Der Text von Lorenz S. Beckhardt über PEN Berlin ist grob falsch. Weder hat eine »Gruppe BDS-naher Autoren« beinahe die Schriftsteller-Vereinigung »gekapert«, noch ist »der größte Teil der Initiatoren« einer Nahost-Resolution daraufhin ausgetreten, nur etwa die Hälfte.
Beckhardts verzerrte Darstellung – hier wir, die wir für Israel sind, dort die, die angeblichen Feinde Israels – verstärkt bloß das Skandalgeschrei um eine Menschenrechtsorganisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, eben jene schwierigen Debatten zu ermöglichen, die durch solche Diffamierungen (sind doch alles nur Feinde Israels!) erstickt werden sollen.
Hier die Fakten: Eine Gruppe PEN-Berlin-Mitglieder, die aus Israelis, Juden und Menschen mit jüdischem Familienhintergrund besteht (Sivan Ben-Yishai, Tomer Dotan-Dreyfus, Deborah Feldman, Tomer Gardi, Daniel Kehlmann, Susan Neiman, Omri Boehm und ich selbst) hat gemeinsam mit arabischen und weiteren Mitgliedern einen Resolutionsantrag zur Tötung von Journalisten und Autoren im aktuellen Nahostkonflikt eingereicht.
Jene Resolution, die im PEN Berlin stattdessen mit einer einzigen Stimme Mehrheit beschlossen wurde, sagt im Kern nichts anderes. Nur die Kontextualisierung war anders. Das Leid und Sterben in Gaza, in dem der Tod von Journalisten und Schriftstellern nur einen Bruchteil ausmacht, sei, so heißt es, eine Folge des Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober.
So kann man argumentieren. Man kann diesen Hinweis auch für unnötig halten, ohne das schreckliche Massaker in irgendeiner Weise zu rechtfertigen oder zu relativieren: Weil sich die israelische Armee jetzt und in Zukunft an die internationalen Regeln zum Schutz von Berichterstattern und Zivilbevölkerung zu halten hat, egal, warum sie in einen Krieg eingetreten ist. Und leider gibt es daran – am Schutz von Presse und Zivilisten sowie an der Verhältnismäßigkeit der gesamten Kriegsführung – begründete Zweifel.
Der Hinweis auf den Auslöser des Krieges könnte auch dann überflüssig sein, wenn man bedenkt, dass sich die Verhandler damit nicht aufhalten werden können, wenn es hoffentlich sehr bald um einen tragfähigen Frieden für beide Völker in Israel/Palästina geht, also um die Zukunft anstatt um ein sinnloses Aufrechnen, wann das begonnen und wer genau welche Schuld daran hat: 1929, 1948, 1967 (…) 2023, oder wann? Aber das ist nur meine Meinung, die Mitgliederversammlung hat sich anders entschieden.
Da ich bis zum 1. November Co-Sprecherin von PEN Berlin war, verwahre ich mich außerdem scharf gegen die wiederholte Unterstellung von BDS-Nähe. Nicht »gebetsmühlenartig« haben wir, Deniz Yücel und ich, uns immer und immer wieder gegen Kulturboykotte ausgesprochen, sondern aus voller Überzeugung dessen, was wir im PEN Berlin unter Meinungs- und Kunstfreiheit verstehen: Dass sie nämlich immerzu und für alle gelten muss.
Deshalb hat auf unserem letzten Kongress in Hamburg der israelische Weltstar Etgar Keret die Festrede gehalten. Aber aus demselben Grund – der Überzeugung, dass Künstler frei und ungehindert überall sprechen können müssen, egal welcher Weltsicht sie anhängen – haben wir im Vorjahr die renommierte Schriftstellerin und BDS-Unterstützerin A.L. Kennedy nicht wieder ausgeladen, wie es von manchen öffentlich gefordert worden war.
Seit dem 7. Oktober sind in Deutschland in bestürzender Zahl gerade auch jüdische Künstler und Intellektuelle aus solchen Gründen (BDS-Nähe, Kritik an der israelischen Kriegsführung) ausgeladen oder öffentlich massiv verunglimpft worden, Masha Gessen, Candice Breitz, Nancy Fraser, Laurie Anderson. Und ein Großteil der angloamerikanischen Kunst- und Kulturszene betrachtet den Nahost-Konflikt nicht aus der Perspektive der deutschen »Staatsraison« – darin sind diese Künstler regierungskritischen Israelis oft sehr nahe. Manche von ihnen bemühen sich um eine differenzierte Sicht, anderen kann man Vereinfachung und einseitige Parteinahme vorwerfen. Aber soll deshalb niemand von ihnen mehr in Deutschland auftreten?
Wenn man Kulturboykott grundsätzlich ablehnt, muss das im Sinne Voltaires bedeuten, auch jene Künstler nicht zu boykottieren, die selbst Boykott unterstützen. Das scheint Lorenz S. Beckhardt nicht verstanden zu haben, der den jüdischen Anteil seiner Kontrahenten im aktuellen PEN Berlin-Streit vielsagend verschweigt. In Beckhardts Logik soll man Israelkritiker nämlich gern boykottieren und diffamieren, auch wenn sie Juden sind. Aber »die Phalanx des Kulturboykotts gegen Israel« beklagt er. Das ist Messen mit zweierlei Maß. Wer so denkt, will nicht mehr diskutieren, sondern nur nach eigenem Gusto einladen beziehungsweise verhindern.
Der noch junge PEN Berlin hingegen steht tapfer für die wahre Kunstfreiheit ein (Keret ebenso wie Kennedy!), gegen BDS, gegen »Strike Germany«, gegen alle pauschalen Aufrufe zum Kulturboykott – bei allem Gegenwind, den das gerade einbringt.
Der »Jüdischen Allgemeinen« stünde es gut zu Gesicht, nicht nur solche Beiträge wie jenen Beckhardts zu veröffentlichen, sondern der Vielfalt jüdischen Lebens und jüdischer Meinungen in Deutschland gerecht zu werden. Zur politischen Pluralität, die der PEN Berlin stets widerspiegeln wollte, gehört selbstverständlich auch diese Vielfalt – und nur jene, die mit dieser Idee nicht zurechtkommen, haben nun den Verein verlassen, weil er von dieser oder der entgegengesetzten Seite »gekapert« sein soll. Mit dem Austritt aber gestehen auch sie, wie Beckhardt mit seinem Artikel, unfreiwillig ein, was sie selber gerne hätten: eine Gesinnungsgemeinschaft.