchen« der Gebrüder Grimm und dem Aufstieg der Nazis in den Dreißigerjahren herstellt, wird dies von schallendem Gelächter begleitet. Als eine andere Dame von Fischer verlangt, den ehemaligen SS-Offizier Bernhard Frank an Israel auszuliefern, geht Professor Moshe Zimmermann dazwischen: »Die Medien hier haben das doch total aufgebauscht. Schauen Sie sich die Fakten an, dann wissen Sie, dass Frank nicht in einer Reihe mit Hitler und Himmler steht.«
Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Center in Jerusalem ist von Fischer begeistert. Zuvor war er noch skeptisch, wollte schauen, ob der Ex-Außenminister denn auch wirklich die Wahrheit sage. Nun fällt Zuroffs Urteil äußerst positiv aus. »Das war einfach ehrlich. Der Typ ist ein Profi, der Vortrag war grandios! Nur die Fragen des Publikums hätte man ausfallen lassen sollen. Manche haben einfach keine Ahnung.«