Ofer Kalderon hat mit seiner fröhlichen Art die Herzen der Menschen gewonnen. Die einstige Geisel, die am Samstag aus der Gewalt der Hamas in Gaza freikam, wirkte nach seiner Rückkehr nach Israel aufgeschlossen und fröhlich. Doch die optimistischen Bilder würden trügen, warnen Angehörige.
Ofer Kalderon traf seine vier Kinder im Krankenhaus, in das er mit einem Armeehelikopter geflogen worden war. »Aba, Aba«, riefen die unter Freudentränen und schlossen ihren Vater alle zusammen fest in die Arme. »Der Busch, in dem wir uns versteckt haben, war wohl nicht so gut. Sie haben uns gefunden«, scherzte der 54-Jährige in Anspielung an das Kidnapping durch Hamas-Terroristen zum schallenden Gelächter seiner Kinder. Die unermessliche Freude und Erleichterung über die Rückkehr ihres Vaters war offensichtlich.
Als sein Bruder Nissim ihn umarmte und ihm sagte, dass er ihn nie wieder gehen lassen werde und ihn liebe, antwortete Ofer auch hier mit einem zwinkernden Auge: »Und ich musste erst bis nach Gaza gehen, damit du mir das sagst?«
Die befreiten Geiseln freuen sich auf Bier und Bamba
Kurz zuvor war der Israeli gemeinsam mit Yarden Bibas nach einer inszenierten Übergabe der Hamas ans Rote Kreuz und dann an die israelische Armee übergeben worden. Als er die Soldaten traf, habe er nach einem Bier gefragt. Die allerdings antworteten, dass er lieber etwas abwarten solle, denn er sei sehr schwach. Auch Bibas habe gesagt, dass er sich auf »Bier und Bamba«, einen bekannten israelischen Erdnuss-Snack, freue.
Auf dem Weg vom Helikopter ins Krankenhaus mit einem Bus bat Kalderon den Fahrer anzuhalten, nachdem er eine Gruppe von Freunden am Straßenrand gesehen hatte, mit denen er regelmäßig Fahrradtouren unternommen hatte. Er stieg aus, lachte, winkte ihnen zu und schlug sich immer wieder aufs Herz, als sie ihm zuriefen, wie gut es sei, ihn endlich wiederzusehen.
Doch Angehörige geben zu bedenken, dass diese ersten überschwänglichen Bilder auch trügen. Kalderon wurde mit seinen beiden jüngsten Kindern, Sahar (16) und Erez (13) aus seinem Kibbuz Nir Oz entführt. Die Kinder wurden während des Geiselbefreiungsabkommens im November 2023 nach Hause entlassen. Seine Ex-Frau Hadas und sein älterer Sohn Rotem überlebten in einem Sicherheitsraum, die ältere Tochter Gaya war in Tel Aviv. Doch Kalderon habe erst vor wenigen Wochen erfahren, dass Rotem noch am Leben ist.
»Es ist unfassbar, was er dort durchgemacht hat, aber zumindest war er gestern in einem sehr guten Zustand.«
»Er war in der Gefangenschaft in schrecklicher Ungewissheit und erfuhr erst vor einigen Wochen, als er Radio hörte, dass Rotem am Leben ist«, berichtete sein Cousin Eyal Kalderon. »Es ist unfassbar, was er dort durchgemacht hat, aber zumindest war er gestern in einem sehr guten Zustand.«
»Es liegt ein langer Weg vor ihm, die Rehabilitation wird langwierig sein und Höhen und Tiefen haben. Es ist wichtig, dass die Leute wissen, dass die Bilder von gestern irreführend sind und nicht widerspiegeln, was Ofer durchgemacht hat. Die Gefangenschaft war alles andere als ein Zuckerschlecken.« Aber er werde an Kraft gewinnen, vor allem durch seine Kinder, ist der Cousin sicher, »und langsam begreifen, was er in dieser langen Zeit alles durchgemacht hat«.
Ein ähnlich schreckliches Schicksal erlitt Keith Siegel. Der 65-Jährige war ebenfalls am Samstagmorgen, allerdings allein im Süden von Gaza, freigelassen worden. Auch er habe erst aus dem Radio erfahren, dass sein Sohn Shai lebt. Er hatte zuvor angenommen, er sei bei dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 ermordet worden. »Und dann hörte er seine Stimme im Radio«, erzählten Angehörige von Keith Siegel später.
