Wie man den Gürtel enger schnallt, wissen die meisten Israelis nur zu gut. Seit dieser Woche wird er noch ein wenig mehr kneifen. Vor allem bei jenen, die jeden Schekel bitter nötig haben. Das Kindergeld wurde drastisch gekürzt, und auf den Konten der Eltern von Naharija bis nach Eilat gingen plötzlich Hunderte von Schekeln weniger ein.
Fast durchgängig wurde diese Idee des Finanzministers Yair Lapid von Politikern der Opposition und Wohlfahrtsorganisationen verrissen. Der Minister indes ist völlig von seinem Konzept überzeugt und postete zur Einführung munter auf Facebook: »Die verschlankten Zahlungen waren eines unserer hauptsächlichen Wahlversprechen. Jetzt ist es Wirklichkeit geworden.« Es sei eine historische Änderung von der Kultur des »Kinderkriegens zu einer Kultur der Arbeit«. Lapids Belohnung für die Buhrufe aus der Bevölkerung: 2,75 Milliarden Schekel im Jahr Einsparungen für das Riesenloch im Haushalt.
armut Seiner Meinung nach hat das Kindergeld dazu beigetragen, die Armut voranzutreiben und nicht zu verringern. »Wenn jemand ein Kind hat, ist er dafür verantwortlich – und nicht der Staat. Das Einzige, was Leute wirklich aus der Falle der Armut bringt, ist ein Job.«
Im Land der Familie schwer verdauliche Sätze. Häuser voller Nachwuchs gehören hier zum Leben wie die Pita zum Humus. Drei und vier Kinder sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Ganz zu schweigen von streng religiösen Familien, bei denen oft mehr als zehn Sprösslinge herumspringen. Ganz besonders die Ultraorthodoxen werden von den Kürzungen schmerzlich getroffen werden. Oft ist das Kindergeld plus ein Stipendium für das Jeschiwastudium des Ehemannes das einzige Einkommen dieser Familien, die zum großen Teil unterhalb der Armutsgrenze leben.
Berechnung Die Reduzierungen werden entsprechend der Anzahl und des Alters der Kinder vorgenommen. Nach der neuen Regel zahlt der Staat für die ersten zwei knapp 29 Euro monatlich, statt 43 Euro, die vorher überwiesen wurden. Eine Familie mit beispielsweise drei vor dem Juni 2003 Geborenen hat heute mit einem Schlag pro Monat rund 60 Euro weniger zur Verfügung.
»Und das ist eine Menge«, findet Einat Biton, die als Alleinerziehende mit ihren drei Töchtern im Süden von Tel Aviv lebt. »Diese Summe entscheidet darüber, ob ich meinen Mädchen einen Kurs außerhalb der Schule bezahlen kann, ob wir am Wochenende ins Schwimmbad gehen, einen Kindergeburtstag veranstalten können oder nicht. Wir werden deswegen keinen Hunger leiden, doch auch diese Einschränkungen sind traumatisch für meine Kinder.«
Dieser Meinung ist auch Arie Deri, Vorsitzender der ultraorthodoxen Partei Schas. Er bezeichnete den Tag der Einführung als »Trauertag in Israel, der Zehntausende von Kindern hierzulande unter die Armutsgrenze schickt«. Oppositionschefin Schelly Jachimovitch sprach sich von Anfang an vehement gegen diese Art von Budgeteinsparung aus: Man solle sich doch darum kümmern, die Armut für die 870.000 Kinder in Israel zu verringern. Und nicht, ihnen das Leben noch schwerer zu machen.
Rosch Haschana Besonders in der Zeit rund um den Schulbeginn und vor den Hohen Feiertagen bekommen die israelischen Eltern die Auswirkungen zu spüren. Neue Ranzen, Schulhefte und Stifte müssen her, dazu festliche Kleidung für Rosch Haschana. »Bei uns wird es keine frischen Früchte geben, und leider auch keine Geschenke für die Kinder«, so Dikla Cohen, die gerade auf dem Carmelmarkt für die Feiertage einkaufen geht. Sie sucht Schnäppchen.
Die Mutter von sechs Mädchen und Jungen musste schon immer aufs Geld achten, nun aber wird es extrem knapp. Sie selbst arbeitet als Reinigungskraft, ihr Mann ist Busfahrer bei der städtischen Gesellschaft. »Wir haben schon immer gespart, doch jetzt weiß ich wirklich nicht mehr, wo ich noch etwas abzwacken kann. Bei mir herrscht völlige Ebbe im Portemonnaie.«
Gepaart mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 18 Prozent vor einigen Monaten sei die Kürzung eine explosive Mischung, meint Itzhak Kadman vom »Nationalrat für das Kind«. In den meisten westlichen Staaten ist die Unterstützung für Kinder in den vergangenen Jahren gestiegen. Israel allerdings habe bereits vor der Änderung unterhalb des OECD-Durchschnittes gelegen. Im Schnitt gibt ein europäisches Land 4,3 Prozent des Pro-Kopf-Bruttoinlandsproduktes für Kindergeld aus, während es in Israel lediglich 2,4 Prozent sind.
sparen Laut einer Umfrage der Wohltätigkeitsorganisation Yedid wird etwa ein Viertel aller israelischen Haushalte jetzt keine Wahl haben, als am Essen zu sparen. Elf Prozent müssen sich bei medizinischer Versorgung einschränken, 39 Prozent der Menschen werden weniger Kleidung kaufen und 35 Prozent weniger für Kultur und Sport ausgeben können.
Nicht verwunderlich, meint der Knessetabgeordnete der Arbeitspartei und ehemalige Sozialminister Yitzhak Herzog. »Habt ihr das verstanden?«, fragte er im Parlament. »Der Finanzminister ist stolz darauf, dass er die Last für Hunderttausende von Familien erschwert – vor allem jetzt, wo die Feiertage vor der Tür stehen.« Lapid werde damit Hass und Feindschaft in Israel schüren, ist Herzog überzeugt. »Er sollte sich schämen.«