Israel

Proteste gegen die Geschlechtertrennung

Protest in Bnei Brak am Donnerstagabend Foto: Flash 90

Lee Hoffmann Agiv ist wütend. So wie viele andere Frauen in Israel. Die 36-Jährige ist seit Jahresbeginn aktiv im Kampf gegen den Justizumbau, den die rechts-religiöse Regierung von Benjamin Netanjahu vorantreibt. Wie viele ihrer Mitstreiterinnen sieht die Weinhändlerin aus einem Ort nördlich von Tel Aviv das Vorhaben der Regierung auch als massive Gefahr für Frauenrechte in Israel.

»Ich bin verärgert, enttäuscht, besorgt«, beschreibt die Israelin ihre Gefühle angesichts von Versuchen ultragreligiöser Regierungsmitglieder, mehr Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum durchzusetzen.

Bonot Alternativa Um dies zu verhindern, organisiert Hoffmann Agiv Aktionen der Gruppe Bonot Alternativa (Auf Deutsch: Frauen bauen eine Alternative). Am Donnerstagabend marschierten Tausende von Frauen in den Tel Aviver Vorort Bnei Brak, in dem hauptsächlich orthodoxe und ultraorthodoxe Juden leben.

»Wir wollen die Flagge hissen und sagen: Leute, wir fordern Gleichberechtigung! Wir werden es niemandem erlauben, uns aus der Öffentlichkeit zu verdrängen«, sagt Hoffmann Agiv vor der Kundgebung.

Die Unternehmerin ist seit Jahresbeginn an den aufsehenerregenden Straßenprotesten in Israel beteiligt. Sie nahm auch am ersten »Marsch der Mägde« in Jerusalem teil. Dabei liefen Frauen in langen roten Mänteln und weißen Hauben demonstrativ durch die Straßen - inzwischen ein bekanntes Motiv bei den Kundgebungen.

Die auffällige Kleidung ist inspiriert durch den »Der Report der Magd« von Margaret Atwood - die Geschichte einer Diktatur, in der vor allem Frauen unterdrückt werden.

»Beim ersten Marsch waren wir 20 Frauen«, sagt Hoffmann Agiv. »Heute marschieren schon Zehntausende von Frauen.« Das mache ihr Hoffnung. Sich als Magd zu kleiden vermittele eine »sehr starke Botschaft«, erklärt sie. »Menschen auf der Straße - Männer und Frauen - haben uns gesehen und sind in Tränen ausgebrochen.«

In den vergangenen Wochen gab es immer wieder Berichte über Versuche, Frauen in Israel im öffentlichen Raum einzuschränken. Diese sind Ausdruck eines tiefen kulturellen Grabens zwischen der säkularen Mehrheit im Land und einer ultra-orthodoxen Minderheit.

Diese stellt zwar nur 13 Prozent der Bevölkerung, wird aber durch einflussreiche politische Parteien vertreten. Wegen ihres Kinderreichtums ist es auch die am schnellsten wachsende Gruppe in Israel, binnen vier Jahrzehnten könnte sie nach Schätzungen ein Drittel ausmachen.

Verkehrsmittel Oft werden öffentliche Verkehrsmittel Schauplatz dieses Kulturkampfes. Ein Busfahrer verwies Medienberichten zufolge etwa in der Stadt Aschdod eine Gruppe weiblicher Teenager in den hinteren Teil eines Busses und gab ihnen Decken, um sich zu bedecken. Bei einem weiteren Vorfall wurde einer Frau Berichten zufolge der Zutritt zu einem Bus komplett verwehrt.

Premier Netanjahu betonte nach diesen Fällen, Israel sei ein freies Land, »in dem niemand einschränken wird, wer öffentliche Verkehrsmittel benutzen darf, oder vorschreiben wird, wer wo sitzt.« Er habe nur wegen des starken Drucks durch die Protestbewegung und in sozialen Medien so reagiert, glaubt Hoffmann Agiv.

Auch die Physikerin Schikma Bressler, eine der Galionsfiguren der monatelangen Proteste, sagte bei der jüngsten Kundgebung in Tel Aviv, man wolle ein Land, das auf den Werten der Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit basiere. »Ein jüdischer und demokratischer Staat, in dem Frauen sitzen können, wo sie wollen, und anziehen können, was sie wollen«, sagte die Mutter von fünf Töchtern.

