Westjordanland

Die Pläne der Terroristen

Palästinenser auf dem Weg zum Begräbnis von Muhammad Saban in Jenin Foto: Flash90

Jaffa, früher Nachmittag, am geschäftigen Uhrenturm, vor einigen Tagen. Israelis und Touristen laufen die Straßen entlang, kehren in die Lokale ein, sehen sich die Sehenswürdigkeiten an.

Und mittendrin ein junger Palästinenser mit schwerem Rucksack. Er verhält sich merkwürdig. Polizisten, die gerade am Uhrenturm sind, werden auf ihn aufmerksam. Sie stellen ihn. In der Tasche hat der Mann aus dem Westjordanland ein Gewehr. Er habe, gibt er später zu, so viele Juden wie möglich töten wollen.

schin bet Kein Einzelfall. Allein in diesem Jahr hat der Inlandsgeheimdienst Schin Bet 312 »bedeutende« Terroranschläge vereitelt. Das sind mehr als einer pro Tag. Diese Zahl nannte jetzt Schin-Bet-Chef Ronen Bar. Man habe die Pläne der Terroristen durchkreuzen können, da das israelische Militär die Operationen im Westjordanland unter seiner Leitung verstärkt habe.

»Wir haben 312 maßgebliche Terroranschläge, Messerstechereien, Schießereien, Selbstmordanschläge vereitelt und 2110 Verhaftungen vorgenommen«, so Bar auf einer Anti-Terrorismus-Konferenz an der Reichman-Universität in Herzliya.

Gleichzeitig führte er die »massive Zunahme von bewaffneten Angriffen auf Truppen und Zivilisten« in dem Palästinensergebiet an, bisher 130 in diesem Jahr, verglichen mit 98 im Jahr 2021 und 19 im Jahr davor. Zudem stelle die Volksverhetzung im Internet ein »neues Schlachtfeld« für die Sicherheitsorganisationen dar: »Die Algorithmen studieren die Menschen jeden Tag besser und können Wut- und Gewaltgefühle erkennen. Der Staat und die Öffentlichkeit, insbesondere die Jugend, sind dem vollständig ausgesetzt.« Man verzeichne heute vor allem »Täter im Alter von 14 bis 20 Jahren«.

generation Dies sei eine Generation ohne Führung, sagte Bar. Die Terrororganisationen würden das Potenzial dieses »Terrors der Inspiration« erkennen, gnadenlos ausnutzen und ihre Agenda vorantreiben, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen. Den Erkenntnissen der Behörde zufolge würden der extremistische Diskurs und die Instabilität in Israel »die Länder auf der Achse des Bösen und die Terrorgruppen« weiter fördern.

Bar meint zwar, Israel müsse seine Aktivitäten im Westjordanland verstärken, räumt jedoch ein, dass bei derartigen Militäroperationen unschuldige Palästinenser geschädigt würden, während das Ansehen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unter der lokalen Bevölkerung weiter abnehme. Um die Spannungen zu beruhigen, müssten die Sicherheitsdienste der PA gestärkt werden, betont er. »Die palästinensische Öffentlichkeit will das auch. Aber es gehören zwei zum Tango.«

Ein Anschlag, der nicht vereitelt werden konnte, geschah in der Nacht zum Mittwoch. Ein IDF-Offizier wurde bei einem Schusswechsel mit zwei palästinensischen Angreifern in der Nähe der Sicherheitsbarriere im Westjordanland getötet, teilte das Militär mit. Armee und Schin Bet untersuchen, ob die Palästinenser zu derselben Terrorzelle gehörten, die am Vortag das Feuer auf ein Fahrzeug des Verteidigungsministeriums an der Sicherheitsbarriere eröffnet hatte. In Hinblick auf die nahenden Hohen Feiertage ist die Armee in höchster Alarmbereitschaft.

Allein in diesem Jahr hat der Schin Bet 312 »bedeutende« Terroranschläge vereitelt.

