Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist am Samstagabend für einen Abschiedsbesuch nach Israel gereist. Es ist bereits ihr siebter Besuch im Land, der allerdings durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen geprägt sein wird. Am Sonntag wird sie unter anderem den israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett, Präsident Issac Herzog und Außenminister Yair Lapid zu Gesprächen in Jerusalem treffen. Am Nachmittag ist ein Besuch von Merkel und Bennett in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem geplant.
Bei den Gesprächen soll es unter anderem um das iranische Atomprogramm, die Frage eines unabhängigen Palästinenserstaates und bilaterale Themen gehen. Die Kanzlerin hatte eine bereits für Ende August geplante Israel-Reise wegen der dramatischen Entwicklung in Afghanistan abgesagt. Den Abschiedsbesuch in Israel will sie sich trotzdem nicht nehmen lassen. Die 67-Jährige hat ihre Unterstützung für den jüdischen Staat immer deutlich gemacht - auch wenn das Verhältnis zu Bennetts Vorgänger Benjamin Netanjahu als unterkühlt galt.
Die neue Regierung unter Bennett von der ultrarechten Jamina-Partei ist erst seit Mitte Juni im Amt. Die Koalition besteht aus insgesamt acht Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum, darunter erstmals eine arabische Partei.
Laut Adi Kantor, Forscherin am Europa-Forschungsprogramm des INSS, ist die Kanzlerin hoch angesehen in Israel - in allen politischen Lagern. »Wir haben verstanden, dass sie eine sehr wahre Freundin für die israelischen Juden und die Juden in Deutschland ist«, sagt Kantor. Trotzdem gebe es natürlich Meinungsverschiedenheiten - vor allem in Bezug auf die Zwei-Staaten-Lösung und das Atomabkommen mit dem Iran.
Dies werden die Themen der Gespräche sein:
Corona-Virus
Israel gilt im weltweiten Kampf gegen die Corona-Pandemie in vielen Punkten als Vorreiter. So hatte das 9,4-Millionen-Einwohner-Land bereits im Winter mit einer sehr erfolgreichen Impfkampagne für Aufsehen gesorgt. Bislang sind rund 61 Prozent der Bevölkerung geimpft. Israel hat als erstes Land weltweit Ende Juli mit einer dritten Impfung begonnen. Bisher haben rund 39 Prozent der Israelis eine Auffrischungsimpfung erhalten. Trotzdem registrierte das Land Anfang September so viele Neuinfektionen pro Tag wie nie zuvor: mehr als 11 000. Mittlerweile sinken die Zahlen wieder.
Zwei-Staaten-Lösung
Die Friedensgespräche zwischen Israel und der Palästinenserführung liegen schon seit 2014 brach, trotzdem ist die Bundesregierung klar für eine Zwei-Staaten-Lösung. Gemeint ist damit, dass ein unabhängiger und demokratischer Palästinenserstaat friedlich neben Israel existiert.
Regierungschef Bennett hatte jedoch Ende August in einem Interview mit der »New York Times« klar gesagt, dass es mit seiner Regierung keinen Palästinenserstaat geben werde - aber auch keine Annexion von Gebieten im Westjordanland. »Diese Regierung wird weder annektieren noch einen palästinensischen Staat bilden, das versteht jeder«, so Bennett. Allerdings werde Israel den Ausbau der Siedlungen im Westjordanland weiter vorantreiben. »Israel wird die Standardpolitik des natürlichen Wachstums fortsetzen«, sagte er der Zeitung.
Bennett hatte sich unter Netanjahu immer wieder für eine Ausweitung der Souveränität im Westjordanland ausgesprochen. In seiner Regierung finden sich aber auch klare Befürworter einer Zwei-Staaten-Lösung, darunter Außenminister Yair Lapid von der Zukunftspartei. Lapid soll Bennett im Jahr 2023 als Ministerpräsident ablösen.
Atomabkommen mit dem Iran
Israel hat bislang im Gegensatz zu Deutschland die Rückkehr zu einem Atomabkommen mit dem Iran strikt abgelehnt. Allerdings signalisierte Verteidigungsminister Benny Gantz Mitte September überraschend eine mögliche Kehrtwende. Auf die Frage nach den Bemühungen der Amerikaner in Bezug auf den Iran, sagte Gantz dem Magazin »Foreign Policy«: »Den aktuellen US-Ansatz, das iranische Atomprogramm zurück in eine Kiste zu stecken, den würde ich akzeptieren.«
Der jüdische Staat sieht sich durch das Atomprogramm seines Erzfeindes in der Existenz bedroht. Die USA hatten unter Ex-Präsident Donald Trump das Abkommen 2018 einseitig aufgekündigt. Als Reaktion fuhr der Iran seine Uran-Anreicherung wieder hoch und schränkte internationale Inspektionen seiner Atomanlagen ein.
Antisemitismus in Deutschland
Israel schaue mit Sorge auf die Zunahme an antisemitischen Angriffen in Deutschland, sagt Wissenschaftlerin Kantor. Merkel habe sich stets klar positioniert: »Sie hat sich immer an die Seite von Juden in Deutschland, in Israel und auf der ganzen Welt gestellt.« Doch die Frage sei, was passiere, wenn sie nicht mehr im Amt sei. »Es ist sehr wichtig für Israel zu wissen, dass Deutschland an seiner Seite steht und keinerlei Angriffe auf Israel und auf Juden auf deutschen Straßen tolerieren wird - besonders jetzt, wenn Merkel geht.«
Der öffentliche Diskurs in Deutschland werde weniger proisraelisch und antisemitischer, sagt Kantor. Dabei verwies sie auch auf die Alternative für Deutschland (AfD).
Kantor sagt, Merkel habe Geschichte geschrieben, als sie 2008 im israelischen Parlament Deutschlands historische Verantwortung für die Judenverfolgung als »Teil der Staatsräson meines Landes« bezeichnete. Israels Sicherheit werde für sie »niemals verhandelbar« sein, sagte die Kanzlerin damals. »Ich hoffe, die Führung, die sie ersetzen wird, wird sich auch so verpflichtet fühlen wie sie«, sagt Kantor.