Tourismus

Ebbe am Mittelmeer

Viel Platz am Strand von Tel Aviv: ein einsamer Tourist am 18. November, gleich nach dem Bombenalarm Foto: Flash 90

Manche duckten sich und suchten Schutz hinter dicken Mauern, um anschließend sofort wieder ins Mittelmeer zu hopsen. Andere packten ihre Koffer wieder aus und kamen erst gar nicht nach Israel. Als die Raketen aus dem Gazastreifen auf das Land niederprasselten, trafen sie auch den Tourismus ins Mark. 300.000 Urlauber stornierten ihre Reisen, Einbußen von fast 1,3 Milliarden Euro müssen verschmerzt werden. Die Branche wird noch eine Weile mit schleppenden Buchungen zu kämpfen haben. Jetzt versuchen die Verantwortlichen, Besucher aus aller Welt mit Initiativen und neuen Angeboten ins Land zu locken.

Israel-Touristen sind eine besondere Spezies. Viele, einmal hier gewesen, kommen immer wieder. Dass vor allem jüdische Gäste aus aller Welt Israel in Zeiten der Krise die Treue halten, ist nichts Neues. Doch auch Besucher ohne familiäre Bindungen schwören Stein und Bein, dass sie sogar in Kriegszeiten in Tel Aviv tanzen oder auf der Via Dolorosa spazieren gehen. Um die Hunderttausend Touristen verließen Israel nicht, als die Bomben flogen, rannten gemeinsam mit den Israelis in Schutzbunker und machten sich fast trotzig auf zu den Sehenswürdigkeiten im ganzen Land.

Pilger Pilar Fernández aus Argentinien ist zwar erst nach Ende der Operation »Wolkensäule« gelandet, betont jedoch, dass sie ihre organisierten Pilgerreise »um keinen Preis abgesagt« hätte. Nach vier Tagen Jerusalem gibt es für die Gruppe eine weltliche Verschnaufpause in Tel Aviv. Danach geht es weiter auf den Spuren von Jesus am See Genezareth. Wo Fernández auch wandelt, sie spürt überall heiligen Boden unter den Füßen, wie sie enthusiastisch beschreibt. »Israel ist so besonders. Alles hier ist von einer außergewöhnlichen Art. Die Orte, die Stimmung, die Menschen und eben auch die Politik.« Das müsse man sich klarmachen, bevor man herkomme.

Nicht eine Sekunde habe sie gezögert, die Buchung ihrer lang herbeigesehnten Reise bestehen zu lassen. Weniger als zwei Wochen nach der Militäraktion in Gaza bestieg die Pilgerin das Flugzeug und machte sich auf den Weg, um Israel zu sehen und an Israels Seite zu stehen, so die gläubige Katholikin. »Und kein Terrorist dieser Welt hätte mich davon abgehalten.«

Nicht alle sind so mutig und wollen auf dem Pulverfass mittanzen. Im Zuge der Gaza-Krise sind die Hotelreservierungen um zehn bis 20 Prozent zurückgegangen, heißt es in einer Presseerklärung des Tourismusministeriums. Und zwar im ganzen Land, nicht nur in den von den Geschossen stark betroffenen Gegenden im Süden. Minister Stas Misezhnikov gab zu, dass der Schaden nicht unerheblich sei, machte jedoch Mut, da es großes Potenzial zur Wiederbelebung gebe. Entsprechend der Zahlen der Welttourismusorganisation, so der Minister, habe das Wachstum in der Branche weltweit im ersten Halbjahr vier Prozent betragen – in Israel sieben.

Wohnmobil Auch die Vertreter von 150 Reiseveranstaltern, die derzeit in Israel zu Gast sind, sollen zur schnellen Gesundung der Branche beitragen. Sie kommen aus den USA, Brasilien, Schweden, Ungarn, Südafrika, China, Korea, Deutschland und anderen Ländern. Die meisten sind zum ersten Mal hier. Ein brandneues Angebot soll nun zudem Reisende herlocken, die Israels per Wohnmobil erkunden möchten. Bislang gab es nicht einen einzigen Karawan zu mieten, nach der Aufhebung bestimmter Einfuhrsteuern aber werden in diesen Tagen die ersten Fahrzeuge von Autovermietern vorgestellt.

In Zusammenarbeit mit der nationalen Naturparkbehörde lädt das Tourismusministerium Urlauber ein, die lieber auf vier Rädern als im Hotel übernachten. Dennoch können sich viele potenzielle Urlauber noch nicht zum Reiseantritt durchringen. Die Angst sitzt im Nacken. Das zeigen die Buchungen aus dem Ausland, die schleppender eingehen als vor dem Krieg. Ein Expertenteam des Ministeriums überlegt nun, Berater in die jeweiligen Länder zu schicken. Besonders in Russland, Großbritannien und den USA soll das Geschäft mit den Besuchern noch vor Weihnachten wiederangekurbelt werden.

Während Misezhnikov sich verhalten optimistisch äußerte, erklärte er gleichsam, dass es »Jahre dauern kann, um die Zahl der Flüge zu erhöhen, doch nur sechs Tage, um sie alle wieder zu verlieren«. Dennoch sind sich die Fachleute einig, dass der Schaden wohl kurzfristig bleiben werde. Jossi Fischer von der Vereinigung der Reiseveranstalter vergleicht die Lage mit der beim Nachbarn: »Hunderte von Menschen sind in Ägypten getötet worden, als die Demonstrationen losbrachen. Der Tourismus war so gut wie erledigt – und ist schon heute fast wieder so wie vor der Revolution.« Es gebe keinen Grund, warum die Menschen nicht nach Israel zurückkehren sollten.

Party Brian Holmes ist zurück. Es ist nicht sein erstes Mal und wird nach eigener Auskunft nicht sein letztes sein. Doch auf Druck seiner Familie hat Holmes seinen Flug verschoben. Eigentlich hätte er bereits vor zehn Tagen zu seinem zweiwöchigen Partyurlaub in Tel Aviv landen sollen. Er selbst hatte wenig Bedenken, seine Eltern aber bezeichneten Clubbesuche mit Bomben im Nacken als »unerhörten Leichtsinn«. Der 34-jährige US-Amerikaner kommt alle Jahre wieder nach Israel, nachdem er als Austauschschüler ein Jahr im Land verbracht hatte. Obwohl nicht jüdisch, bezeichnet er sich als »Israels Seelenverwandter«.

Wie viele Städter, die Tel Aviv ihr Zuhause nennen, meint auch der Amerikaner, dass jeder Mensch mindestens einmal im Leben in der Stadt Urlaub gemacht haben sollte. »Tel Aviv ist eine der coolsten Städte der Welt.« Die Zahlen geben ihm recht: 70 Prozent aller Israel-Reisenden machen halt in der weißen Stadt. Um das global zu verkünden, hat die Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Tourismusministerium, der Hotelvereinigung und Schwulenverbänden eine neue Website kreiert.

Auf www.visit-tel-aviv-yafo.com sollen sich Gäste schnell auf Englisch zurechtfinden und vom gesamten Programm in der Stadt profitieren. Geplant sind außerdem französische, russische, deutsche und italienische Versionen. Bürgermeister Ron Huldai ist begeistert: »Es ist richtig, dass jeder potenzielle Tourist in der ganzen Welt weiß, was alle schon wissen, die hier waren: Tel Aviv ist eine herausragende und überraschende Stadt, in der es sich nicht nur prima leben lässt, sondern die auch einen Besuch wert ist.« Ab sofort sogar im Wohnmobil.

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