In Israel ist eine heftige Debatte um den zukünftigen Chef der Polizei entbrannt. Am Dienstag, den 25. August, hatte Gilad Erdan, Minister für öffentliche Sicherheit, Gal Hirsch für das Amt nominiert. »Ich freue mich sehr!«, schrieb Hirsch auf seiner Facebook-Seite. Da ahnte er wohl noch nicht, was für ein Sturm sich über ihm zusammenbrauen sollte.
Die Nominierung des 51-jährigen Hirsch ist gleich aus einer ganzen Reihe von Gründen umstritten. Er hat nie zuvor in der Polizei gedient, und seine Nominierung ließ die Karriereträume hochrangiger Polizeiführer platzen, die selbst gern den im Juni pensionierten früheren Polizeichef Yohanan Danino beerbt hätten. Der Chef der Tel Aviver Polizei, Bentzi Sau, kündigte aus Protest seinen Rücktritt an.
Minister Erdan erklärte nach der Verkündung der Personalie, ein Mann von außen sei nötig, um in der von zahlreichen Skandalen erschütterten Polizei Ordnung zu schaffen. Und Premierminister Benjamin Netanjahu gab ihm Rückendeckung, indem er Hirsch auf seiner Facebook-Seite lobte: »Gal Hirsch, verdient und geschätzt, hat eine Reihe von Führungspositionen in der IDF gehalten« sowie »großen Mut und Kreativität« im Kampf bewiesen.
Libanon Gerade Hirschs Armeekarriere ist es jedoch, die eine zweite Gruppe von Kritikern mobilisiert, insbesondere seine Rolle im zweiten Libanonkrieg 2006. Zu jener Zeit kommandierte er als Brigadegeneral die Galiläa-Division, die für Israels nördliche Grenze verantwortlich ist. Von Teilen der Öffentlichkeit wurde er für die Entführung zweier israelischer Soldaten verantwortlich gemacht, die den Krieg auslöste.
Während des Krieges erlitt Hirschs Division zudem mehrere tödliche Fehlschläge im Kampf gegen die Hisbollah. Nach dem Krieg setzte Israel eine Kommission ein, um die Fehler der Armee zu untersuchen. Diese kritisierte Hirsch scharf und empfahl, ihn nicht mehr zu befördern. Kurz darauf quittierte er seinen Dienst.
Eine zweite Kommission urteilte später, die Kritik an Hirsch sei unverhältnismäßig harsch gewesen. 2012 kehrte er zurück zur IDF, und Anfang August dieses Jahres hob Stabschef Gadi Eisenkot Hirschs Errungenschaften in einer Rede hervor.
Doch trotz dieser öffentlichen Rehabilitation machen ihn viele Israelis noch immer für den Tod von Soldaten verantwortlich – allen voran deren Angehörige. Mehrere Familien gefallener Soldaten stellten nach Hirschs Nominierung ein Protestzelt vor der Residenz des verantwortlichen Ministers Erdan auf und drohen, beim Obersten Gerichtshof Beschwerde einzulegen.
Anfang dieser Woche heizte eine Enthüllung die Debatte weiter an. Hirsch ist Direktor einer privaten Sicherheitsfirma namens Defensive Shields Holdings, die Beratung, Ausrüstung und Training anbietet. Wie erst jetzt bekannt wurde, prüft die Staatsanwaltschaft, ob die Firma in unrechtmäßige Geschäfte im Ausland verwickelt ist. Laut Berichten der Tageszeitung Haaretz hatte das FBI Israel schon im Jahr 2013 Informationen über die verdächtigen Geschäfte zukommen lassen, doch offenbar wurden keine Untersuchungen eingeleitet.
Infolge der Enthüllungen wurde nun die Amtszeit des kommissarisch eingesetzten Polizeichefs um 45 Tage verlängert, damit das Justizministerium mehr Zeit hat, Hirschs Nominierung zu prüfen. Selbst wenn die Prüfung positiv ausfällt, muss die Personalie noch vom Kabinett und dem zuständigen Komitee abgenickt werden.
Prüfung Die jüngsten Enthüllungen vertiefen die Zweifel, ob Israels nächster Polizeichef tatsächlich Gal Hirsch heißen wird. Möglich, dass der Umstrittene seinen Kritikern sogar zuvorkommt: Die Online-Zeitung Times of Israel zitierte ungenannte Vertraute Hirschs mit der Warnung, dieser sei nicht bereit, sich einem verlängerten Prüfungsprozess zu unterziehen.
Wie auch immer der Streit ausgehen wird, ein Verlierer steht schon fest: die israelische Polizei mit ihren 29.000 Mitarbeitern. Ihr öffentliches Ansehen ist miserabel. Nur 45 Prozent aller jüdischen und 57 Prozent aller arabischen Israelis haben Vertrauen in die Polizei, wie eine Umfrage des Israeli Democracy Institute ergab. Damit ist sie eine der am wenigsten geschätzten Institutionen überhaupt. Tiefer rangieren nur noch die Medien.
Dafür ist die Polizei selbst verantwortlich. In den vergangenen Jahren musste eine Reihe hochrangiger Polizeiführer wegen diverser Sex- und Korruptionsskandale zurücktreten. In diesem Sommer protestierten Tausende äthiopischstämmige Israelis gegen angebliche Polizeigewalt. Zuletzt geriet die Polizei unter Beschuss, nachdem der ultraorthodoxe Extremist Yishai Schlissel während der Jerusalemer Gay Pride Parade auf sechs Menschen einstach und die 16-jährige Shira Banki ermordete.
Schlissel hatte schon früher für eine ähnliche Attacke im Gefängnis gesessen. Dass er dennoch ungestört zur Parade gehen konnte, wurde der Polizei angelastet. Die Polizei bemüht sich, ihr Image aufzuhübschen, unterhält etwa eine eigene Facebook-Seite, auf der sie das Publikum täglich über erfolgreiche Einsätze informiert. Am Sonntag postete sie ein Foto zweier junger Polizistinnen und schrieb dazu: »Wir wünschen allen eine gute, ruhige Woche«. Zumindest ihrem designierten Chef wird die wohl kaum vergönnt sein.