In der vergangenen Woche hatte auch Stabschef Aviv Kochavi die Zunahme der Angriffe im Westjordanland auf die »mangelnde Regierungsführung« der palästinensischen Sicherheitskräfte in Teilen des Gebietes zurückgeführt, was seiner Meinung nach zu einem »fruchtbaren Boden für das Wachstum von Terrorismus« führe. Nach Angaben von israelischen Regierungsbehörden erwäge Jerusalem neue Maßnahmen, um die PA im Kampf gegen Sicherheitsbedrohungen zu stützen.

Zudem hat sich die palästinensische Wirtschaft noch nicht von der Covid-Pandemie erholt. Die Berichte des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank betonen die düstere Haushaltslage der PA. Während die jährlichen Ausgaben in den vergangenen fünf Jahren mit rund 5,3 Milliarden Euro recht konstant blieben, gingen die Einnahmen von fünf Milliarden Euro im Jahr 2016 auf rund vier Milliarden 2020 zurück.

Wirtschaft Militärische wie politische Experten erkennen einen Zusammenhang zwischen dem Zustand der palästinensischen Wirtschaft und dem Grad der Spannungen in den Gebieten. Daher erwäge die Regierung, die bisher geleistete Wirtschaftshilfe für die PA zu verstärken. Zum einen sollen womöglich mehr Palästinenser in Israel arbeiten dürfen, zum anderen könnten direkte Finanzhilfen für die palästinensische Führung über verschiedene Kanäle erhöht werden.

Premier Yair Lapid sagte, dass man sich an Orten, wo es ruhig sei, bemühen werde, ein normales Leben zu ermöglichen und die palästinensische Wirtschaft zu fördern. »Gleichzeitig wird Israel erwägen, die Zahl der Arbeiter, die den Gazastreifen verlassen dürfen, auf bis zu 20.000 zu erhöhen.«

Zudem habe Jerusalem Katar gebeten, den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas unter Druck zu setzen, damit er seinen Sicherheitskräften befehle, ihre Aktivitäten gegen militante Palästinenser im Westjordanland, insbesondere in Jenin und Nablus, zu verstärken. Angeblich würden auch andere Länder eingebunden, um einer möglichen begrenzten israelischen Militäroperation im Westjordanland in naher Zukunft zuvorzukommen.

jordantal Vor zwei Wochen waren bei einem palästinensischen Terroranschlag auf einen Bus mit Soldaten im Jordantal sieben Soldaten durch Schüsse verletzt worden. Anfang dieses Jahres kamen 19 Israelis bei mehreren Terroranschlägen in verschiedenen israelischen Städten ums Leben.

Immer öfter hört man dieser Tage in Israel das Wort »Intifada«. Steht tatsächlich ein dritter Palästinenseraufstand bevor? Amir Avivi, Gründer des Israelischen Verteidigungs- und Sicherheitsforums (IDSF), sieht beim Terror im Westjordanland eine Beteiligung von Hamas und dem Iran.

»Deren Strategie ist momentan der Einsatz von Terrorzellen im Westjordanland. Sie wollen Gaza stabilisieren, um die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung zu verbessern, und währenddessen wieder aufrüsten. Hamas und der Islamische Dschihad haben starke Verluste einstecken müssen. Der Iran hat bestätigt, dass er sich auf das Westjordanland konzentrieren will.«

zellen Eine neue Intifada sieht Avivi im gegenwärtigen Anstieg des Terrorismus nicht. »Es ist nicht die allgemeine Bevölkerung, die hinausgehen und demonstrieren will. Es handelt sich um finanzierte Zellen, die von Terrorgruppen organisiert sind. Eine Intifada aber ist etwas anderes, sie beginnt in großen Teilen der Gesellschaft.«

Allerdings sei die PA ein wesentlicher Teil des Problems. »Sie wiegeln die Bevölkerung gegen Israelis und gegen Juden auf. Die Atmosphäre, die sie kreieren, ermutigt zu Terroranschlägen. Die Behörde verliert mehr und mehr die Kontrolle. So fühlen sich der Iran und Co. zusehends bestärkt, sich im Westjordanland einzumischen.«

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