Jom Hasikaron

Ein traumatisiertes Land in tiefer Trauer

Eine Soldatin legt Blumen auf dem Militärfriedhof von Kirjat Schmona ab Foto: Copyright (c) Flash 90 2024

Um 20 Uhr steht alles still. Menschen halten inne, Autos bleiben stehen, Maschinen werden abgeschaltet. Eine Minute lang tönen nur die Sirenen in einem Dauerton durch die Lüfte. Hasikaron beginnt, die Israelis stecken sich den Trauerflor ans Revers und beweinen ihre Toten. Sieben Monate nach den grauenvollen Massakern der Hamas-Terroristen vom 7. Oktober wird es der schwerste Gedenktag für gefallene IDF-Soldaten und Opfer von Terrorismus in der Geschichte des jüdischen Staates. Das ganze Land, noch immer von den Geschehnissen traumatisiert, ist in tiefer Trauer.

Währenddessen geht der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen unvermittelt weiter. Auch Raketen fliegen aus Gaza wieder in Richtung israelische Gemeinden. Am Samstag wurde in der Hafenstadt Aschkelon ein Haus direkt getroffen. Und auch im Norden ist keine Ruhe eingekehrt, die IDF und die pro-iranische Schiitenmiliz Hisbollah liefern sich nach wie vor Gefechte.

Aus diesem Grund kündigte die Regierung die Absage der traditionellen Überflüge und Akrobatikeinlagen der Luftwaffe sowie aller Feuerwerke an. Lediglich vier Kampfflugzeuge werden am Abend als Gruß über den Militärfriedhof des Herzlberges und Har Hatayasim fliegen.

Mit der Sirene beginnen die Gedenkveranstaltungen

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums und der nationalen Versicherungsanstalt Bituach Leumi wurden im vergangenen Jahr 826 Angehörige der Sicherheitskräfte und 834 Opfer von Terroranschlägen in die Liste der Gefallenen aufgenommen. Bei dem Massaker vom 7. Oktober und dem Israel-Hamas-Krieg fielen 711 Angehörige der Sicherheitskräfte, im selben Zeitraum wurden 822 Zivilistinnen und Zivilisten sowie Ausländer ermordet.

Seit dem Jahr 1860 sind den Angaben zufolge insgesamt 25.039 Angehörige der Sicherheitskräfte gefallen und seit 1851 5100 Zivilisten sowie Ausländerinnen und Ausländer bei Terroranschlägen getötet worden.

»Wir glauben, dass dieses Format des Fackelentzündens weder respektvoll noch angemessen ist.«

Überlebende des Sicherheitsteams von Be’eri

Mit der Sirene am Abend beginnen von Nord nach Süd die Gedenkveranstaltungen und das Verlesen der Namen der Toten. Die offizielle Zeremonie des Staates wird auf dem Platz der Kotel in Jerusalem unter Mitwirkung von Präsident Isaac Herzog und IDF-Stabschef Herzl Halevi abgehalten. Die Veranstaltung »Lieder in ihrer Erinnerung«, eine vom israelischen Parlament initiierte, im Fernsehen übertragene Zeremonie, findet in der Knesset statt. Fast das gesamte Politik- und Sicherheitsestablishment sowie zahlreiche Künstler werden teilnehmen. Die Angehörigen der Geiseln in Gaza kommen ebenfalls zusammen, um an das Schicksal ihrer Familienmitglieder zu erinnern.

Eine weitere Sirene schrillt am Morgen des Folgetages um 11 Uhr. Es ist der Auftakt für die Angehörigen, ihre toten Familienmitglieder auf den Friedhöfen des Landes zu ehren. Auf den 54 Militärfriedhöfen sind die Gräber der Gefallenen, die in der Zeit vom vergangenen bis zum diesjährigen Jom Hasikaron starben, mit der israelischen Flagge und Blumen geschmückt. Die Staatszeremonie findet um 13 Uhr am Hauptdenkmal auf dem Berg Herzl in Jerusalem statt.

Das traditionelle Anzünden von Fackeln durch besonders verdiente Persönlichkeiten, das normalerweise auch auf dem Berg Herzl stattfindet, wird in von der Hamas attackierten Gemeinden an der Grenze zum Gazastreifen und Stützpunkten der Armee veranstaltet, um »die allgemeine öffentliche Atmosphäre der Trauer, des Verlusts und des tiefen Schmerzes des Volkes Israel« widerzuspiegeln, so die offizielle Erklärung der Regierung.

Petition von 70.000 Menschen aus den südlichen Gemeinden

Die Mitglieder des Kibbutz Be’eri, wo einige der schlimmsten Gräueltaten des 7. Oktober stattfanden, entschieden sich gegen die Zeremonie in ihrer Gemeinde. Der Schwerpunkt der Veranstaltung auf »Heldentum« spiegele nicht die Tragödie des Angriffs wider. »Wir glauben, dass dieses Format des Fackelentzündens weder respektvoll noch angemessen ist«, sagten überlebende Mitglieder des Sicherheitsteams von Be’eri.

Darüber hinaus haben mehr als 70.000 Menschen eine von einem Bewohner des Kibbuz Nirim in der Nähe von Gaza ins Leben gerufene Petition unterschrieben. Die Unterzeichner fordern, dass die Medien die staatliche Zeremonie zum Unabhängigkeitstag nicht übertragen sollen, weil sie in Gemeinden an der Grenze zum Gazastreifen stattfinden soll, die Bewohner aber noch immer nicht in der Lage sind, in ihr Zuhause zurückzukehren.

»Die Geiseln sind noch in Gaza und wir, die Überlebenden des Massakers, können nicht in unsere Häuser zurück. Ein Fackelanzünden für die Regierung der Vernachlässigung ist ein Schlag ins Gesicht für uns und die Familien der Geiseln«, so die Petition.

Bei einem Treffen mit den Fackelträgern in der Knesset am Sonntag erklärte Premierminister Benjamin Netanjahu, dass sie »die Helden des Geistes und der Taten in unserer Nation« repräsentieren. »Wir werden unseren Feind besiegen, wir haben keine andere Wahl. Wir stehen zusammen«, bekräftigte er. »Wir tun es gemeinsam.« Das Fackelentzünden markiert das Ende des Gedenktages und den Beginn des Unabhängigkeitstages Jom Haatzmaut.

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