Sie alle hielten ihren Atem an. Für die Organisatoren aus allen möglichen Ländern waren es bange Tage. Doch dann die große Erleichterung: Am 20. März landete eine Gruppe der letzten Juden aus dem Jemen auf dem Ben-Gurion-Flughafen in Israel. 19 Menschen, darunter Kinder, waren in einer komplett geheim gehaltenen Aktion aus dem muslimischen Land gebracht worden und leben nun in Beer Sheva mit ihren Familienangehörigen.
14 von ihnen stammen aus der Stadt Raydah, fünf aus der Hauptstadt Sanaa im Norden des Landes. Der Mini-Exodus, eine Kooperation des israelischen und amerikanischen Außenministeriums, der Jewish Agency, anderer Regierungsorganisationen und Dutzender internationaler Helfer, sollte den Kreis der Alija schließen, die 1949 mit der Aktion »Fliegender Teppich« ihren Anfang genommen hatte. Bis heute sind mehr als 51.000 jemenitische Juden nach Israel immigriert.
Stämme Der Jemen liegt im Süden der arabischen Halbinsel, hat mehr als 25 Millionen Einwohner und eine Fläche, die etwa eineinhalb Mal so groß ist wie Deutschland. Die jemenitische Gesellschaft ist durch rivalisierende Stämme zersplittert. Regiert wird die Republik von Chalid Bahah, der aus Saudi-Arabien Unterstützung erhält. Doch seit drei Jahren tobt ein Bürgerkrieg im Land, bei dem verschiedene Fraktionen gegeneinander kämpfen. Beteiligt sind Loyalisten des ehemaligen Präsidenten Ali Salih, Huthi-Rebellen und Ableger der Terrororganisation Al-Qaida. Auch der Islamische Staat (IS) mischt mittlerweile mit und versucht, Territorium zu erkämpfen.
Nachdem die schiitischen Huthi die Hauptstadt Sanaa erobert hatten und kurz davor waren, die zweite bedeutende Stadt des Landes, Aden, unter ihr Regime zu bringen, begann Saudi-Arabien mit verbündeten arabischen Nationen und der Hilfe der USA, Frankreichs sowie Großbritanniens eine Militäroffensive, die bis heute andauert.
Mission Lediglich eine kleine Gruppe von etwa 250 Juden lebte nach dem Ende der großen Einwanderungswellen noch in zwei Gemeinden des Landes. Der Ausbruch des Bürgerkrieges zerstörte ihre relative Ruhe und Sicherheit jedoch endgültig. Als 2008 der Lehrer Mosche Nahari und 2012 Aron Zindani bei antisemitischen Übergriffen getötet wurden, fühlte sich kein Jude mehr sicher. Immer mehr wollten das Land verlassen. Mehrfach flog die israelische Regierung Juden aus, über 200 in den vergangenen Jahren.
Doch die aktuelle sollte die endgültig letzte Aktion sein. »Es ist ein bedeutsamer Moment in Israels Historie und der Geschichte der Alija«, sagte der Vorsitzende der Jewish Agency, Natan Sharansky, nach der Ankunft der 19 neuen israelischen Bürger. »Vom ›Fliegenden Teppich‹ bis heute haben wir geholfen, die jemenitischen Juden in die Heimat Israel zu bringen. An diesem Tag bringen wir diese historische Mission zu einem Ende.«
Wegen des Krieges war die Ausreise schwierig und gefährlich geworden. Die Gruppe musste zunächst über Nachbarländer ausgeführt und dann in den jüdischen Staat geflogen werden. Dazu gehörten auch die Ehefrau und die Kinder von Zindani, der in Israel bestattet ist, sowie der örtliche Rabbiner von Raydah, der einen ganz besonderen Schatz im Gepäck hatte: die mehr als 500 Jahre alte Torarolle der Gemeinde.
Trotz der gefährlichen Situation wollten dennoch nicht alle jüdischen Jemeniten die Koffer für immer packen. Etwa 50 blieben aus verschiedenen persönlichen Gründen zurück. Einer der Angehörigen der Familie, die seit März in Israel lebt, kann sie nicht verstehen. »Es wird ihnen leidtun, nicht mit ausgereist zu sein. Es ist gefährlich und kann nicht lange gut gehen«, gab Meny Dahari nach der Ankunft der Gruppe zu bedenken. Er strahlte vor Glück und Erleichterung, seine eigene Familie jetzt komplett in Israel zu wissen, doch er macht sich gleichzeitig Sorgen um die anderen. Dahari selbst studiert in den USA, weil seine Eltern es vor einigen Jahren geschafft hatten, ihn aus dem Land zu schicken. »Die Dagebliebenen werden es bereuen.«
Torarolle Eine Annahme, die sich bereits nach kurzer Zeit bewahrheitete. Denn während die 19 ihre neue Freiheit feierten und mit der Öffentlichkeit teilten, bedeuteten die Medienberichte, Fotos und Facebook-Berichte eine verstärkte Gefahr für die restlichen Juden im Jemen. Sie berichten jetzt von häufigeren Belästigungen und Beschimpfungen. Außerdem sei niemand mehr da, der die religiösen Zeremonien leiten oder die Kinder unterrichten könnte.
Zudem gefiel den jemenitischen Behörden offenbar ganz und gar nicht, dass die wertvolle Torarolle – mit der sich auch Regierungschef Benjamin Netanjahu ablichten ließ – aus dem Land geschmuggelt wurde. »Nachdem die Bilder aufgetaucht sind, haben uns die Leute hier auf einmal wahrgenommen«, erzählte ein Verbliebener anonym. »Und jetzt beschuldigen sie uns des Verrats am Jemen. Wir können hier nicht mehr leben.«
Angeblich wurden zwei Flughafenmitarbeiter festgenommen, denen vorgeworfen wird, bei der Ausfuhr der wertvollen Rolle geholfen zu haben. Zeitweilig hieß es auch, dass zwei verbliebene Mitglieder der jüdischen Gemeinde im Gefängnis sind. Doch Gemeindevertreter erklärten, dass dies ein Gerücht sei und nicht der Wahrheit entspreche. Was wirklich geschah, ist unklar.