Sudan

Die kleinste Gemeinde der Region

Tochter sudanesischer Juden: Daisy Abboudi Foto: privat

Die Historikerin Daisy Abboudi hofft, dass der Normalisierungsprozess zwischen Israel und dem Sudan dazu führen wird, dass Mitglieder der ehemaligen jüdischen Gemeinde im Sudan und ihre Nachkommen Gelegenheit bekommen werden, das Land zu besuchen.

Abboudi wurde 1990 in London als Tochter sudanesischer Juden geboren. Seit einigen Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit der Geschichte ihrer Familie und der jüdischen Gemeinde Sudans, die bis zu ihrem Ende in den 70er-Jahren als eine der kleinsten Gemeinden im gesamten Nahen Osten galt. Auf ihrer Internetseite »Tales of Jewish Sudan« trägt Abboudi Interviews, Fotos und Kochrezepte zusammen. Schon bald will sie aus dem Material ein Buch machen.

recherchen »Anfang des Jahres hatte ich zum ersten Mal Gelegenheit, den Sudan zu besuchen«, erzählt Abboudi im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. »Das war eine wundervolle Erfahrung.« Abboudis Recherchen zufolge beginnt die Geschichte der jüdischen Community im Sudan Anfang des 20. Jahrhunderts.

Nachdem der Sudan 1904 unter ägyptisch-britische Verwaltung gestellt wurde, ließen sich sefardische Juden aus dem Osmanischen Reich in dem afrikanischen Land in der Hoffnung nieder, dort neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden. In den Städten entlang des Nils fanden viele rasch Arbeit als Händler und Geschäftsleute.

Nach 1930 ließen sich etliche jüdische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland im Sudan nieder.

Nach 1930 ließen sich etliche jüdische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland im Sudan nieder. Seit dieser Zeit bis in die Mitte der 50er-Jahre erlebte die jüdische Gemeinde ihren Höhepunkt. In dieser Zeit lebten nach Abboudis Informationen rund 250 jüdische Familien mit insgesamt 1000 Mitgliedern in dem Land, vor allem in den Großstädten Khartum, Omdurman und Wad Madani. In der Hauptstadt gab es eine große Synagoge, eine Mikwe, einen Friedhof und koschere Lebensmittelläden.

grosseltern Auch Abboudis Großeltern gehörten zu den 250 Familien. »Drei von ihnen wurden dort geboren«, erzählt sie. Die junge Frau hat herausgefunden, dass ihre Urgroßeltern aus dem Irak und aus Izmir in der heutigen Türkei in den Sudan gekommen waren.

Ihre Großeltern mütterlicherseits, Sara und Mayer Godsi, sind in Wad Madani geboren und wuchsen in der Hauptstadt Khartum auf. Ihre Großmutter verließ das Land 1949 mit zwölf Jahren, ihr Großvater mit 17. Beide wanderten nach Israel aus. Ihre Großmutter väterlicherseits, Juju, wurde in Ägypten geboren, wuchs aber im Sudan bei ihrer dort geborenen Mutter auf. Und Eliaho, Daisy Abboudis Großvater väterlicherseits, wurde im Sudan in Omdurman geboren. Dort lebte er zusammen mit seiner Frau Juju bis zu ihrer gemeinsamen Auswanderung nach Israel 1964.

Wie für Abboudis Großeltern endete für alle jüdisch-sudanesischen Familien mit der Alija das ihnen bis dahin vertraute Leben. Denn obwohl die Gemeindemitglieder die meiste Zeit gut in die sudanesische Gesellschaft integriert waren, änderte sich die Situation mit der Gründung Israels 1948 und noch schwerwiegender mit der Unabhängigkeit des Sudan 1956.

propaganda In der Folge nahmen antisemitische Propaganda und staatliche Verfolgung von Juden massiv zu. Ihren Höhepunkt erreichte die hasserfüllte Propaganda − die bis zu offenen Todesdrohungen gegen Gemeindemitglieder reichte − im Zuge des Sechstagekrieges 1967, in dem die sudanesische Regierung Partei für Nassers Ägypten ergriff.

Dass es durch den Friedensschluss mit Israel wieder eine jüdische Gemeinde im Sudan geben wird, glaubt Daisy Abboudi nicht.

»Jüdische Familien verließen den Sudan mit aller Hast, nahmen oft nur einen Koffer mit und kamen als Staatenlose nach Israel oder in die Schweiz«, erzählt Abboudi. Die letzten jüdischen Familien verließen den Sudan 1973, nachdem palästinensische Terroristen in Khartum mehrere Diplomaten ermordet hatten.

Die meisten Erinnerungen der sudanesischen Juden an ihre alte Heimat seien trotz alledem positiv, erzählt die Historikerin. Man erinnere sich an Gerüche, das Essen und insgesamt an ein friedliches Zusammenleben. »Wie die meisten Nachkommen dieser einzigartigen Gemeinschaft bin ich mit den Geschichten aus dem Sudan aufgewachsen – eingetaucht in die Kultur, das Essen und die Erinnerungen an einen Lebensstil, der so weit von meinem entfernt ist und sich dennoch so nah anfühlt«, wie sie sagt.

Dass es durch den Friedensschluss mit Israel wieder eine jüdische Gemeinde im Sudan geben wird, glaubt Abboudi nicht. »Die Juden, die einst im Sudan lebten, sind heute alle sehr alt, und ich bezweifle, dass jemand zurückkehren möchte, um dort zu leben«, sagt sie. »Aber ich bin sicher, dass viele das Land gern als Touristen besuchen würden.«

Naher Osten

So will Israel ohne die UNRWA im Gazastreifen helfen

Die Lage am Mittwochmorgen und ein Ausblick auf den Tag

 30.10.2024

Libanon

Acht UN-Soldaten bei Raketenbeschuss leicht verletzt

Die UN schreiben den Angriff der Hisbollah zu

 29.10.2024

Nahost

Junger Mann in Israel bei Raketenangriff aus dem Libanon getötet

Erneut feuert die Hisbollah eine Salve mit Dutzenden von Raketen auf den israelischen Norden ab. Ein direkter Treffer hat tödliche Folgen

 29.10.2024

Meinung

Problemfall UNRWA

Zu nahe an der Hamas – deshalb will Israel die Arbeit des Hilfswerks einschränken. Doch Alternativen zur Versorgung der Palästinenser fehlen

von Ralf Balke  29.10.2024

Flüchtlingshilfswerk

Knesset verbietet UNRWA-Aktivitäten in Israel

Die Hintergründe zur umstrittenen Entscheidung des israelischen Parlaments

von Sabine Brandes  29.10.2024

Aschkelon

Drohne aus dem Jemen bei israelischer Küstenstadt eingeschlagen

Flugkörper aus dem Libanon und dem Jemen dringen erneut auf israelisches Gebiet vor

 29.10.2024

Geiseln

Netanjahu dementiert Vorschlag für Geisel-Abkommen

Ein ägyptischer Vorschlag für einen Geiseldeal existiert wohl doch nicht

 29.10.2024

Nahost

Verhandlungen in Doha über neue Initiative für Gaza-Waffenruhe

In den kommenden Tagen werden die Gespräch in Doha fortgesetzt

 28.10.2024

Knesset

Ohne Kontrolle: Neues Gesetz soll Parteienverbote einfacher machen

In der kommenden Wintersitzung des israelischen Parlaments sind mehrere umstrittene Einbringungen geplant

von Sabine Brandes  28.10.2024