Mahmud Abbas hat Israel bei seinem Besuch in Berlin vielfachen »Holocaust« an den Palästinensern vorgeworfen und damit weltweit große Empörung ausgelöst.
»Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen«, sagte der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde am Dienstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Kanzleramt und fügte hinzu: »50 Massaker, 50 Holocausts.«
»Es ist befremdlich, dass Abbas’ Äußerungen zum Holocaust in der Pressekonferenz unwidersprochen geblieben sind.«
Internationales Auschwitz-Komitee
Er war zuvor von einem Journalisten gefragt worden, ob er sich zum 50. Jahrestag des von palästinensischen Terroristen verübten Attentats auf die israelische Olympiamannschaft in München bei Israel entschuldigen werde. Dazu sagte Abbas, dass man tagtäglich Tote habe, die von der israelischen Armee getötet würden. »Wenn wir weiter in der Vergangenheit wühlen wollen, ja bitte.« Auf das Olympia-Attentat, bei dem elf Israelis getötet wurden, ging Abbas in seiner Antwort nicht ein.
Scholz verfolgte die Äußerungen mit versteinerter Miene, sichtlich verärgert, und machte auch Anstalten, sie zu erwidern. Sein Sprecher Steffen Hebestreit hatte die Pressekonferenz aber unmittelbar nach der Antwort von Abbas für beendet erklärt. Die Frage an Abbas war schon vorher als die letzte angekündigt worden.
Hebestreit berichtete später, dass Scholz empört über die Äußerung gewesen sei. Zur »Bild«-Zeitung sagte der Kanzler am Abend: »Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel.«
Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien schrieb mit Blick auf Scholz später auf Twitter: »Zu wenig, zu spät«. Der FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff erklärte hingegen, eine breitere Öffentlichkeit erfahre endlich, »wie die Palästinenser und Abbas – Israels angebliche »Partner« – drauf sind. Das ist wichtiger als Kritik am @Bundeskanzler, dessen Empörung klar sichtbar war«.
Der israelische Ministerpräsident Yair Lapid wies den Holocaust-Vorwurf gegen Israel mit deutlichen Worten zurück. »Dass Mahmud Abbas Israel beschuldigt, ›50 Holocausts‹ begangen zu haben, während er auf deutschem Boden steht, ist nicht nur eine moralische Schande, sondern eine ungeheuerliche Lüge«, schrieb Lapid am Dienstagabend auf Twitter und verwies auf die sechs Millionen Jüdinnen und Juden, die im Holocaust ermordet wurden. Die Geschichte werde Abbas niemals verzeihen.
Auch Verteidigungsminister Benny Gantz äußerte Kritik. Die Worte von Abbas seien »verachtenswert und falsch« sowie ein »Versuch, die Geschichte zu verzerren und umzuschreiben«, twitterte Gantz am Mittwoch. Der von Abbas getätigte Vergleich sei Holocaust-Leugnung. Lapid und Gantz sind beide Söhne von Holocaust-Überlebenden.
Der Leiter der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Dani Dayan, forderte die Bundesregierung auf, angemessen »auf dieses unentschuldbare Verhalten im Bundeskanzleramt« zu reagieren.
Israels Finanzminister Avigdor Lieberman forderte die deutsche Regierung unterdessen laut einem Bericht der Tageszeitung »Jerusalem Post« auf, den palästinensischen Präsidenten »nicht länger zu legitimieren, sich nicht mit ihm zu treffen und nicht mit ihm zu sprechen«.
Der neue deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, kritisierte den Holocaust-Vergleich als »falsch und inakzeptabel«. »Deutschland wird niemals einen Versuch dulden, die Einzigartigkeit der Verbrechen des Holocaust zu leugnen«, schrieb der frühere Regierungssprecher am Mittwoch auf Twitter.
