Israel hat ein paar bewegte Tage hinter sich. In den Städten und Ortschaften im Süden des Landes nahe der Grenze zu Gaza war das öffentliche Leben schon vor der Eskalation am Wochenende zum Erliegen gekommen.
Nachdem Israels Armee am Montag vergangener Woche im Westjordanland Bassem al-Saadi verhaftet hatte, einen hochrangigen Kommandeur des Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ), hatte die Organisation wiederholt Anschläge auf israelische Gemeinden angekündigt. So ernst nahm die israelische Regierung die Bedrohung, dass sie etliche Straßen in den betroffenen Gebieten tagelang für zivilen Verkehr sperren ließ.
Der PIJ, von den Ländern der EU und anderen westlichen Staaten als Terrororganisation eingestuft, verfügt zwar über weniger finanzielle und militärische Mittel als die Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert; dass die Organisation dennoch erheblichen Schaden anrichten kann, haben etliche Terroranschläge und Raketenangriffe der letzten Jahrzehnte gezeigt, die auf das Konto der Gruppe gehen.
Luftschlag Am Freitagabend entschied die israelische Regierung unter Ministerpräsident Yair Lapid, die Drohungen nicht länger zu dulden: Mit einem gezielten Luftschlag schaltete sie Taisir al-Dschabari aus, einen führenden Kommandeur des PIJ in Gaza. Damit erreichte der schwelende Konflikt eine neue Eskalationsstufe: Teils im Minutentakt schrillten die Sirenen in südisraelischen Städten und Dörfern.
Den Anwohnern bleibt in solchen Fällen weniger als eine Minute Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen. Auch in Bat Yam und einigen südlichen Vierteln Tel Avivs heulte noch am selben Abend der Alarm; dumpfe Einschläge, die erklingen, wenn das Raketenabwehrsystem »Iron Dome« feindliche Geschosse abfängt, waren auch in anderen Teilen der Stadt zu hören.
Teils im Minutentakt schrillten die Sirenen in südisraelischen Städten und Dörfern.
Der Samstag brachte keine Beruhigung: Hunderte Raketen feuerten die palästinensischen Terroristen im Laufe des Tages auf Israel ab, während Israels Armee weiter Ziele der Organisation bombardierte.
Sderot In der südisraelischen Stadt Sderot traf eines der feindlichen Geschosse das Haus einer Familie. Videos des Gebäudes zeigen zertrümmerte Wände und Räume voller Schutt.
»Wir haben eine Sirene gehört, und meine Frau, die Kinder und ich sind schnell in den Schutzraum gelaufen«, berichtete der Familienvater gegenüber einem israelischen Fernsehsender. »Nach sechs oder sieben Sekunden hörten wir einen lauten Knall, und die Rakete hatte getroffen.« Seine zwei Kinder litten seitdem unter Angstzuständen.
Am selben Tag schlug in der nahe gelegenen Stadt Aschkelon ein Geschoss direkt in eine Straße ein, auf der zu jenem Zeitpunkt kein Verkehr herrschte. Ein anderer Einschlag in Aschkelon hatte ernstere Folgen: Eine Rakete traf eine Fabrikhalle und fügte einem der dort beschäftigten Arbeiter – einem Palästinenser aus Hebron im Westjordanland – eine leichte Verletzung zu.
Jerusalem Samstagabend begann Tischa beAw, jener Trauer- und Fastentag, der an die Zerstörung beider Tempel in Jerusalem und andere Katastrophen in der jüdischen Geschichte erinnert. Viele israelische Analysten hatten vor einer weiteren Eskalation des Konflikts gewarnt – und tatsächlich heulten am Sonntagmorgen ausgerechnet nahe Jerusalem die Sirenen.
In der Hauptstadt bestiegen an diesem Tag über Tausend Juden den Tempelberg, um der Zerstörung der einst dort thronenden Heiligen Stätte zu gedenken. Ausschreitungen auf dem Areal hatte die Hamas im Mai zum Anlass genommen, Raketen gen Jerusalem abzuschießen. Dieses Mal jedoch blieb die Lage in der Hauptstadt unter Kontrolle.
In Sderot traf eines der feindlichen Geschosse das Haus einer Familie.
Zum Abend hin breitete sich vielerorts Optimismus aus: Medien hatten berichtet, um 20 Uhr solle eine Waffenruhe in Kraft treten. Stattdessen unterbrachen erneut Raketen die Routine vieler Menschen, diesmal auch im belebten Zentrum Tel Avivs: Innerhalb von Sekunden leerten sich gut gefüllte Bars und Restaurants, während aufgeschreckte Passanten ins nächstbeste Gebäude flohen.
gräben In Yaffo, dem arabisch geprägten Süden der Stadt, spielten sich derweil ganz andere Szenen ab, wie Videos belegen: Anstatt sich in Sicherheit zu bringen, standen Dutzende arabische Anwohner am Straßenrand, schwenkten palästinensische Fahnen und riefen: »Allahu Akbar«, Gott ist der Größte – eine Erinnerung daran, wie tief manche Gräben sind, die sich durch die israelische Gesellschaft ziehen.
Kurz vor Mitternacht schwiegen die Waffen endlich. Über 1000 Raketen hatte der Islamische Dschihad bis dahin gen Israel angefeuert. Die meisten fing Iron Dome ab, andere schafften es nicht einmal über die Grenze. Trotzdem lähmt jeder Raketenalarm, jeder Angriff zeitweise das öffentliche Leben und hinterlässt psychische Spuren bei jenen, die womöglich um ihr Leben rennen.
Die Bilanz, die israelische Analysten aus den Kämpfen ziehen, ist weitgehend positiv: Der Islamische Dschihad gilt als erheblich geschwächt, die Operation als gut geplant und rechtzeitig beendet. Doch Illusionen macht sich kaum jemand: Die Ruhe ist allenfalls eine auf Zeit.