Herr Finjan, wie haben Sie und Ihre Familie das Massaker im Kibbuz Be’eri überlebt?
Es war reines Glück. Die Terroristen waren überall im Kibbuz. Wir hörten, wie sie Arabisch sprachen. Wir haben einfach beschlossen, dass wir in unserer kleinen Festung, dem Schutzraum unseres Hauses, überleben werden. Wir haben die Tür verriegelt und uns drinnen verbarrikadiert. Mit dem Baseballschläger in der Hand, den mir mein Sohn geschenkt hat, haben wir gewartet, dass jemand hereinkommt. Meine Frau und unsere drei Kinder – neun, elf und 13 Jahre alt – waren großartig.
Ihre Kinder sind die wahren Helden der Familie …
Ja, sie haben die Situation verstanden. Wir waren seit 6.30 Uhr morgens etwa 20 Stunden im Schutzraum, ohne Essen und Trinken, ohne Toilette. Sie haben geschwiegen. Sie sind drinnen geblieben, wollten nicht raus. Sie wussten, was vor sich geht.
Und unterdessen ahnten Sie, was sich draußen abspielt?
Über die Familien-WhatsApp-Gruppe haben wir erfahren, dass Terroristen auch ins Haus der Eltern meiner Frau eingedrungen sind. Sie schrieben: »Sie haben Granaten auf uns geworfen, im Sicherheitsraum. Der Großvater ist mit einer Waffe außerhalb, versucht zu kämpfen. Sie schießen auf ihn.« Nach fünf Minuten schrieb die Mutter meiner Frau: »Sie kommen in den Raum.« Und dann war es still. Gestern haben wir von der Armee erfahren, dass beide tot sind.
Sie sind jetzt mit weiteren Überlebenden in Sicherheit am Toten Meer. Kann man mit Worten beschreiben, was dort vorgeht?
Mehr als 100 Menschen sind tot, ein Teil des Kibbuz ist nicht mehr. Wir versuchen jetzt aus dem, was uns geblieben ist, eine Gemeinschaft zu bilden und unser Leben wiederaufzubauen. Zuallererst, indem wir alle zusammenhalten und uns umarmen. Wir wissen nicht, wohin wir gehen werden. Wir haben keine Vorstellung, in welchen Kibbuz wir zurückkehren. Wir wissen, dass der Kibbuz ruiniert ist. Sie müssen verstehen, dass es ein grünes Dorf in einer wunderschönen Gegend Israels war.
Was sagen Sie den vielen Menschen hierzulande, die sich nicht vorstellen können, was Israel derzeit erlebt?
Die Menschen in Europa, vor allem auch die Politiker, müssen eines verstehen: Israel ist ein westliches, demokratisches Land, mit all seinen Problemen. Ein Land mit Menschen, die ihren Verstand in der Technologie, Wissenschaft, in der Medizin einsetzen. Wir unternehmen Anstrengungen im Bereich der Bildung, in der Kultur. Das, was wir jetzt wieder erleben müssen, ist nicht die Art und Weise, wie wir leben wollen. Die Europäer müssen verstehen, dass wir hier nicht in Europa sind. Wir haben es mit einem Gegenüber zu tun, was sie nicht einmal annähernd begreifen – einer anderen Zivilisation.
Mit dem Überlebenden aus dem Kibbuz Be’eri sprach Detlef David Kauschke.