Das Internationale Auschwitz-Komitee kritisierte den Holocaust-Vorwurf von Abbas gegen Israel sowie auch die zögerliche Reaktion von deutscher Seite scharf. Zu den Äußerungen von Abbas sagte der Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner am späten Dienstagabend, der Präsident habe »die politische Bühne Berlins gezielt genutzt, um die deutsche Erinnerungskultur und die Beziehungen zum Staat Israel zu diffamieren. Mit seinem schändlichen und unangemessenen Holocaust-Vergleich hat Abbas erneut versucht, anti-israelische und antisemitische Aggressionen in Deutschland und Europa zu bedienen.«
Auch an der Bundesregierung übte Heubner Kritik. »Es ist erstaunlich und befremdlich, dass die deutsche Seite auf Abbas’ Provokationen nicht vorbereitet war und seine Äußerungen zum Holocaust in der Pressekonferenz unwidersprochen geblieben sind«, teilte Heubner in Berlin mit.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte zu den unsäglichen Vorwürfen von Abbas: »Durch seine Holocaust-Relativierung hat Präsident Abbas jegliche Sensibilität gegenüber uns deutschen Gastgebern vermissen lassen. Das gilt gerade auch im Hinblick auf die gestellte Frage zum Olympiaattentat, das von PLO-Terroristen verübt wurde.« Klein ergänzte: »Er erweist den berechtigten palästinensischen Anliegen dadurch keinen Dienst.«
Israels designierter Botschafter Ron Prosor forderte, solcherlei Aussagen in Deutschland nicht hinzunehmen. »Schande!«, schrieb er am Mittwoch auf Twitter und sprach von einer »Holocaust-Leugnung von Mahmud Abbas auf deutschen Boden«. In einer weiteren Twitter-Nachricht fügte er später hinzu: »Holocaust-Leugnung muss mit null Toleranz begegnet werden – überall und jederzeit.«
Allergrößtes Befremden an der Reaktion von Scholz äußerte in Deutschland auch CDU-Chef Friedrich Merz. Er kritisierte auf Twitter den Umgang von Scholz mit dem Vorfall als »unfassbar«. Der Kanzler hätte dem Palästinenser »klar und deutlich widersprechen und ihn bitten müssen, das Haus zu verlassen!«, schrieb er. Der CDU-Politiker Armin Laschet nannte den Auftritt von Abbas »die schlimmste Entgleisung, die je im Kanzleramt zu hören war«.
Erst am Mittwochmorgen meldete sich Bundeskanzler Olaf Scholz selbst zu Wort - und kritisierte den Holocaust-Vorwurf von Mahmud Abbas gegen Israel. »Ich bin zutiefst empört über die unsäglichen Aussagen des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas«, schrieb der SPD-Politiker am Mittwoch auf Twitter. »Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel. Ich verurteile jeden Versuch, die Verbrechen des Holocaust zu leugnen.«
Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), erklärte am Mittwochmorgen: »Der unverschämte Auftritt des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde in Berlin darf nicht ohne Konsequenzen bleiben! Deutschland muss diesen Eklat zum Anlass nehmen, endlich seine Zuwendungen an die Palästinensische Autonomiebehörde von der Einstellung von Prämien an Terroristen und Märtyrerrenten an die Hinterbliebenenfamilien getöteter Terroristen abhängig zu machen. Wir fordern einen Stopp der Zahlungen bis zur Einstellung des Terrorrentensystems.« Deutschland habe vielfach betont, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson sei. »Aber was ist das wert, wenn Deutschland ein System finanziert, das Prämien für antiisraelische Terroristen gewährt?«
Abbas hatte bereits 2018 mit Holocaust-Aussagen in einem anderen Zusammenhang für Aufsehen gesorgt. Damals sagte er, der Holocaust, die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis, sei nicht durch Antisemitismus ausgelöst worden. Stattdessen sei der Auslöser die soziale Stellung der Juden als Verleiher von Krediten mit Zinsen gewesen.
