Noa holt aus. Sie streckt den Arm seitlich nach hinten, dann schleudert sie den Ball mit voller Kraft über das Netz. Auf der anderen Seite des Feldes fängt die Gegenspielerin den Ball mit beiden Händen – und wirft ihn sofort beidhändig zu einer Mitspielerin. Das Spiel geht weiter.
Was aussieht wie grobe Regelverstöße im Volleyball, ist in Wirklichkeit eine andere Sportart: Cachibol. Genauer gesagt, ist das hier Mamanet, eine spezielle Liga in der Sportart Cachibol, bei der nur Mütter ab 30 Jahren spielen, in verschiedenen Teams, sortiert nach den Schulen ihrer Kinder.
Das Feld hat die gleiche Größe wie im Volleyball, auch die Netze hängen auf einer Höhe von 2,24 Meter. Pro Team stehen sechs Spielerinnen auf dem Feld. Doch anstatt zu schmettern, zu pritschen und zu baggern, wird der Ball gefangen und muss innerhalb einer Sekunde wieder weitergeworfen werden, mit beiden Händen. Leichter als Volleyball ist Cachibol also, und damit auch etwas für Menschen, die vorher nicht viel mit Sport am Hut hatten.
Noa und die anderen Frauen in ihrem Team haben Söhne und Töchter in der Ramat-Hachayal-Schule im Norden Tel Avivs. In der Sporthalle dort trainieren die Frauen einmal wöchentlich für zwei Stunden, um sich auf Turniere wie das an diesem Abend vorzubereiten.
pilates Die Frauen von Ramat Hachayal tragen schwarze Trikots, Noas hat die Nummer fünf. Drei Spielfelder sind in der Halle hier in Ramat Aviv, dem Austragungsort des Turniers, aufgebaut. Auf der Tribüne sitzen ein paar Kinder und Väter. »Ramat Hachayal, Ramat Hachayal«, tönt es aus einer Ecke der Halle. Es sind drei Töchter von Noas Mitspielerinnen, die für Stimmung sorgen. Trainer Mariano Weitzman lobt die Mädchen: »Das macht ihr großartig, weiter so.«
Zwei Jungen im Grundschulalter, beides Söhne zweier Spielerinnen, sitzen am Spielfeldrand an einem Tisch und klappen die Schildchen um, die den Punktestand anzeigen. Ein Punkt ist gemacht, wenn der Ball im gegnerischen Feld auf dem Boden landet. 13 zu neun steht es bereits nach zehn Minuten für Noa und ihr Team, das heute gegen die Mannschaft aus Jaffa spielt.
Noch fünf Minuten bis zur Pause und zum Seitenwechsel. Neben dem Sport geht es den Frauen um Gemeinschaft. Denn eine Vereinskultur wie in Deutschland, wo von Kindesalter an jeder eine Sportart ausüben kann und Teil eines Teams ist, gibt es in Israel nicht. »Männer treffen sich zum Fußballspielen. Aber wir sind nur in Fitnessstudios gegangen, haben dort Pilates gemacht, sind gejoggt. Meistens waren wir alleine. Bei Mamanet spielen wir nun mit anderen Frauen, die in der Nähe wohnen – wir haben eine Gemeinschaft«, erklärt Idit Biton, eine der Spielerinnen aus Tel Aviv.
idee Genau das war das Ziel von Mamanet-Gründerin Ofra Abramovich, als sie die Liga 2005 ins Leben rief. »Die Grundidee ist: Jede Mutter kann bei Mamanet mitspielen, es ist egal, ob sie klein ist, wie ich, oder groß, oder wie auch immer sie aussieht, ob säkular, orthodox, Einwanderin oder Sportneuling.«
Noa, eine kleine, zierliche Frau mit rot-blonden, kurzen Haaren hat vorher kaum Sport gemacht. »Früher, als ich noch in der Schule war, habe ich mal Cachibol gespielt. Das ist lange her. Dann habe ich Mamanet im Fernsehen gesehen und habe Ofra und die anderen Frauen angerufen. Wir haben uns auf einen Kaffee getroffen und dann die Liga in Tel Aviv gegründet«, erzählt sie.
