Fahrräder waren rot angepinselt und hingen an den in den Himmel gereckten Schaufeln großer Bagger in der Negevwüste. Zwei Tandem-Fahrer hatten sich in einen rosa Dress gekleidet und strampelten Rücken an Rücken, als das lachende Peloton an ihnen vorbeizog.
Israelische Radsportfans haben sich einiges einfallen lassen für den ersten Start des Giro d’Italia außerhalb Europas. Das kam auch bei den Fahrern an. Elia Viviani, Etappensieger in Tel Aviv und in Eilat, sagte: »Die Begeisterung der Zuschauer hat uns überrascht. An einigen Stellen konnte man sich wie in Europa fühlen. Wir haben uns dann gefragt, ob der Giro an sich der Auslöser der Freude war, oder ob es ein Zeichen für das allgemeine Radsportinteresse im Lande ist«, sagte der Italiener, bevor er ins Flugzeug stieg, um ins Heimatland des Giro zu reisen.
Es war sicher eine Mischung aus beidem. Der »Big Start« des Giro war nicht zu übersehen. Bereits am Flughafen in Tel Aviv gab es rosafarbene Aufsteller. Wer immer auch von den Einheimischen mit Touristen zu tun hatte, wies auf den Giro hin.
Rom Auch in der arabischen Bevölkerung wurde der Giro wahrgenommen. Als in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, also am Vorabend der ersten Etappe, ein paar Böller krachten, meinten in Ras Al-Amud, der palästinensischen Siedlung oberhalb des Gräberfeldes am Ölberg, ein paar Burschen: »Hier wird der Giro gefeiert.« Zum Prolog am nächsten Tag gingen sie allerdings nicht hinunter.
Sie verpassten, wie der Kurs durch die moderne Innenstadt Jerusalems zum Triumphparcours für den Titelverteidiger Tom Dumoulin wurde. Zugleich begann hier der Leidensweg seines großen Konkurrenten Chris Froome. Der Brite stürzte im Training und wirkte dann auch im Wettkampf vorsichtiger als gewohnt. Die 37 Sekunden Rückstand, die er sich auf den nur 9,7 Kilometern einhandelte, könnten am Ende entscheidend sein. Gewinnt Dumoulin mit dieser Differenz in Rom, dann hätte Jerusalem die »Ewige Stadt« geprägt, wieder einmal.
Israel hat der Giro definitiv geprägt. Das Land erlebte seine größte internationale Sportveranstaltung. Es gab die allererste Teilnahme von israelischen Radprofis an einer Grand Tour: Guy Niv und Guy Sagiv vom israelischen Profiteam Israel Cycling Academy. Auch das ist natürlich eine Premiere: ein israelischer Rennstall bei einer Grand Tour. Weitere Bestmarken gab es erst einmal nicht. Guillaume Boivin, dem kanadischen Profi der Israel Cycling Academy, blieb es verwehrt, die ersten Bergpunkte und damit auch das Kletterer-Trikot des Giro zu holen. Er legte als Ausreißer zwar die meisten Kilometer zurück. Zwei Italiener schnappten ihm aber jeweils die Bergpunkte weg. Die beiden israelischen Profis Niv und Sagiv wollen nun in Italien in die Fluchtgruppen gehen. Und vor allem wollen sie in Rom ankommen. »Als erster Israeli eine Grand Tour zu beenden, ist ein großes Ziel von mir. Gewöhnlich treten wir ja nicht bei einem Wettkampf an, um ihn nur zu Ende zu fahren. Aber eine große Rundfahrt zu beenden, ist nicht einfach. Ich will den jungen israelischen Fahrern zeigen, dass es zu schaffen ist und dass sie große Träume haben können«, sagte Niv der Jüdischen Allgemeinen.
Zukunft Unter den internationalen Radprofis gilt der Giro-Start in Israel als geglückt. Zwar vermissten einige die Milch in den Hotels mit fleischiger koscherer Küche. Ungewohnt war auch, dass Teambusse und Technik-Trucks nicht nach Israel kamen. Aber das erinnerte die meisten eher an die rustikaleren Anfänge in jungen Rennfahrerjahren. Der doppelte Etappensieger Elia Viviani konnte sich sogar vorstellen, dass es bald eine »Tour of Israel« gibt. »Es müssten dann nur ein paar Berge mehr rein, damit alle Fahrer etwas davon haben. Für den Big Start einer Grand Tour war der Parcours jetzt aber perfekt«, erklärte er.
Eine Tour of Israel wäre der nächste Schritt im Image-Branding des Staates Israel, nach Cherrytomaten und Silicon Wadi. Auf dem Weg dahin sind aber noch einige Probleme zu lösen – etwa die der Finanzierung und Organisation solcher Events. Da hat der Radsportinvestor Sylvan Adams, der die Israel Cycling Academy mitfinanziert und drei Viertel des Budgets des Big Starts übernahm, sicher noch Ressourcen.
Einen Schritt in Richtung gemeinsame Zukunft stellte die Anwesenheit der beiden arabischen Teams UAE und Bahrain Merida dar. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain, die Heimatländer der Hauptsponsoren, haben keine diplomatischen Beziehungen mit Israel. Die Geldgeber machten aber keine Anstalten, ihre Teams nicht zum Giro zu schicken. »Ich habe jedenfalls nichts davon gehört. Es bestand kein Risiko eines Boykotts. Es handelt sich doch um den Großen Start des Giro d’Italia!«, sagte Renndirektor Mauro Vegni der Jüdischen Allgemeinen. Damit war der Giro ein echter Türöffner.