Eine Bank auf einem Hügel. Davor, dahinter, daneben ist nichts als Sand, so weit das Auge reicht. Moran Levin sitzt im Schneidersitz und blickt in die karge Weite. Nur noch wenige Minuten, dann versinkt die Sonne spektakulär und blutrot in der bergigen Landschaft. »Für mich ist es das Gegenteil von Öde«, meint die junge Frau und wendet den Blick nicht einen Moment vom Naturschauspiel in der Arava-Wüste ab. »Es ist eine Erholung für alle Sinne. Ich brauche sie wie die Luft zum Atmen – meine Wüstentage.«
Die Programmiererin aus dem Zentrum Israels weiß, was Hektik ist. »Ich bin bei einer Start-up-Firma in Tel Aviv beschäftigt. Meist geht es darum, etwas vorher, eher und schneller zu erledigen, um der Konkurrenz nicht hinterherzuhinken. Ich mag es, so zu arbeiten, aber oft artet es in puren Stress aus, und dann brauche ich eine Auszeit.« Die nimmt sich die 29-Jährige regelmäßig in der Wüste. Mindestens dreimal im Jahr fährt sie nach Zukim.
Villen Eingebettet in die Hügel der Wüste liegt die kleine Gemeinde rund 100 Kilometer vor Eilat im südlichen Teil des Negev, der Arava genannt wird. Mittlerweile haben sich 50 Familien in Zukim, das 2006 gegründet wurde, niedergelassen. Gärten mit Blumen, Bäumen und Kräutern geben den Villen im Wüstenstil einen willkommenen Klecks Grün. Die meisten der rund 300 Einwohner haben ihre Wohnungen im Landesinneren verlassen, um ein anderes, ein intensiveres und bewussteres Leben zu führen.
So beschreibt es zumindest Rinat Bashan. Sie und ihr Mann lebten jahrelang im Zentrum des Landes und später in Karkur, einer Gemeinde rund eine Stunde nördlich von Tel Aviv. Rinat arbeitete als Grafikdesignerin »pausenlos vor dem Bildschirm«. Irgendwann wollte das Ehepaar mehr Natur und vor allem »mit dem Land und der Erde stärker verbunden sein«. Beide schauten sich um, suchten in Galiläa, im Golan und fanden schließlich die Wüste.
Die Bashans begannen, eine Farm in Zukim aufzubauen. »Doch das wurde uns schnell zuviel, es war für zwei nicht zu schaffen.« Sie sattelten um auf Tourismus, dem Hauptbeschäftigungszweig in der Region. Heute betreiben sie »Desert Days«, eine kleine Kolonie von Ferienhäuschen einige hundert Meter außerhalb des Wohngebietes mit zwölf Unterkünften – gebaut nach ökologischen Grundsätzen. Das Land wird von der Regierung für den Tourismus zur Verfügung gestellt.
Ben Gurion Am Eingang begrüßt ein tönerner David Ben Gurion, der einen Handstand vollführt. Der erste Ministerpräsident des Staates war es, der die Israelis aufrief, die Negevwüste zum Blühen zu bringen. Die Einwohner von Zukim setzen diesen Leitsatz in die Tat um. Familie Bashan hat sich eingerichtet. Sie haben eine Tochter im Grundschul- und einen Sohn im Teenageralter. »Die Wüste ist unser Zuhause geworden«, sagt Rinat, »wir fühlen uns hier wohl.«
Doch natürlich habe das relativ abgeschiedene Leben auch Nachteile, vor allem bei den Möglichkeiten in Sachen Bildung. »Für die Kinder ist es nicht immer leicht. Wenn sie älter werden, wollen sie Dinge tun, die es hier einfach nicht gibt, in einen Fußballklub eintreten, einen Tanzkurs machen. Alternativen existieren fast nicht.« Andererseits, erzählt Rinat, könne man hier Dinge unternehmen, die woanders völlig undenkbar wären. »Wir haben diese Weite und damit viel Freiheit. Mein Sohn ist schon mit acht Jahren auf einem kleinen Motorrad durch die Wüste gedüst. Wo sonst ginge das?«
Sie bietet für Touristen aus dem In- und Ausland Unterkünfte an. Zudem veranstaltet Bashan Lehm-Seminare, bei denen die Gäste lernen, wie man mit der Erde der Wüste baut. In Plastikwannen wird dem Lehm Wasser und Stroh beigemischt, um einen dicken Brei zu erhalten. Alle Häuser des Feriendorfes sind daraus errichtet.
Der Tourismus blüht im Arava-Tal, das sich auf 180 Kilometer vom südlichen Zipfel des Toten Meeres bis hinunter nach Eilat erstreckt. Immer mehr Israelis lernen die Gegend im Süden des Landes zu schätzen, wenn auch nur für einige Tage. Hunderte von Unterkünften, viele im Beduinenstil oder nach Öko-Prinzipien gebaut, sind bis heute entstanden.
Peace Route Verlässt man Zukim und fährt einige Kilometer auf der Straße in Richtung Norden, kann man auf die sogenannte Peace Route abbiegen. Auf 23 Kilometern führt sie entlang des Zaunes zu Jordanien. Von dort aus kann man über die Grenze schauen. Kleine Dörfer und lange Straßen, auf denen hauptsächlich Lkws verkehren, vermitteln einen kleinen Eindruck vom Nachbarland.
Tatsächlich stammt mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Exporterzeugnisse Israels aus der Wüste. Nimmt man sich die Zeit und erkundet die verschiedenen Ecken der Gegend, entdeckt man die Gewächshäuser und Palmen-Oasen, die überall verstreut sind. Dort wachsen Kaktusfrüchte, Paprikaschoten, Tomaten, Melonen, Feigen, Datteln und vieles andere mehr. Das Vidor-Besucherzentrum vermittelt Informationen zur Landwirtschaft in der Wüste: 90 Prozent der Einwohner seien erfolgreiche Bauern, heißt es. Viele würden mit ihren jordanischen Nachbarn zusammenarbeiten, um die besten Ergebnisse beim Anbau zu erzielen.
Designer In Zukim setzt man neben dem Tourismus weniger auf Gemüse oder Obst als auf Kreativität. Dutzende von Schmuckherstellern, Designern und Keramikkünstlern haben sich angesiedelt. Jeden Freitag öffnen sie ihre Studios für Besucher und bieten ihre Werke an.
Bei der Frage an Rinat Bashan, ob eine bestimmte Ideologie in der Wüstengemeinde vorherrscht, wird sie für einen Moment still. Dann sagt sie, während sie in der Lehmmischung für einen neuen Bau rührt: »Ich denke, es ist einfach leben und leben lassen.«