Der junge Mann hält den Kopf in den Händen und weint hemmungslos. Es ist Edan Alexander, der US-amerikanisch-israelische Doppelstaatsbürger, der von der Hamas als Geisel festgehalten wird. Es sind verstörende Aufnahmen, die am Samstagabend in einem Propagandavideo der Terrororganisation veröffentlicht wurden. Einerseits schockieren sie mit ihrer Grausamkeit, einen Menschen so zu quälen und vorzuführen, andererseits bringt das Video den Israelis große Erleichterung, endlich ein Lebenszeichen des 20-Jährigen zu erhalten.
Der Soldat wurde am 7. Oktober von Terroristen der Hamas von seinem Wachposten in der Nähe von Nirim nach Gaza entführt. Seine Familie hat zugestimmt, das Video auszustrahlen. Es wurde am 421. Tag des Krieges veröffentlicht und zeigt Alexander, wie er sagt, er sei »seit mehr als 420 Tagen ein Gefangener der Hamas«. Die Worte, die er spricht, sind offensichtlich diktiert.
Er wendet sich auch direkt an den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu: »Ich habe Sie in den Nachrichten zum israelischen Volk sprechen hören und bin sehr enttäuscht. Ein Premierminister sollte seine Soldaten und Zivilisten schützen. Doch Sie haben uns im Stich gelassen.«
Der junge Mann fleht, »diesem Albtraum ein Ende zu setzen«
»Wir hatten noch nie mehr Angst als heute und sterben mit jedem Tag, der vergeht, tausendmal. Die Angst und die Isolation bringen uns um«, sagt Alexander in dem Video, in dem er auch mehrfach gezeigt wird, wie er weint und hemmungslos schluchzt. »Bitte vergessen Sie uns nicht. Es ist nicht fair, dass wir für einen Fehler bezahlen, den unsere Regierung gemacht hat«, sagt er. Die Israelis fleht er an, weiter für die Freilassung der Geiseln zu protestieren und Druck auf die israelische Regierung auszuüben. »Es ist Zeit, diesem Albtraum ein Ende zu setzen.«
An einem Punkt erwähnt er auch Netanjahus jüngsten Vorschlag, jeder Person, die eine Geisel lebend an Israel übergibt, fünf Millionen Dollar zu zahlen. Alexander geht jedoch nicht weiter darauf ein. Vielleicht sollte mit diesen Aussagen die Aktualität des Videos bewiesen werden.
Anschließend wendet er sich auf Englisch an den designierten US-Präsidenten Donald Trump und sagt: »Als Amerikaner habe ich immer an die Macht der Vereinigten Staaten geglaubt. Bitte nutzen Sie Ihren Einfluss und die gesamte Macht der USA, um für unsere Befreiung zu verhandeln. Jeder Tag hier fühlt sich wie eine Ewigkeit an, und der Schmerz in mir wächst von Tag zu Tag.«
»Wir hatten noch nie mehr Angst als heute und sterben mit jedem Tag, der vergeht, tausendmal. Die Angst und die Isolation bringen uns um.«
»Machen Sie nicht den Fehler, den [US-Präsident Joe] Biden gemacht hat. Die Waffen, die er geschickt hat, töten uns jetzt. Die unrechtmäßigen Belagerungen lassen uns verhungern. Ich möchte nicht tot enden wie mein amerikanischer Mitbürger Hersh«.
Hersh Goldberg-Polin war zusammen mit fünf anderen Israelis in einem Tunnel von Terroristen der Hamas ermordet worden, als sich Truppen der IDF näherten. Die sechs jungen Menschen hatten elf Monate lang in der Geiselhaft überlebt.
Edans Familie erfuhr erst durch freigelassene Geiseln, dass ihr Sohn noch lebt. Unter anderem berichtete Rimon Buchshtab-Kirsht, die ihm in den Tunneln unter Gaza begegnet war: »Edan hat mir gesagt, ›ich bin Soldat. Es wird einige Zeit dauern, bis ich freigelassen werde. Aber ihr seid Zivilisten. Die Regierung wird euch innerhalb weniger Tage freilassen. Seid stark. Alles wird gut werden.‹«
Am Abend der Veröffentlichung des Videos ihres Sohnes sprach Edans Mutter, Yael Alexander, auf dem Platz der Geiseln in Tel Aviv. Sie erzählte, dass Netanjahu sie kurz vor der Kundgebung angerufen und ihr gesagt habe, dass nun, da ein Waffenstillstand im Libanon in Kraft getreten sei, die Bedingungen für die Rückkehr der Geiseln nach Hause geschaffen seien. »Seien Sie stark gegenüber denen in Ihrer Regierung, die sich einem Abkommen widersetzen«, habe die Mutter dem Premierminister mit auf den Weg gegeben, »denn die Mehrheit der Öffentlichkeit unterstützt Sie«.
Jede Stunde, die vergeht, verringert Aussicht auf ihr Überleben
Seine Eltern Yael und Adi, beide Israelis, die in die USA ausgewandert sind, wandten sich ebenfalls an Trump und baten ihn, mit Präsident Biden und Netanjahu zusammenzuarbeiten, um sofort eine Einigung zu erzielen. »Während dieses Video bestätigt, dass unser Sohn Edan am Leben ist, ist es auch eine eindringliche Erinnerung daran, dass 101 unschuldige Menschen in den Fängen der Hamas bleiben. Jede Stunde, die vergeht, verringert die Aussicht auf ihr Überleben.«
Die linksliberale Tageszeitung Haaretz berichtete am Sonntag, sie habe mit der Familie der Geisel über die Hilfe der USA und Israels gesprochen. »Wir fahren jede zweite Woche nach Washington und treffen uns mit jedem aus der Regierung, den wir erreichen können«, so Yael Alexander. Zweimal hätten sie Präsident Biden getroffen, darüber hinaus auch die Vizepräsidentin Kamala Harris sowie Senatoren und Kongressabgeordnete. »Sie alle kennen die Geschichte.«
Im Gegensatz dazu, erklärte sie, seien sie nicht ein einziges Mal mit einem Vertreter der israelischen Regierung zusammengekommen. »Es gibt hier niemanden, mit dem man reden kann.« Sie habe sogar das Gefühl, dass sich Regierungsvertreter nicht mit der Familie treffen wollen. »All das Mitgefühl und die Hilfe, die wir bekommen, kommt ausschließlich von der amerikanischen Regierung.« »Unser Sohn wurde als israelischer Soldat entführt. Er hat sein bequemes Leben in Amerika aufgegeben und ist nach Israel gekommen, um dem Land zu dienen und seine Grenzen zu verteidigen. Wo also bleibt die Verpflichtung des Staates ihm gegenüber?«
Am Sonntag erklärte Sean Savett, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA: »Das heute veröffentlichte Geiselvideo des amerikanisch-israelischen Bürgers Edan Alexander ist eine grausame Erinnerung an den Terror der Hamas gegen Bürger zahlreicher Länder, darunter auch unseres eigenen«.
»Der Krieg in Gaza würde morgen enden und das Leiden der Gaza-Bewohner würde sofort enden – und wäre schon vor Monaten zu Ende gewesen –, wenn die Hamas der Freilassung der Geiseln zustimmen würde«, so Savett. »Hamas hat sich geweigert, dies zu tun, aber wie der Präsident letzte Woche sagte, haben wir eine entscheidende Gelegenheit, den Deal zur Freilassung der Geiseln abzuschließen, den Krieg zu beenden und humanitäre Hilfe nach Gaza zu schicken. Dieser Deal liegt jetzt auf dem Tisch.«