Wahl

Die vierte Runde

Erklärt sich zum Sieger: Benjamin Netanjahu Foto: Flash 90

Auch bei den vierten Wahlen zur Knesset innerhalb von zwei Jahren zeichnet sich noch keine eindeutige Entscheidung ab. Nach wie vor ist das Land gespalten. Zwar holte der rechtskonservative Likud des amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu die meisten Mandate, bei Redaktionsschluss war jedoch nicht klar, ob er eine regierungsfähige Mehrheit mit einem Rechtsblock erreichen kann.

Letztlich könnte es an einem oder zwei Mandaten für eine Koalition mangeln. Damit wäre es möglich, dass der politische Stillstand, der das Land seit zwei Jahren im Griff hat, weitergeht.

Ein Gewinner steht dennoch bereits fest: Naftali Bennett von der Rechtspartei Jamina. Nach der Auszählung von rund 90 Prozent der Stimmen werden ihm sieben Mandate zugesprochen – mit wem er sich zusammentun will, behielt er zunächst für sich. Damit könnte der einstige Bildungsminister zum Königsmacher dieser Wahlen werden.

STÖRFAKTOREN Netanjahu erklärte dennoch am späten Dienstagabend in Jerusalem schon einmal vorsorglich seinen Sieg. Er habe eine »eindeutige Mehrheit« und nannte das Ergebnis für seinen Likud (voraussichtlich 30 Sitze) »eine großartige Errungenschaft«. Die meisten der gewählten Abgeordneten würden seiner Politik zustimmen. Die einzige Alternative zu seiner Führung, so Netanjahu, seien weitere Wahlen. Es wären die fünften. Dazu soll es aber nicht kommen. »Es ist eindeutig, dass die meisten Israelis rechtsgerichtet sind und eine starke rechte Regierung wünschen.« Die will er bilden. Dieses Mal ohne »Störfaktoren« wie Benny Gantz von der Zentrumspartei Blau-Weiß, die Netanjahu vor einem Jahr gezwungenermaßen mit in die Koalition nehmen musste.

Naftali Bennett lässt noch offen, ob er mit Netanjahu koalieren will.

Stattdessen will sich der 71-Jährige ganz seinen »natürlichen Verbündeten« zuwenden. Das sind die ultraorthodoxen Parteien Vereinigtes Tora-Judentum (sieben Sitze) und Schas mit acht Mandaten, außerdem das Rechtsaußen-Bündnis von Religiöser Zionismus und Otzma Yehudit. Zu seiner »Traum-Koalition« fehlt Netanjahu (siehe oben) noch die rechtsnationale Partei Jamina. Ob deren Chef Bennett dies unterstützen würde, ließ er noch offen. »Ich werde das tun, was gut für den Staat Israel ist«, gab er sich geheimnisvoll. Auch nach Netanjahus Anruf ließ er sich das Ass nicht aus dem Ärmel locken. Auf der Wahlparty rief er zur nationalen Einheit auf: »Ein echter Rechter hasst nicht, er vereint.«

Viele Experten sprachen noch am Wahlabend über Bennetts mögliche Entscheidung. Schelly Jachimowitsch, einstige Vorsitzende der Awoda, ist sicher: »Er muss in einer rechten Regierung sitzen. Wenn er das nicht tut, ist seine politische Karriere vorbei.«

ZENTRUM Zweitstärkste Partei im Parlament ist die Zentrumspartei von Yair Lapid mit 17 oder 18 Mandaten. Ein Mitte-Links-Block mit der Beteiligung von rechtsgerichteten Parteien wäre der Anti-Netanjahu-Block. Er könnte aus Jesch Atid, Awoda, Meretz, Blau-Weiß, Israel Beiteinu und der Vereinten Arabischen Liste bestehen und würde knapp unter oder über der erforderlichen Mehrheit von 61 Sitzen im Parlament liegen.

Mit dabei könnte die Partei Neue Hoffnung von Gideon Saar mit wohl sechs Mandaten sein. Der Herausforderer Netanjahus, der erst vor dreieinhalb Monaten den Likud verlassen hatte, zeigte sich enttäuscht über das schwache Abschneiden, stellte jedoch klar, dass er keiner Koalition mit dem Likud beitreten würde. Er weiß, dass es das Ende seiner politischen Ambitionen bedeuten würde.