Religionsgerichte Ultra-orthodoxe Regierungsmitglieder wollen dagegen die Macht von Religionsgerichten ausweiten, in denen es nur männliche Richter gibt. Umweltministerin Idit Silman von rechtskonservativen Regierungspartei Likud setzt sich dafür ein, dass Männer und Frauen in Naturparks zu bestimmten Zeiten nur getrennt baden dürfen.

Dieses »Pilotprojekt« wurde allerdings zunächst von der Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara gestoppt. Sie gilt als Vertreterin liberaler, westlicher Werte, für viele Regierungsmitglieder ist sie inzwischen eine Hassfigur geworden.

Weniger als ein Fünftel der Ministerposten in Israel liegt in weiblicher Hand. In der Vorgängerregierung des jetzigen Oppositionsführers Jair Lapid waren es noch ein Drittel gewesen. Auch innerhalb der Ministerien gibt es heute kaum noch Frauen in Spitzenpositionen.

May Golan, eine für Frauenrechte zuständige Ministerin in der Regierung Netanjahu, wird von der Protestbewegung abgelehnt. Sie unterstützt die Justizreform und Kritikerinnen werfen ihr vor, sich nicht wirklich für eine Verbesserung der Situation von Frauen in Israel einzusetzen.

Mit dem Marsch nach Bnei Brak wollten die Demonstrantinnen Alarmglocken läuten. »Viele Ultra-Orthodoxe haben keinen Zugang zu Medien«, erklärt Hoffmann Agiv. »Sie müssen uns sehen, unseren Schmerz, unseren Zorn.« Einen Dialog hält sie für möglich. Sie betont, der Marsch sei nicht als Provokation gedacht. »Wer sagt, dass Frauen im öffentlichen Raum eine Provokation sind, der hat ein Problem.«

Zukunft Motivation für ihren aufreibenden Kampf geben ihr auch ihre beiden Töchter im Alter von vier und sieben Jahren. »Wir drei haben auch die deutsche Staatsangehörigkeit«, sagt Hoffmann Agiv. Sie habe schon darüber nachgedacht, Israel zu verlassen. »Aber im Moment ist unser Kampf noch nicht vorbei, deshalb sind wir hier«, sagt sie.

»Meine ältere Tochter versteht schon, dass ich für ihre Zukunft und die ihrer kleinen Schwester kämpfe. Ich werde meine Kinder nicht in einer Diktatur großziehen.«

Geiseln

Liri Albag spricht erstmals über die »Hölle« von Gaza

In einem ersten TV-Interview schildert die ehemalige Soldatin ausführlich, wie sie in der Gewalt der Hamas überlebt und dabei den Verstand behalten hat

 09.03.2025

Syrien

Übergangsregierung soll »Massaker« angerichtet haben

Anhänger des gestürzten Diktators Assad sollen zu den Waffen gegriffen haben. Die Übergangsregierung reagiert und soll Aktivisten zufolge auch Massaker unter Zivilisten angerichtet haben

 09.03.2025

Katar

Israel will am Montag über weitere Freilassungen von Geiseln verhandeln

Die Verhandlungen werden in der katarischen Hauptstadt Doha geführt

 09.03.2025

Libanon

Israelische Armee begleitet Ultraorthodoxe zum Grab von Rav Aschi

Wochenlang hatten Strengreligiöse versucht, die Pilgerstätte illegal zu besuchen. Nun gab es eine Einigung

 08.03.2025

Geiseln

Hamas veröffentlicht Video von Matan Angrest

Die Familie ist anhand der Aufnahmen und Schilderungen von ehemaligen Geiseln sicher, dass er in der Gewalt der Hamas gefoltert wird

 08.03.2025

In eigener Sache

Zachor!

Warum es uns wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

von Philipp Peyman Engel  07.03.2025

Geiselkrise

»Es frisst mich auf«

Die ehemalige Hamas-Geisel Yarden Bibas, deren Kinder und Frau in Gaza ermordet wurden, hat einen Brief an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geschrieben, der in der Knesset verlesen wurde. Wir dokumentieren ihn

 07.03.2025

Geiselkrise

Botschafter Seibert: Menschen in Gaza brauchen Unterstützung

Während des Krieges sorgte Israel für die Einfuhr von 1,3 Millionen Tonnen Hilfsgütern. Nun verhängte Israel einen Stopp der Lieferungen, um Druck zu machen. Der deutsche Botschafter in Israel kritisiert den Beschluss

 07.03.2025

Nahost

Trump verteidigt Gespräche mit Hamas gegen Kritik aus Israel

Dies ist der erste Streit zwischen Amerika und Israel seit der Amtsübernahme des neuen US-Präsidenten

 07.03.2025