Eindeutig antisemitisch ist auch seine Anfang der 1980er-Jahre vorgelegte Doktorarbeit. Abbas hatte darin den Holocaust relativiert und der zionistischen Bewegung vorgeworfen, sie habe mit dem Hitler-Regime kollaboriert.
2018 sagte Abbas, der Holocaust sei nicht durch Antisemitismus ausgelöst worden, sondern weil »Juden Zinsen für Kredite genommen haben«.
Der Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) erklärte: «Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der in seiner Doktorarbeit schon Hitlers Holocaust geleugnet und als damaliger Schatzmeister der Fatah-Bewegung mutmaßlich zu den Mitwissern des Anschlags von München 1972 gehörte, hätte gerade vor diesem Hintergrund und zu diesem aktuellen Zeitpunkt nie eine solche Bühne im Bundeskanzleramt erhalten und von Bundeskanzler Scholz empfangen werden dürfen. Da hilft auch eine im Nachgang zum Ausdruck gebrachte Empörung von Bundeskanzler Scholz wenig.» Dass Abbas vor dem deutschen Regierungschef einmal mehr mit seinem unsäglichen Holocaust-Vergleich eine rote Line überschritten habe, die zunächst unwidersprochen blieb, sei der eigentliche Skandal, so die Rabbiner.
«Es wäre wünschenswert, wenn man sich in Deutschland künftig hellwach und differenziert mit Palästina, der dortigen Politik oder den Stellvertretermächten und Terrorsponsoren wie Iran auseinandersetzen würde, statt stillschweigend und dann noch ausgerechnet im Bundeskanzleramt einer Politik der Spaltung und des Hasses eine Bühne zu bieten.»
Die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), Anna Staroselski, erklärte: «Das Schweigen des Bundeskanzlers zur unsäglichen Holocaust-Relativierung des Palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas im Bundeskanzleramt war unerträglich.» Gebetsmühlenartig werde seitens der Bundesregierung von Israels Sicherheit als außenpolitische Maxime, als Staatsräson gesprochen, jährlich bekenne sich die Regierungsführung zur Devise ›Nie Wieder‹ – dass dies eine zunehmend leere Worthülse zu sein scheint, habe die gestrige Pressekonferenz offenbart, so Staroselski. «Wes Geistes Kind der Palästinenserpräsident ist, hat er erneut öffentlich unter Beweis gestellt. Abbas gilt trotz seiner klaren antisemitischen und geschichtsrevisionistischen Positionen als ›gemäßigt‹. In Wahrheit ist Mahmud Abbas jedoch Antisemit, Anti-Demokrat und Unterstützer des Terrorismus.»
konsequenzen Auch der FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff hat nach den umstrittenen Holocaust-Äußerungen des palästinensischen Präsidenten Konsequenzen gefordert. »Wir sollten den deutschen Vertreter aus Ramallah nach Berlin beordern, um zu beraten, welche Maßnahmen jetzt ergriffen werden können«, sagte Lambsdorff am Donnerstag in der Sendung »Frühstart« von RTL/ntv.
Bei dem Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München seien elf völlig unschuldige Sportler von palästinensischen Terroristen umgebracht worden. »Und anstatt sich dafür zu entschuldigen und zu sagen, dass das kein Mittel der Politik mehr ist, geht er mit diesem wirklich völlig inakzeptablen Vergleich los. Ich glaube, wir müssen da Konsequenzen ziehen«,kritisierte der FDP-Politiker weiter.
Unterdessen hat Abbas versucht, die Empörung über seine umstrittenen Äußerungen zum Holocaust zu dämpfen. »Präsident Abbas bekräftigt, dass der Holocaust das abscheulichste Verbrechen der modernen menschlichen Geschichte ist«, schrieb die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa am Mittwoch. Abbas sagte demnach, er habe in Berlin nicht die Einzigartigkeit des Holocaust infrage stellen wollen. dpa/kna/ja
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