Er werde auf jeden Fall versuchen, »eine Koalition mit gesundem Menschenverstand für Israel zu bilden«, ließ der ehemalige Journalist Lapid wissen. Er hoffe inständig, dass es keine Regierung geben wird, »die sich auf die Stimmen von Rassisten und Homophoben stützt«.
Die werden allerdings im israelischen Parlament vertreten sein. Auf Drängen Netanjahus hatte sich die Rechtsaußenpartei Religiöser Zionismus von Bezalel Smotrich mit der rechtsextremen Otzma Yehudit zusammengetan. Gemeinsam werden ihnen sechs Sitze vorausgesagt. Besonders besorgniserregend sind für viele der rassistische Meir-Kahane-Anhänger Itamar Ben-Gvir und sein homophober Parteikollege Avi Maoz. Beide könnten so Koalitionspartner des Premiers werden.

ÜBERRASCHUNG Viel stärker als vermutet, gingen die linken Parteien aus dem Rennen hervor: Meretz schafft es mit voraussichtlich fünf Mandaten ins Parlament, die Arbeitspartei unter der Leitung von Merav Michaeli holte sogar sieben. Auch für Gantz’ Blau-Weiß gab es eine Überraschung: Statt der prognostizierten vier holte der Verteidigungsminister acht Mandate.

Die Israelis waren am Dienstag inmitten des Wüstenwindes Scharaw an die Urnen gegangen. Der heiße Sturm, der im Frühjahr Staub aus den Wüsten der Nachbarländer bringt, fegte über die Städte hinweg und tauchte den Himmel in ein hässliches Gemisch aus Gelb und Grau.

»Heute schützt mich die Gesichtsmaske mehr vor dem Sand und Staub als vor dem Virus«, frotzelte Omer Goldberg, als er vor einem Wahllokal hinter dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv stand und auf Einlass wartete. Er sei geimpft und habe vor einer Infektion keine Angst mehr. »Jetzt geht es darum, dass es mit dem Land aufwärtsgeht, damit es den Leuten wieder besser geht. Leider ist es nicht im Interesse dieser Regierung, das Wohl der Bevölkerung vor alles andere zu stellen.« Goldberg wollte seine Stimme Jesch Atid geben.

ALTERNATIVE Lisa Lelouche stimmte für den Likud, wie in allen Wahlen zuvor. »Netanjahu lässt sich von der Welt nichts vormachen und ist ein starker Politiker. Das hat er bewiesen. Außerdem hat er uns vor allen anderen Ländern aus dieser Coronavirus-Krise herausgeholt.«

In einer Grundschule im überwiegend arabischen Jaffa im Süden Tel Avivs herrschte am Wahlnachmittag gähnende Leere. »Viele waren am Morgen da«, so der Wahlhelfer, der mit zwei Kollegen hinter einer Plastikscheibe saß. »Jetzt kommen die Leute nur noch kleckerweise.« Neben der Schule standen drei junge Leute, auch sie arabische Israelis. »Wählen«, sagte die Frau in knallengen Jeans und T-Shirt lakonisch, »da muss mir erst einmal jemand erklären, was uns das bringen soll.«

Mit dieser Einstellung schien das Schicksal der arabischen Parteien besiegelt. Die Vereinte Arabische Liste kommt nach der Abspaltung von Raam auf sechs Mandate – weniger als die Hälfte des Ergebnisses von 2020. Dass auch Raam es knapp über die Eintrittshürde schafft, zeichnete sich bei Redaktionsschluss ab. Auch dessen Vorsitzender Mansour Abbas hatte offengelassen, wem er seine Unterstützung zusagt.

Wahlmüdigkeit war mit 55 Prozent besonders in der arabischen Gemeinde zu spüren. Doch auch insgesamt war die Beteiligung niedrig. Nur 67,2 Prozent der Israelis gaben ihre Stimme ab.

Das hat auch Iris Cohen getan – für den Likud. Die Mutter von drei Kindern aus Haifa ist damit allerdings nicht glücklich. Sie hat Bauchschmerzen mit den Korruptionsanklagen gegen Benjamin Netanjahu und meint: »Kein Staat sollte einen Regierungschef haben, dem der Prozess gemacht wird.«

Warum sie dennoch für ihn gestimmt hat? »Ich sehe im Moment keine Alternative.« Sie hofft, dass Netanjahu das Land mit seiner Chuzpe aus der Krise holt. Dann wandte sie sich »wichtigeren Dingen« zu: »Der Pessachputz wird mit diesem Scharaw zur Qual«, beklagte sie sich, »fast noch mehr als diese Wahl.«

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