Schlange stehen ist generell nichts für Israelis. Unter Druck funktioniert es schon gar nicht. Dieser Tage wird die Geduld der Menschen in Akko, Beer Sheva, Jerusalem und Tel Aviv auf eine besondere Probe gestellt. Vor den Ausgabestellen der Gasmasken spielen sich tumultartige Szenen ab. Die Angst vor dem Gas aus Syrien geht um im ganzen Land.
Nachdem sich die Nachrichten verbreitet hatten, dass es einen amerikanischen Schlag gegen den Nachbarstaat im Norden geben könnte, sorgen sich die Israelis. Die Stimmung ist angespannt. Verängstigte Bürger erkundigen sich, wo der nächste öffentliche Bunker liegt, decken sich mit haltbaren Vorräten ein und erkundigen sich bei Familienangehörigen und Freunden, ob sie bereits über Gasmasken verfügen.
Regierung Obwohl die Regierung immer wieder betont, dass es keinerlei Grund zur Panik gäbe, sind die Menschen in Alarmbereitschaft. Nach Beratungen zur Lage im Verteidigungsministerium in Tel Aviv erklärte Premierminister Benjamin Netanjahu am Mittwoch jedoch: »Nach der Sicherheitsbesprechung von heute gibt es keinen Grund, nicht unsere alltägliche Routine fortzusetzen. Gleichzeitig sind wir vorbereitet für jegliches Szenario. Die Armee steht bereit, um uns zu verteidigen und auf jede Gefährdung von israelischen Bürgern zu reagieren.«
Auch Verteidigungsminister Mosche Yaalon betonte, dass ein Angriff auf Israel im Anschluss an eine US-Intervention »sehr unwahrscheinlich« sei. Dennoch wurden die Raketenabfangsysteme »Eiserne Kuppel« in den Norden des Landes verlegt. Auch sind die ersten Bescheide des Militärs an Reservisten herausgegangen, dass sie sich im Ernstfall bereithalten müssen. Das Kabinett hatte am Dienstag das Okay für einige Tausend zusätzliche Soldaten gegeben, bislang wurden allerdings lediglich einige Hundert informiert.
Feiertage Beruhigend wirkt all das auf die Menschen wenig. Die hohen Feiertage stehen vor der Tür, viele machen sich Gedanken, ob sie Rosch Haschana vielleicht in den Sicherheitsräumen ausharren müssen. Normalerweise stehen die Israelis um diese Zeit an, um günstigen Wein, Honig und Granatäpfel für das Fest zu besorgen. Doch nun warten sie auf die Vergabe von Gasmasken.
Zigtausende versuchen seit zwei, drei Tagen, die Hotlines zu erreichen, die Auskunft darüber geben sollen, wo die Sicherheitspakete erhältlich sind. Und obwohl die zuständige Post versprochen hatte, die Anzahl der Leitungen zu erhöhen, geht im Moment telefonisch so gut wie gar nichts mehr.
Am Mittwochabend wurde in Haifa ein Postamt, in dem Masken ausgegeben werden, gestürmt, die Pakete wurden gestohlen. Im Zentrum von Tel Aviv und Jerusalem beginnen die Menschen, sich um einen Platz in der Schlange zu streiten und sogar zu schlagen. Manche stehen seit Stunden in der brütenden Hitze des August an und hoffen, irgendwann an der Reihe zu sein. Die Emotionen kochen hoch.
Auch bei Avi Grairich, der an der Hagana-Straße in Tel Aviv wartet: »Ich bin extra schon um acht Uhr hier gewesen«, meckert er, als die Uhr elf zeigt, »und gerade einmal 30 Zentimeter vorangekommen. Es ist eine unglaubliche Verantwortungslosigkeit unserer Regierung. Denn es ist klar, dass es nicht für alle Menschen Kits gibt. Und das, um ein paar Schekel zu sparen. Wir werden verraten und verkauft.«
Zivilschutz Zwar betont der Zivilschutz, dass genug Ausrüstungen für alle da sind, die Weigerung, weitere Verteilstationen zu öffnen, spricht jedoch eine andere Sprache. Ex-Innenminister Eli Yischai wetterte gegen die Regierung, dass statt der nötigen 350 Millionen Schekel jährlich lediglich 200 Millionen ausgegeben werden – und so nicht die Sicherheit der gesamten Bevölkerung gewährleistet würde. Auch wird zunehmend Kritik laut, dass in der Ausstattung ein Gegenmittel für das extrem gefährliche Gas Sarin fehlt – über das Syrien höchstwahrscheinlich verfügt.
Immer mehr Leute wenden sich daher direkt an die Hersteller, etwa Shalon, die Gasmasken für umgerechnet 80 Euro das Stück verkaufen. Nicht-Israelis müssen ohnehin für ihre Sicherheit bezahlen. Es steht lediglich Staatsangehörigen zu, die Päckchen umsonst zu erhalten.
»Es ist wirklich kein schönes Gefühl«, sagt Eric Lavie, der sich am Donnerstag noch am Strand von Tel Aviv sonnt, aber am Sonntag eine Gasmaske besorgen will. Daran, seinen Urlaub abzubrechen, denkt der jüdische Tourist aus Paris nicht. »Ich habe auch schon andere Kriege hier mitgemacht. Natürlich hoffe ich, dass nichts geschieht. Aber sollte es doch so sein, bin ich da – und stehe an Israels Seite.«