Immer wieder schaut Jehuda Geldmann nach oben. Dort an Israels blauem Himmel zeigen sich Wolken – fast schon könnte man von einer Ansammlung sprechen. Das lässt den 58-Jährigen aus Hamburg hoffen, denn er leidet sehr unter der Hitze. Nicht so sehr am eigenen Körper, dafür stellvertretend für die elf jungen Frauen, die wenige Meter entfernt auf dem Spielfeld hin und her rennen. Und mehr noch, weil sich darunter seine drei Töchter Sarah (23), Leah (18) und Dinah (14) befinden.
Vor rund zehn Minuten war Anpfiff für das Spiel der deutschen Hockey-Frauenmannschaft gegen den Favoriten Argentinien bei der diesjährigen Maccabiah. Und tatsächlich ist nicht nur der Gegner eine Herausforderung, sondern auch die Wetterbedingungen sowie die besondere Situation des deutschen Teams. »Es gibt keine Auswechselspielerinnen«, erklärt Geldmann. Zu wenige Spielerinnen haben sich im Vorfeld qualifiziert.
Trinkpause Das ist hart, die Frauen müssen in der feuchten Hitze ein ganzes Turnier mit 70 Minuten durchstehen, neben der Halbzeitpause gibt es nur einmal in jeder Halbzeit eine kurze Trinkpause. Dagegen tritt das argentinische Team mit 16 Spielerinnen an und kann immer wieder frisch ausgeruhten Nachschub aufs Feld schicken. Das findet der Hamburger Geschäftsmann mehr als ungerecht. »Gibt es keine Regel, dass nur beide Teams oder keiner auswechseln darf?«, witzelt er.
Kurz darauf freut sich Geldmann unbändig, als sich für wenige Augenblicke eine Wolke gegen die Sonne behauptet. Seine Stimme schallt weithin über das Spielfeld: »Mädels, die Sonne ist weg!« Dann feuert er eine Spielerin an, die gerade einen Durchlauf versucht – »Gut gemacht, Schläger runter« – und lässt zur Unterstützung die ohrenbetäubend laute Holzrassel kreisen. Schließlich zückt er die Kamera, hält eine Spielszene fest und schimpft zwischendurch auf den Schiedsrichter, der seiner Meinung nach weder etwas sieht noch irgendeinen Schimmer von Hockeyregeln hat. Das nächste Mal werde er den Schiedsrichter machen: »Dann gewinnen wir auf jeden Fall.«
Neben Jehuda Geldmann machen seine Frau Andrea und sein Sohn Simon einen ausgesprochen entspannten Eindruck als Fans. Der 26-Jährige etwa hat selbst einmal Hockey gespielt und kennt sich aus. »Die Argentinierinnen sind gar nicht so gut, ist mein Eindruck. Nur unsere müssten mal ein Tor reinkriegen.« Dass das so schwer ist, liege auch am unterschiedlichen Niveau innerhalb der deutschen Mannschaft, und eingespielt sei sie auch nicht. »Sie treffen sich ja nur ein-, zweimal im Jahr.«
Simon kam aus London zur Maccabiah angereist. Dort lebt er seit sechs Jahren, hat da studiert und arbeitet jetzt in der britischen Metropole. Mit dem einwöchigen Aufenthalt in Tel Aviv schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe: Er sieht seine Familie, und er trifft hier einige Freunde, mit denen er nachts um die Häuser zieht: »Hier ist gut was los.«
Unterstützung Andrea Geldmann tut in Israel eigentlich das, was sie in Hamburg auch oft macht: »Ich bin Betreuerin der Hockeymannschaft meiner jüngsten Tochter.« Soll heißen, sie fährt mit den Mädchen zu den Spielen und kümmert sich um das Organisatorische. Letzteres fällt bei der Maccabiah zwar weg, aber ihre moralische Unterstützung brauchen ihre Töchter und die anderen allemal. Und auch sie leidet mit, wenn auf dem Spielfeld etwas schiefläuft. Etwa als die Deutschen gerade die dritte Ecke hintereinander kassieren. »Das darf doch nicht wahr sein«, sagt sie kopfschüttelnd und beugt sich weit über die Zuschauerbande, um die Spielzüge besser verfolgen zu können.
Es ist die zweite Maccabiah, an der die Familie Geldmann teilnimmt. Die beiden älteren Töchter haben schon letztes Mal in der Hockeymannschaft gespielt, nun ist die dritte auch dabei. Für die Eltern ist das kein wirklicher Urlaub. »Macht nichts, Israel kennen wir ja gut«, sagt Jehuda Geldmann. Er zum Beispiel sei in seiner Jugendzeit durch das ganze Land getrampt. Das Ehepaar fährt natürlich zu allen Spielen – sie finden alle im Stadion in Ra’anana statt – und zum Teil auch zu den Trainings. Oft warten sie einfach, bis ihre Töchter Freizeit haben, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Zwei Geburtstage wurden gefeiert. »Die Jüngste hatte am Abreisetag, Leah jetzt vor zwei Tagen.«
Das Ehepaar liebt die Atmosphäre bei Maccabiah. Schon am Flughafen seien überall Fahnen gewesen, und die »Eröffnung in Jerusalem war super«, schwärmt Andrea Geldmann. Vor allem der Einmarsch der Delegation. Die Kinder hätten ihnen zugewunken. »Ein unvergesslicher Augenblick war das.« Dann ist sie wieder mit dem Spiel beschäftigt. »Mädels – Wolken, es bedeckt sich«, ruft Jehuda Geldmann erneut. »Das merken die doch gar nicht«, meint seine Frau zu ihm. Aber er bleibt dabei: »Das motiviert.«
Torchancen Das Spiel gegen Argentinien dauert unglaublich lange, finden alle deutschen Fans – es sind etwa zehn Leutchen. Sie sind erschöpft vom Rufen, vom konzentrierten Zuschauen und von der Aufregung überhaupt. Es gab ein paar Torchancen für die Deutschen, aber trotz aller Anfeuerung von der Tribüne wurden sie nicht verwandelt. Am Ende steht es dann 3:0 für Argentinien. »Alle Achtung«, urteilt die Mutter trotzdem.
Man habe mit einem wesentlich schlechteren Resultat gegen die Favoriten gerechnet. Nun könne man sich auf das Spiel um den dritten Platz gegen die USA freuen und hoffen. Das deutsche Team kommt zur Tribüne. Die Fans loben, die Spielerinnen analysieren das Match. »Danke für den Wetterbericht«, ruft eine der Spielerinnen Jehuda Geldmann fröhlich zu. »Ohne dich hätten wir die Wolken gar nicht bemerkt.«