Keith Siegel berichtet über extremen Hunger
Siegel sei die gesamte Zeit in Gaza-Stadt festgehalten und häufig zwischen Häusern und Tunneln hin- und hertransportiert worden. Terroristen sperrten ihn in abgetrennte Räume, um zu verhindern, dass er gefunden würde, falls jemand eindrang. Er beschrieb extremen Hunger und sagte, dass er, obwohl er Vegetarier ist, manchmal Fleisch essen musste, um überhaupt Nahrung zu sich zu nehmen. Seine letzte Mahlzeit habe er volle 24 Stunden vor seiner Freilassung erhalten. Er leidet an starkem Untergewicht.
Auch Yarden Bibas wurde entlassen, während seine Frau Shiri und die beiden Kleinkinder Ariel und Kfir weiterhin in Gaza sind. Obwohl Israel mehrfach von der Hamas forderte, Details über ihr Schicksal zu veröffentlichen, ist noch immer nichts Genaues bekannt. Die IDF gab am vergangenen Wochenende an, es bestehe »äußerste Sorge um ihr Wohlbefinden«.
Bibas und Kalderon seien in den ersten Tagen ihrer Geiselhaft in unterirdischen Käfigen festgehalten und mehrfach geschlagen worden, berichteten sie ihren Familien über die Grausamkeiten der Hamas. Terroristen hätten Yarden Bibas zudem psychologisch gequält, indem sie »unentwegt über Shiri und seine Kinder gesprochen hätten«.
Die Terroristen quälten Yarden Bibas, indem sie »unentwegt über Shiri und seine Kinder gesprochen hätten«.
Viele befreite Geiseln bestätigten, dass sie besondere Kraft durch Mitgeiseln geschöpft hätten. So berichtete Jimmy Pacheco, ein thailändischer Betreuer eines Israelis, der am 7. Oktober ermordet wurde, dass er »eine sehr enge Bindung zu Yarden und Ofer entwickelt« habe, als sie zusammen in den unterirdischen Terrortunneln der Hamas festgehalten wurden.
»Wenn ich weinte, trösteten sie mich und versicherten mir, dass die israelische Regierung helfen würde. Wir sangen zusammen, wir lachten, und ich brachte Yarden sogar meine Sprache bei«, sagte er in einem Interview im Armeeradio Galgalatz. Pacheco war im November 2023 freigekommen.
Am Mittwoch ließ die Hamas auch fünf thailändische Geiseln frei, nachdem sie offenbar auf einen Deal mit der Regierung des ostasiatischen Landes eingegangen war. Thenna Pongsak, Sathian Suwannakham, Sriaoun Watchara, Seathao Bannawat und Rumnao Surasak waren aus südlichen israelischen Kibbuzim verschleppt worden.
Einen Tag darauf traf sich Innenminister Mosche Arbel mit Thailands Außenminister Maris Sangiampongsa in Jerusalem und teilte ihm mit, dass den fünf Männern eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis in Israel »aus humanitären Gründen« gewährt wird, hieß es in einer Erklärung aus Arbels Büro. Sangiampongsa traf sich auch mit Präsident Isaac Herzog im Beit Hanasi.
Übergabe von Geiseln alle sieben Tage
Israelische Geheimdienstinformationen gehen davon aus, dass ein weiterer thailändischer Staatsbürger, Pinta Nattapong, noch lebend in Gaza ist. Zwei weitere, Sudthisak Rinthalak und Sonthaya Oakkharasri, wurden von Israel für tot erklärt, ihre Leichen werden von der Hamas festgehalten.
Die Übergaben von Verschleppten im Rahmen dieses zweiten Waffenstillstands- und Geiselbefreiungsabkommens sollen im Abstand von sieben Tagen stattfinden. In der kommenden Woche werden wieder drei lebende israelische Männer erwartet. Wenn alle 33 Geiseln der ersten Phase zurück in Israel sind – acht von ihnen sollen tot sein –, werden die weiteren 64 Geiseln erst dann freigelassen, wenn sich beide Seiten auf eine zweite Phase des Waffenstillstands einigen können.