Ratlos steht die Mamme mit dem vollgepackten Einkaufswagen vor dem Regal in der Drogerie-Abteilung des Haredim-Supermarktes. In den Händen hält sie zwei Zahnpasta-Tuben. »Welche ist denn nun koscher für Pessach?«, fragt sie den Verkäufer, den sie zu Hilfe gerufen hat. Bei dem Olivenöl, der Cola und der Hühnerbrühe, die diese Woche im Angebot sind, wird mit einem Extra-Stempel auf die Pessachtauglichkeit hingewiesen. Aber bei der Zahnpasta? Hektisch sucht der Verkäufer die Verpackungen nach Hinweisen durch.
gedrängel Mit der Ruhe ist es in der Heiligen Stadt vorbei: Die Jerusalemer stecken mitten in den Pessach-Vorbereitungen. Die Geschäfte haben extra lange geöffnet, bis in den späten Abend hinein drängen sich die Menschen in den Haushaltswarenläden, um Teller, Gläser und Putzeimer zu kaufen. Überall wird aufgeräumt, gereinigt, sortiert.
Im »Paschut Sol«–Supermarkt in Mahane Yehuda haben die Mitarbeiter bereits drei Wochen vor dem Fest angefangen, das Warenangebot für Pessach zu organisieren. Wo vorher Knäckebrot, Salzbrezeln und Zwieback waren, stehen nun kistenweise Mazzot.
verrückt Kurz vor den Feiertagen werden nach zahlreichen Überstunden die letzten Chametz-Waren ganz aus den Regalen des Geschäfts, in dem hauptsächlich orthodoxe Juden einkaufen, verschwunden sein. Einfach nur bestimmte Fächer mit Folie abzuhängen, wie es in manch anderen Supermärkten üblich ist, würde den kritischen Geboten der religiösen Kundschaft und der Rabbiner nicht genügen, weiß Filialleiter David Kalimi.
Wenn der Jerusalemer Rabbi Ephraim Shore an seinen letzten Einkauf zurückdenkt, muss er lachen. »Die Leute hier sind verrückt«, sagt er. »Man kann sich nicht vorstellen, wie voll es in den Geschäften ist, wie viel die Leute kaufen. Alle sind im Frühlings- und Pessach-Fieber.« Besonders in Jerusalem spüre man die Energie, sagt der Rabbi. »Schließlich leben wir hier am spirituellsten Ort der Welt, der für Juden von überall her Bezugspunkt für den Feiertag ist. Man sagt ja nicht umsonst: Nächstes Jahr in Jerusalem.«
putzen Eine spirituelle Angelegenheit ist für Shore auch der Pessach-Putz, bei dem er, seine Frau und die acht Kinder gemeinsam mit anpacken. Täglich wird ein Abschnitt erledigt. Dazu gehört bei Familie Shore nicht nur, die Zimmer von den letzten Brotkrumen zu befreien, sondern auch das Auto zu polieren, die Garage zu organisieren, den Garten umzugraben. »Wir säubern unser Haus und damit uns selbst«, erklärt er. »Je mehr Zeit und Kraft man in die Vorbereitung investiert, desto mehr holt man am Ende für sich selbst heraus.«
Zeit und Kraft investiert Michael Kandel, Manager bei »Yehuda Mazzot«, bereits seit Oktober. Direkt nach Sukkot haben in der traditionsreichen Jerusalemer Mazze-Fabrik die Vorbereitungen für Pessach begonnen. »Wir exportieren unsere Ware in die ganze Welt, deshalb müssen wir früh anfangen«, erklärt Kandel.
fladen Die in seinem Büro auf einem Regalbrett ausgestellten Verpackungen lassen erahnen, wohin die ungesäuerten Brotfladen verschifft werden: Auf Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch sind die bunten Kartonagen bedruckt.
3,3 Millionen Mazze-Pakete werden von der Fabrik im Stadtteil Givat Shaul aus nach Australien, in die USA, nach Südamerika, Europa und Kanada verschickt. »Ab Ende Januar produzieren wir dann nur noch für den israelischen Markt«, so Kandel. 50 Tonnen täglich, in drei Schichten, rund um die Uhr, von Samstagabend 23 Uhr bis Freitagmittag 13 Uhr, immer im 18-minütigen Wechsel auf zwei Produktionsstraßen, damit die Mazzot auch ja koscher für Pessach sind. »Die Mixer werden abwechselnd alle 18 Minuten gereinigt, damit kein gesäuerter Teig in die Mazze gerät«, erklärt Kandel.
besucher Alle 17 Minuten schlägt eine Glocke Alarm – für die Arbeiter das Zeichen, das Band zu stoppen und mit Hochdruckreinigern abzustrahlen. 100 Menschen sind in den Monaten vor Pessach in den Werkshallen beschäftigt – 60 mehr als in normalen Zeiten. Dazu kommen täglich zahlreiche Besuchergruppen, die sich in der Fabrik drängen, um sich die Mazzot-Produktion aus der Nähe anzuschauen.
Die Mamme im Haredim-Supermarkt hat mittlerweile die richtige Zahnpasta für die bevorstehenden Feiertage gefunden. Glücklicherweise ist es die aus dem Sonderangebot, nur zehn Schekel statt 20, ein echtes Pessach-Schnäppchen. Mit ihrem vollgepackten Einkaufswagen fährt sie durch die Gänge. Ihr Sohn läuft voraus – und bleibt bei dem Trinkschokoladenpulver stehen. »Ima, ist das koscher für Pessach?«, fragt der Kleine. Der Verkäufer ist schon auf dem Weg.