Keine großen Demonstrationen mehr, keine Vandalen, die Reifen entzünden, keine neuen Hass-Graffiti – es war recht still am vergangenen Wochenende. Doch die Spannungen um die Räumung illegaler Wohnhäuser in der Westbank-Siedlung Beit El haben sich nicht in Luft aufgelöst. Sie brodeln unter der Oberfläche mächtig weiter, befürchten Sicherheitsexperten in Israel: »Diese Stille ist die Ruhe vor dem Sturm.«
Am Freitag zuvor hatten einige Dutzend Siedler lautstark vor der israelischen Militärbasis der Benjamin-Brigade im Jordanvorland randaliert. Sie wollten damit gegen die bevorstehende Räumung von Häusern in Givat Ulpana, einem Teil von Beit El, protestieren.
Beschmiert Am Morgen desselben Tages hatten Unbekannte im arabisch-jüdischen Dorf Newe Schalom in der Nähe von Jerusalem Wände und Autos mit Parolen wie »Rache« oder »Tod den Arabern« beschmiert. »Das ist ein Hass-Verbrechen«, sagte Einwohner Michael Zak. Es sei kein Zufall, dass sich die Täter Newe Schalom ausgesucht hätten. »Die Gemeinde repräsentiert eine Alternative, die Möglichkeit eines Lebens in Gleichheit und Kooperation.« Polizeichef Jochanan Danino bestätigte, dass das Geschehen als besonders schwerwiegend angesehen wird, »weil es an einem Ort passiert ist, wo Juden und Araber in Frieden zusammenleben«.
Zuvor hatte Premierminister Benjamin Netanjahu einen politischen Sieg errungen. Ein von der Partei »Habait Hajehudi« ins Parlament eingebrachter Vorschlag, die Häuser von Givat Ulpana rückwirkend zu legalisieren, scheiterte mit 22 zu 69 Stimmen. Zuvor hatte der Premier angekündigt, jeden Minister aus dem Kabinett werfen zu wollen, der sich für den Antrag einsetzt.
Koalition Trotzdem wurde klar, dass sich der Regierungschef offensichtlich nach wie vor verpflichtet fühlt, den Bedürfnissen der Siedler nachzugeben. Obwohl er seit der Gründung der großen Einheitskoalition mit Kadima über eine derart solide Mehrheit verfügt, dass er auf die Stimmen der nationalreligiösen Parteien, die größtenteils die Siedlerinteressen vertreten, gar nicht angewiesen wäre.
Bereits vor wenigen Wochen hatte der Oberste Gerichtshof endgültig entschieden, dass die illegalen Strukturen bis Ende Juli geräumt und entfernt werden müssen, weil sie auf privatem Palästinenser-Land errichtet worden waren. Der Premier hatte im Anschluss erklärt, dass dem Gesetz auf jeden Fall Folge geleistet werden würde.
Doch es ist keineswegs so, dass die fünf Häuser der insgesamt 30 Familien ohne Kompensation abgerissen werden sollen. Sofort nach der Abstimmung stellte sich Netanjahu ans Rednerpult und erklärte: »Wir verkleinern Beit El nicht, wir werden es ausbauen und sogar noch stärker machen«. 300 neue Wohneinheiten sollen gebaut werden, für jedes abgerissene Haus sollen 60 neue Wohnungen entstehen – kein schlechter Tausch für die Siedler.
Intifada Die fortschreitende israelische Besiedlung der Westbank könne die Wahrscheinlichkeit einer dritten Intifada verstärken, warnten unterdessen Experten des Nationalen Sicherheitsrates (NSC), die sich vor einigen Tagen mit Netanjahu trafen. 13 Jahre lagen zwischen der ersten Intifada (1987) und der zweiten vom Jahr 2000. Rein zeitlich wäre es jetzt wieder so weit, argumentierten die Fachmänner. Zudem herrsche heute ein ähnlicher politischer Nährboden wie zur Jahrtausendwende. Es bedürfe lediglich eines politischen Funkens, um einen arabischen Aufruhr zu entzünden.
Nicht alle Siedler befürworten Gewalt. Die Bewohner sowie Unterstützer von Givat Ulpana kamen mit bedruckten T-Shirts, Bannern und Kinderwagen zur Demo. Drei Tage marschierten sie so durch das Land, um ihrer Wut gegen die geplante Evakuierung Ausdruck zu verleihen. »Wir sind keine Marionetten«, rief ein Bewohner der betroffenen Gebäude wütend. »Wir sind Menschen. Man kann uns nicht einfach umsetzen, wie es gefällt.« Ein Teil der Demonstranten will vor dem Obersten Gerichtshof ein Protestzelt errichten. Einige sind in den Hungerstreik getreten.
Anfang vergangener Woche präsentierte Netanjahu einen Plan für die Umsiedlung. Die Familien werden zunächst in einer Militärzone untergebracht, die sich einige Hundert Meter von der Wohngegend entfernt, jedoch noch innerhalb der Siedlung Beit El befindet. Eigentlich ist es untersagt, militärisches Gebiet für zivile Zwecke zu nutzen. Doch für die Ulpana-Siedler soll jetzt eine Ausnahme gemacht werden.