Meir Gabai liebt seine Heimatstadt. Seit seiner Geburt vor 63 Jahren lebt er in Sderot, in unmittelbarer Nähe zum Gazastreifen. Und schon seit langer Zeit sorgt er dort als städtischer Angestellter für Sicherheit und Ordnung. »Mein ganzes Leben habe ich in Sderot verbracht. Keine Kassam-Raketen, keine Kriege oder Militäraktionen haben mich dazu bringen können, die Stadt zu verlassen.«
Dann kam der 7. Oktober. Hamas-Terroristen drangen in die Stadt ein. Im Gespräch mit unserer Zeitung schildert Meir Gabai die dramatischen Ereignisse: »Ich war mit meinem Sohn an diesem Morgen allein in der Wohnung. Meine Frau war zum Schabbat bei Verwandten, auch in Sderot, aber etwas weiter außerhalb.« Er wohnt nahe der Polizeistation, in der sich später Terroristen verbarrikadierten und die zum Ort schwerer Kämpfe wurde.
PANZERGRANATE »Ich nahm sofort meine Waffe, ging auf die Terrasse und sah dort einen Transporter mit schwer bewaffneten Terroristen. Sie waren zu zehnt.« Er entschloss sich, auf denjenigen zu schießen, der eine Panzergranate in der Hand hielt. »Er drehte sich zu mir, lächelte und zeigte mir ein V-Zeichen.« Dann kam eine Polizeistreife dazwischen, und die Terroristen begannen zunächst, auf sie zu feuern. »Als sie sich wieder in meine Richtung bewegten, lag ich schon auf dem Boden. Sie suchten mich, schossen in alle Richtungen. Über Funk hörte ich, was draußen vor sich ging.« So befand sich Gabai für Stunden in der Wohnung, während die Kämpfe weitergingen und die Terroristen im Wohnviertel unterwegs waren. Sie schossen wahllos auf Zivilisten: Kinder, Alte, Frauen und Männer. Insgesamt starben in Sderot mehr als 50 Menschen. Ein Massaker.
Am Abend kamen die ersten Meldungen, dass Tochter Mor als verschollen galt. Sie war bei Freunden in Aschkelon zu Besuch gewesen. Und obwohl die Kämpfe in Sderot immer noch andauerten, konnte Meir seinen Sohn Daniel nicht davon abhalten, nach ihr zu suchen. »Er fand am Eingang zur Stadt ihr Auto und erzählte mir von Einschusslöchern in der Fahrertür. Uns war klar, dass Mor verletzt sein musste.« Am frühen Dienstagmorgen um 3 Uhr erhielten die Familie dann die traurige Nachricht, dass Mor ermordet worden ist. »Sie wurde nur 30 Jahre alt. Sie war eine echte Kämpferin, sie arbeitete bei der Sicherheit an den Grenzübergängen zum Gazastreifen.«
Meir Gabai wollte nicht, dass seine Kinder ihn weiterhin in seiner Trauer erleben mussten.
Nach der Beerdigung zog die Familie zu Verwandten nach Rosch Haayin, nachdem ihnen klargemacht wurde, wie gefährlich es wäre, in Sderot zu bleiben. »Nach der Schiwa habe ich dann meinen Kindern gesagt: Geht nach Eilat, dort seid ihr unter Gleichaltrigen.« Er wollte nicht, dass sie ihn weiterhin in seiner Trauer erleben mussten. So entschied er, mit seiner Frau nach Jerusalem zu gehen.
Sderot zählt knapp 30.000 Einwohner. Seit Jahren steht die Stadt immer wieder unter Beschuss. Unmittelbar nach Beginn des Krieges und vor dem Start der Bodenoffensive der israelischen Armee im nördlichen Gazastreifen begann die Regierung mit der Evakuierung der Einwohner. Erstmals sollten alle die Stadt verlassen. Einige fuhren mit Autos zu Freunden oder Verwandten in andere Landesteile. Viele wurden mit Bussen nach Tel Aviv, Eilat oder Jerusalem gebracht. Die Regierung finanziert ihre Unterbringung. Nur wenige sind in Sderot geblieben.
UNTERKUNFT In Jerusalem befinden sich nach Angaben der Stadtverwaltung inzwischen rund 5000 Menschen aus Sderot. In drei großen nebeneinanderliegenden Hotels an der Saint-George-Straße ist ein »Klein-Sderot« entstanden. Zahlreiche Bewohner der Stadt haben dort Unterkunft gefunden, werden versorgt und betreut. Viele Freiwillige helfen, stellen Kleidung und andere dringend benötigte Dinge zur Verfügung, waschen die Wäsche, die Stadt kümmert sich um Kinder und Bedürftige, bekannte Künstler sorgen für Abendunterhaltung, Psychologen stehen für Gespräche zur Verfügung.
Eine Sozialarbeiterin schaute auch nach Meir Gabai und seiner Frau. Und irgendwie erhielt Jerusalems Bürgermeister Moshe Lion Kenntnis von den beiden. »Er kam zu uns ins Hotel, hörte sich unsere Geschichte an. Ich erzählte ihm, was ich in Sderot mache. Er umarmte mich und sagte dann: ›Meir, du musst auch bei uns für Sicherheit und Ordnung sorgen.‹« Der Bürgermeister habe gespürt, dass er eine Aufgabe gebraucht habe, so Gabai.
MESSERATTACKE Seitdem ist er tagsüber auf Jerusalems Straßen unterwegs, unterstützt als Freiwilliger die örtlichen Sicherheitskräfte. Und seinen ersten Antiterror-Einsatz hatte er auch schon. Am Montag vergangener Woche verletzte ein Palästinenser einen israelischen Polizisten bei einer Messerattacke schwer. Sofort wurde die Verfolgung des Täters aufgenommen. Gabai war einer der Ersten am Tatort.
Kurz nach unserem Gespräch wird Gabai von den Jerusalemer Kollegen wieder zum Dienst abgeholt. »So muss ich nicht mehr herumsitzen. Der Schmerz ist noch da. Aber so langsam werde ich wieder der, der ich einmal war.«
»Eines ist klar: Auf jeden Fall kehre ich nach Sderot zurück.«
Meir Gabai
Inzwischen ist er schon wieder zweimal kurz in Sderot gewesen. »Es ist schwierig, die Stadt so zu sehen.« Die Polizeistation ist dem Erdboden gleichgemacht, viele Straßen und Häuser sind durch Raketeneinschläge beschädigt, ringsherum alles verlassen. Eine Geisterstadt. So wird Meir Gabai noch eine Zeit lang in Jerusalem bleiben. »Aber eines ist klar: Auf jeden Fall kehre ich nach Sderot zurück.«