Es soll ein starkes Zeichen dafür sein, wofür Deutschland und die Bundeswehr heute stehen. Die Luftwaffe hat am Dienstag den Holocaust-Überlebenden Naftali Fürst (87) aus Tel Aviv nach Deutschland geflogen. Sein Ziel: Eine Ausstellung mit Porträtfotos Überlebender in Essen, die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnet. »Das ist unglaublich. Der kleine Junge vom Todesmarsch nun in einer deutschen Militärmaschine auf dem Weg zur Kanzlerin«, sagte Fürst der Deutschen Presse-Agentur auf dem Flug nach Düsseldorf.
Lange seien Erinnerungen und Gefühle tief in seiner Seele begraben gewesen, hat er mal geschrieben. Ein bekanntes Foto, aufgenommen am 16. April 1945, zeigt ihn auf dem Bauch liegend in der dritten Etage einer Pritsche im Konzentrationslager Buchenwald, das Kinn abgestützt, aber mit konzentriertem Blick. Vorher war er im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und zwei weiteren Lagern inhaftiert.
»Ich bin als Vertreter derer unterwegs, die nicht sprechen können - weil sie ermordet wurden oder zu alt sind. Es ist, als stände ich nun allein auf dem Gipfel«, sagte Fürst im Flugzeug. »Aber auch wenn es traurig ist, erzähle ich es immer ein wenig mit Humor.« Er nehme auch wahr, dass es in Deutschland viele Menschen gebe, die gegen das Vergessen arbeiten.
Die Ausstellung in Essen ist dazu ein Beitrag. Zu sehen sind Fotografien des Künstlers Martin Schoeller, der 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz-Birkenau 75 Holocaust-Überlebende in Israel porträtiert hat. »Survivors. Faces of Life after the Holocaust«, lautet der Titel (Überlebende: Gesichter des Lebens nach dem Holocaust). Die Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt der Stiftung für Kunst und Kultur Bonn mit der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und soll weltweit gezeigt werden.
»Jede der Fotografien sagt mehr, als es Worte je vermögen«, sagte Kai Diekmann, Vorsitzender des Deutschen Freundeskreises von Yad Vashem. »Jeder der von nahem und überlebensgroß gezeigten Gesichtszüge trägt ein Stück persönlicher und kollektiver Geschichte in sich. Ihre Gesichter beobachten uns. Ihr Blick fesselt uns. Die Furchen der Gesichter sind Zeichen des durchlebten Grauens und zugleich des Triumphs, sich ein neues Leben aufgebaut zu haben.« Und: »Jede Fotografie spricht zu unserem Herzen - und öffnet ein Tor zu dem überwältigenden Vermächtnis der Opfer und Überlebenden.«
Um kurz nach 8 Uhr (Ortszeit) war der Luftwaffen-Airbus A319 auf dem Flughafen Ben Gurion losgerollt. »Dies ist unser Beitrag zu der ganz besonderen Verantwortung, die Deutschland gegenüber Israel hat«, erklärte der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Tauber (CDU), zu dem Flug. »Ich bin tief bewegt von den persönlichen Schilderungen des Holocaust-Überlebenden. Wir ermöglichen hier einen mit Sicherheit emotionalen Beitrag zum mahnenden Gedenken an den Holocaust.«
Die Sonne strahlte beim Start über die aus der Nacht noch regennasse Startbahn. Naftali Fürst nippte an seinem Getränk und schaute glücklich. Es ist ihm ein Anliegen, die Geschichte seines Lebens und Überlebens vor einem möglichen Vergessen zu bewahren. An Bord der deutschen Regierungsmaschine mit dabei waren auch seine Tochter Ronit und zwei Enkel. Sie sind für ihn sichtbares Zeichen dafür, dass die Geschichte des jüdischen Volkes weitergeht, wie er am Dienstag sagte.
Naftali Fürst war 1932 in Bratislava geboren worden. Nach dem Krieg wanderte er 1949 nach Israel aus und arbeitete zunächst als Tischler in einem Kibbutz. Dann lernte er das Fotografenhandwerk, gründete aber mehrere Fahrschulen. Zuletzt hatte er einen Großhandel für Medikamente in Israel. »Ich habe kein Geld aus den Wiedergutmachungen aus Deutschland angenommen. Gar nichts. Das kann man nicht mit Geld gut machen«, erzählte er.
In einer Dokumentation seiner Lebensgeschichte hat er geschrieben: »Wir sind Überlebende, Kohlestücke, die in den Flammen des Schreckens nicht völlig verbrannt sind.« So heißt auch sein Buch: »Wie Kohlestücke in den Flammen des Schreckens.«
»Als Erstes würde ich gerne erwähnen, dass, obwohl ich ein emotionaler Mensch bin, dem leicht die Tränen kommen, weder mein Bruder oder ich noch meine Eltern jemals während des Krieges geweint haben. Heute kann ich diese Tatsache kaum fassen«, hat er geschrieben. In seinem Bericht als Zeitzeuge für Yad Vashem und auch in seinen schriftlichen Erinnerungen habe er zudem versucht, drei Wörter zu vermeiden: Deutsche, Holocaust und Nitzolim (die Geretteten) - das allgemein übliche hebräische Wort für Überlebende.
»Deutsche - ich verabscheue die Deutschen dieser Epoche, im Besonderen die, die SS- und Gestapouniformen trugen. Aus diesem Grund habe ich mich dafür entschieden, sie nur dann direkt zu nennen, wo es absolut notwendig war«, schreibt er. »Holocaust - der Gebrauch dieses Wortes hat im alltäglichen Kontext seine Einzigartigkeit, Kraft und tiefere Bedeutung verloren.« Und die Geretteten? »Ich wurde nicht gerettet. Eine gerettete Person ist jemand, der an den verheerenden Ereignissen nicht teilgenommen hat, wie ein nichtjüdisches Kind in Monaco oder der Schweiz, das nie einen Krieg erlebt hat.«