EILMELDUNG! Israel und Hamas einigen sich offenbar auf Geisel-Abkommen und Feuerpause

Covid-19

Ein bitteres Rosch Haschana

Am Tag vor dem Lockdown: Händler mit Granatäpfeln auf dem Mahane-Yehuda-Markt in Jerusalem Foto: Flash 90

Normalerweise ist an Rosch Haschana alles süß: Honigkuchen, Granatäpfel, Datteln und Schokolade im Überfluss. »Schana towa u’metuka« wünschen sich die Menschen in Israel, »ein gutes und süßes Jahr«.

5781 aber startet mit einem bitteren Geschmack im ganzen Land: Die Corona-Zahlen steigen, und ab Freitagnachmittag beginnt der zweite nationale Lockdown, der mindestens drei Wochen lang gelten soll.

EREW CHAG Schweren Herzens statteten viele Israelis ihren Eltern und Verwandten schon in den vergangenen Tagen einen Besuch ab, Blumenstrauß und Kuchen in der Hand. Denn der Besuch am Erew Chag, an dem traditionell die Großfamilien zum festlichen Abendessen zusammenkommen, ist verboten. Um 14 Uhr wird alles abgesperrt, nur wenige Stunden später beginnt mit dem Sonnenuntergang das jüdische Neujahrsfest Rosch Haschana.  

Die Vorfreude auf das Fest ist extrem gedämpft, die Menschen sehnen ein besseres Jahr herbei.

In den letzten Stunden erledigen viele Israelis noch Einkäufe, backen die runden Challot, die den Kreislauf des Jahres symbolisieren, und bereiten ihre Festessen vor. Doch die Vorfreude auf das Fest ist extrem gedämpft. Die meisten sehnen ein »besseres 5781« herbei.

Hilfsorganisationen mahnen, »die Alten und Kranken« an den Hohen Feiertagen nicht zu vergessen. Der Rettungsdienst ZAKA berichtete von mehr als Hundert Menschen, die seit Ausbruch von Covid-19 in ihren Häusern starben – allein und vergessen.

POSITIVRATE Noch immer hat das Coronavirus Israel fest im Griff. Am Donnerstag lag die Zahl der Neuinfektionen bei 5238. Die Zahl der Tests ist in den vergangenen Tagen stetig erhöht worden und stand zuletzt bei fast 57.000. Die Positivrate ist innerhalb einer Woche von acht auf über neun Prozent gestiegen. Im palästinensischen Westjordanland liegt die Zahl der aktiven Fälle bei 11.000 mit 250 Toten, in Gaza bei 1740 Fällen mit 16 Toten.

Israel hat derzeit fast 48.000 aktive Fälle. In den Krankenhäusern befinden sich 1190 Patienten, 577 von ihnen sind in kritischem Zustand. 153 Menschen müssen künstlich beatmet werden, vor einer Woche waren es 110.

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind die Krankenhäuser landesweit entweder am Rand ihrer Auslastungsgrenze oder haben sie bereits überschritten. Dies ist einer der Hauptgründe für die extreme Maßnahme, gibt die Regierung an.

HERZEN In seiner Neujahrsansprache entschuldigte sich Präsident Reuven Rivlin bei den Israelis: »Sie haben uns vertraut, und wir haben Sie enttäuscht.« Rivlin bat die gesamte Nation um Vergebung. »Wir stehen kurz davor, das neue Jahr zu begehen, und es ist schwer, in unseren Herzen Platz für die feierliche Stimmung zu finden, die sonst zu dieser Zeit mit uns ist.«  

»Als das Coronavirus in unser Leben trat, dachten wir, es werde eine harte Schlacht, doch wir hofften auf einen schnellen Sieg, und so akzeptierten wir die Restriktionen trotz der Kosten, die diese beinhalteten«, führte der Präsident aus.

»Und jetzt müssen wir wieder den Preis zahlen – einen realen und hohen Preis.«

Präsident Reuven Rivlin

»Die Bürger verdienen ein Sicherheitsnetz, das das Land zur Verfügung stellt, und Minister, die für Sie arbeiten – und nur für Sie –, um Leben zu retten, die Ansteckungsrate zu mildern und die Wirtschaft zu retten. Ich verstehe das Gefühl, dass dies nicht zur Zufriedenheit geschehen ist.« In Bezug auf den zweiten Lockdown sagte Rivlin: »Und jetzt müssen wir wieder den Preis zahlen – einen realen und hohen Preis.«

SPORT Wenige Stunden vor Beginn der Schließungen, die fast das gesamte Bildungssystem und nicht essenziell notwendige Geschäfte umfassen, lockerte die Regierung einige Regulationen. So dürfen sich die Menschen jetzt nicht mehr nur 500 Meter von ihrem Zuhause entfernen, sondern einen Kilometer.

Auch Sport ist draußen erlaubt. Allerdings darf man sich nicht gegenseitig besuchen. Hotels, Einkaufszentren sowie Freizeitstätten und Strände müssen schließen, Sportstudios können begrenzt öffnen. Restaurants dürfen nur noch außer Haus verkaufen. Lebensmitteleinkäufe und Arztbesuche bleiben erlaubt.

Auch Besuche in der Synagoge zum Gottesdienst sind möglich. Allerdings dürfen sich im Innern lediglich zehn Gläubige aufhalten, im Freien bis zu 20 Personen. Besonders an den Hohen Feiertagen kommen in den großen Synagogen des Landes oft Tausende von Menschen zusammen.

HILFSPAKET Regierungschef Benjamin Netanjahu warnte, er werde nicht zögern, dass man die Restriktionen noch verschärft, sollten die Zahlen nicht entsprechend sinken. Gesundheitsminister Yuli Edelstein äußerte sich ähnlich und fügte hinzu, »wenn die Menschen glauben, dass es in drei Wochen vorbei ist, wissen sie nicht, wovon sie reden«. Gemeinsam mit seinem Finanzminister Israel Katz kündigte Netanjahu ein Hilfspaket für die Auswirkungen der jetzigen Regulationen auf Geschäfte und Freiberufler an.  

Die Opposition kritisiert den Corona-Kurs der Regierung und den zweiten Lockdown scharf. Die Krise hat der Wirtschaft des Landes bereits schwer zugesetzt. Die Arbeitslosigkeit liegt noch immer bei 20 Prozent und wird nach Expertenmeinung jetzt weiter steigen. Bis zu 300.000 Jobs könnten durch den zweiten Lockdown zerstört werden.

»Dieser Lockdown ist ein Fehler, er ist ein Desaster.«

Oppositionsführer Yair Lapid

Oppositionsführer Yair Lapid von Jesch Atid ist der Meinung, dass die Bürger bestraft werden, weil die Regierung versagt habe. »Dieser Lockdown ist ein Fehler, er ist ein Desaster.« Am Donnerstag hatten in Tel Aviv einige Hundert Menschen gegen den Lockdown demonstriert. Seit Monaten gibt es regelmäßige Proteste gegen die Pandemie-Politik der Regierung.

Präsident Reuven Rivlin rief die Bürger in seiner Ansprache zu Einigkeit und einer gemeinsamen Kraftanstrengung auf. An die Regierung gewandt, machte er deutlich: »Wir müssen alles tun, um unter unseren Mitbürgern persönliches, medizinisches und ökonomisches Vertrauen wiederherzustellen. Dies ist eine zweite Chance, und wir müssen sie nutzen.« Denn, so der Präsident: »Ich fürchte, wir bekommen keine dritte.«

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