Das war vor fünf Jahren. In Noas Team spielen heute 15 Frauen, sie werden trainiert von Mariano Weitzman. »Selbst spiele ich eigentlich Fußball«, sagt er. »Aber ich habe von Mamanet gehört und fand es spannend.« Dann hat er einen Trainerkurs absolviert. »Er wird von Mal zu Mal besser«, lobt Noa. Ihr Team, das die Schule Ramat Hachayal vertritt, war das erste in der Tel Aviver Liga. Heute spielen in der gesamten Stadt 24 Teams, fünf neue sollen bald gegründet werden, erzählt Noa. Und in ganz Israel sind es bereits mehr als 10.000 Spielerinnen.
Der Bedarf nach einer Spielgemeinschaft für Mütter ist groß – auch in anderen Ländern. Heute gibt es Mamanet auch in den USA, in Kanada und auf Zypern, in Italien, Österreich und der Schweiz. Ofra Abramovich hat es sogar geschafft, Mamanet offiziell bei der »International Workers and Amateurs in Sports Confederation« (CIST) anerkennen zu lassen.
familie Für Mütter wie Noa oder ihre Freundin Idit Biton, die im Team der Schule »Haavat Zion« spielt, geht es neben dem Sport und der Gemeinschaft auch darum, endlich wieder etwas Eigenes zu haben. »Eine meiner Mitspielerinnen sagte mir einmal, Mamanet habe ihr Leben verändert. Ja, Frauen können heute alles schaffen, es gibt den Feminismus. Aber es sind doch meistens noch die Mütter, die abends zu Hause bleiben und auf die Kinder aufpassen. Mit Mamanet gehen auch sie nun wieder abends aus dem Haus.«
Doch einige Mütter haben an diesem Abend ihre Kinder zum Anfeuern mitgebracht. Immer mal wieder blicken sie in den Spielpausen in die Zuschauerränge. »Dürfen wir auf die oberste Tribüne gehen?«, ruft ein Junge in der Halbzeitpause seiner Mutter auf dem Spielfeld zu. »Ja, aber nimm deine kleine Schwester mit«, ruft sie zurück. Dann geht das Spiel weiter.
Auch Noa hat drei Kinder: eine 13-jährige Tochter und zwei Söhne im Alter von elf und sechs Jahren. Sie hat die drei aber daheim gelassen. »Mein Sohn will oft zum Training mit, aber ich ziehe es vor, alleine zu gehen und in Ruhe zu spielen«, sagt sie.
Ihre Freundin Idit Biton hat an diesem Abend ihre Tochter Rachel mitgebracht. Nach dem Spielende will sie nach Hause. Sie drängelt. Doch Idit will noch kurz erklären, warum Mamanet eben doch bedeutet, dass die Mütter hier etwas ganz für sich selbst tun: »Zum Training kommen wir allein, und wir lassen unsere Kinder für zwei Stunden zu Hause mit unseren Männern. Hier in den Teams entstehen Freundschaften, wir gehen danach manchmal essen oder Kaffee trinken. Und manchmal entstehen hier auch Geschäftskontakte.«
plattform In den Teams spielen Anwältinnen und Ärztinnen, Journalistinnen und Managerinnen. Noa arbeitet als Projektmanagerin in einem Softwareunternehmen, Idit ist Leiterin einer Marketingabteilung und zuständig für die Geschäftsentwicklung des Unternehmens.
Dass Idits Team an diesem Abend gewonnen hat, scheint ihr gar nicht so wichtig zu sein. »Ich weiß gar nicht, wie hoch der Punktestand am Ende war. Wir waren letzte Saison Meister und haben gegen ein neues Team gespielt. Es war klar, dass wir stärker sind«, sagt sie ganz nebenbei. Dann aber muss Idit los, die Tochter wartet.
Sport und Wettkampf sind jedoch nicht das Einzige, was Mamanet ausmacht, sagt Noa, deren Team an diesem Abend ebenfalls gewonnen hat. Die Spielerinnen haben in einem Frauenhaus volontiert und kochen und backen abwechselnd für soziale Projekte. »Mamanet ist auch eine Plattform für soziales Engagement«, betont sie. Und das mache den Erfolg der Liga aus.