Herr Berman, Sie haben kürzlich ein Lebenszeichen von Ihren am 7. Oktober 2023 nach Gaza verschleppten Brüdern erhalten. Was wissen Sie über die Situation von Gali und Ziv?
Wir haben eine zweite Bestätigung erhalten, dass sie noch am Leben sind. Das erste Lebenszeichen erreichte uns im November nach ihrer Entführung, doch erst jetzt haben Berichte freigelassener Geiseln es erneut bestätigt. Leider wissen wir nicht viel über ihren aktuellen Zustand – nur, dass sie immer noch voneinander getrennt sind.
Sie wissen nichts über ihren gesundheitlichen Zustand?
Im November haben wir erfahren, dass beide verletzt sind. Einer meiner Brüder hatte eine Verletzung am Ohr, die bandagiert war. Der andere erlitt eine Gehirnerschütterung durch Trümmerteile. Ob sie medizinisch versorgt wurden, wissen wir nicht.
Ihre Familie besitzt neben der israelischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Haben Sie Unterstützung von offizieller deutscher Seite erfahren?
Die deutsche Regierung unterstützt uns sehr. Sie ist zwar kein direkter Vermittler wie Katar, Ägypten oder die USA, aber sie setzt sich innerhalb der EU und auf diplomatischer Ebene für die Freilassung der Geiseln ein. Bundeskanzler Scholz hat sich mit Angehörigen getroffen, und der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, steht regelmäßig mit uns in Kontakt. Aber es gibt Dinge, bei denen Deutschland noch mehr tun könnte.
Welche wären das?
Deutschland ist eine der wichtigsten Stimmen in Europa. Wir fordern, dass die Unterstützer der Hamas stärker unter Druck gesetzt werden – sei es durch Finanzierungsstopps oder Sanktionen gegen Organisationen wie UNRWA, von denen bekannt ist, dass einige ihrer Mitarbeiter an den Massakern beteiligt waren. Auch Länder wie Türkei und Iran, die Hamas finanzieren, müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
Sie haben auf einer Veranstaltung im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz gesprochen. Was war Ihnen dort wichtig zu betonen?
76 Geiseln sind noch immer in den Händen der Hamas – wir wollen ihre Geschichten erzählen, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. (Anm. d. Red. Das Gespräch fand vor der Freilassung der Geiseln Sasha Troufanov, Sagui Dekel-Chen und Yair Horn statt) Wir wollen zeigen, dass hinter den Zahlen echte Menschen stehen. Gleichzeitig haben wir an die internationalen Entscheidungsträger appelliert: Der Krieg kann nur enden, wenn die letzte Geisel nach Hause zurückkehrt. Solange Hamas Geiseln festhält, hat sie eine politische Verhandlungsmasse, die ihre Macht sichert.
Haben Sie das Gefühl in Deutschland genug Solidarität und Mitgefühl zu erfahren?
Wir hatten bisher keine direkten Begegnungen mit der deutschen Bevölkerung, aber die Menschen, die wir auf der Konferenz getroffen haben, haben nicht nur Mitgefühl gezeigt, sondern aktiv gefragt: »Was können wir tun?« Das hat uns Kraft gegeben.
Die Namen Ihrer Brüder stehen nicht auf der Liste der ersten Phase des Geiseldeals. Wird aus Ihrer Sicht auf die folgenden zwei Phasen genug Druck auf Hamas ausgeübt?
Ich hoffe es. Wir haben gesehen, dass Druck funktioniert – zum Beispiel durch die Trump-Administration, die klarmachte, dass es Konsequenzen haben werde, wenn keine Geiseln freikommen. Und dann, kurz darauf, kamen sie frei. Wir müssen diesen Druck aufrechterhalten, bis die letzte Geisel frei ist.
Haben Sie mit Premierminister Benjamin Netanjahu und Vertretern seiner Regierung sprechen können?
Einmal. Er versprach, alles in seiner Macht Stehende zu tun. Interessanterweise hat er sich während der Verhandlungen zuletzt sehr zurückgehalten. Weniger Worte, mehr Taten – das ist gut.
Haben Sie Ihren Kibbuz Kfar Aza, wo ihre Brüder wohnten, seit dem 7. Oktober besucht?
Oft. Ich selbst habe Kfar Aza vor mehr als einem Jahrzehnt verlassen, wollte aber mit meiner Familie zurückkehren. Am 7. Oktober war ich nicht dort, sondern zwei Stunden entfernt. Seitdem war ich mehrmals dort – und jedes Mal ist es schockierend. Kfar Aza war größtenteils ein Paradies.
Gibt es bereits Wiederaufbauprojekte?
Einige Viertel werden gerade wieder aufgebaut, zerstörte Häuser wurden abgerissen. Aber es wird mindestens zwei bis drei Jahre dauern, bis Kfar Aza wieder bewohnbar ist. Eine zentrale Frage bleibt: Wie lebt man dort, wenn in den Häusern nebenan Familien ermordet wurden?
Was muss sich an der Sicherheitslage ändern, damit ein Leben in Kfar Aza und den anderen Kibbuzim des Südens wieder vorstellbar wird?
Die Hamas darf nicht an der Macht bleiben. Solange sie in Gaza ist, können wir nicht sicher leben. Wir wollen keine weiteren Mauern oder Tunnel. Wir wollen Nachbarn, mit denen wir in Frieden leben können – doch dafür muss sich die Mentalität in Gaza ändern.
Mit Lirat Berman sprach Chris Schinke
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