Die Lage an Israels Nordgrenze bleibt weiterhin angespannt. Obwohl die Region seit dem zweiten Libanonkrieg 2006 relativ ruhig geblieben ist, werden die Drohgebärden aus dem Nachbarland immer lauter. Inmitten des Säbelrasselns führten die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) erst kürzlich ein groß angelegtes Manöver durch. Nahe der sogenannten Blauen Linie sollte eine echte Kampfhandlung im Libanon nachgeahmt werden, die als Test für den Fall einer militärischen Eskalation mit der radikal-islamischen Terrororganisation Hisbollah galt.
Als diese dann Flugabwehrraketen auf eine israelische Drohne über dem Süden ihres Landes abfeuerte und der IDF-Geheimdienst auf die Bereitschaft der Hisbollah zu einer begrenzten Konfrontation mit Israel hingewiesen hatte, beendete die Armee ihre zweitägige Kriegssimulation, an der neben der Cyberabwehr auch Luftwaffe, Marine und zahlreiche Brigaden der Infanterie teilnahmen.
Die »Phantome der Berge« bestehen ausschließlich aus Reservesoldaten.
»Wieder einmal dreht sich das israelische Kaleidoskop im Nahen Osten,« sagt ein Offizier der »Alpinistim«, einer Spezialeinheit für den Gebirgskrieg. Der aus Sicherheitsgründen hier nur »Hauptmann Benjamin« Genannte patrouilliert mit seinen schwer bewaffneten Männern an der Grenze des Hermon-Berges.
Der nördlichste militärische Außenposten mit seinen fast 90 Kilometern grenzt an die feindlichen Staaten Syrien und Libanon. »Es sind alte Feinde im neuen Gewand«, erklärt der Zugführer. »Der Iran und seine Verbündeten glauben, das Mächtegleichgewicht im Nahen Osten verändern zu können, doch wir sind auf alles vorbereitet.«
SCHNEESTÜRME Diese äußerst empfindliche Nordgrenze ist ein kompliziertes Gelände, das wegen seiner extremen Temperaturen mit teilweise starken Schneestürmen zur Winterzeit nicht einfach zu verteidigen ist. Auf dem Hermon, dem höchsten Berg Israels, verfügt die IDF über einen stark befestigten Militärposten mit einem riesigen Komplex von Antennen, Türmen, Beobachtungsanlagen und elektronischer Überwachungsausrüstung.
Die »Phantome der Berge« setzen sich aus Spezialeinheiten der Infanterie zusammen und bestehen ausschließlich aus Reservesoldaten, die für den Gebirgskrieg bestens geschult wurden. Selbst für Kommandomissionen hinter den feindlichen Linien werden sie eingesetzt. »Aufgrund des kurzen Winters in Israel trainieren wir auch bei befreundeten Streitkräften, etwa in Nordamerika und Europa«, erzählt Benjamin.
Über mehrere Wochen werden die Soldaten in verschiedenen Bereichen ausgebildet. Schwerpunkte sind Aktivitäten im Schnee wie Überlebenstraining, einschließlich Navigation, Tarnung, Klettern, medizinisches Training, Skifahren sowie Schießen und Kämpfen unter schwierigen Bedingungen.
SNOWCATS Zur Ausrüstung gehören neben Sturm-, Scharfschützen- und Maschinengewehren auch Ski, Snowcats und Winter-Jetski. Manche fahren sogar mit einer schweren Schneeräummaschine, um die Soldaten zu transportieren.
»Prinzipiell geht es darum, die zugeschneite Grenze zu schützen«, erklärt Benjamin. »Unsere Truppen wissen, wie man auf felsigem und schneebedecktem Gelände arbeitet. Der Feind ist damit bestens vertraut, und deshalb achten wir darauf, dort zu agieren, wo der Gegner glaubt, uns überraschen zu können.«
Die Eliteeinheit wurde gegründet, um die empfindliche Nordostflanke vor einem Angriff der angrenzenden Staaten zu schützen.
Die Eliteeinheit wurde gegründet, um die empfindliche Nordostflanke vor einem Angriff der angrenzenden Staaten zu schützen. Während des Jom-Kippur-Kriegs im Oktober 1973, als Israel von Syrien und Ägypten – mithilfe zahlreicher Einheiten aus weiteren arabischen Ländern – überrascht wurde, fiel der israelische Teil des Hermon-Berges in den ersten Tagen an die heranrückenden syrischen Truppen. Unter schweren Verlusten konnten IDF-Einheiten den Gipfel am letzten Tag des Krieges komplett zurückerobern.
HERMON Während des groß angelegten Manövers besuchte Präsident Reuven Rivlin deren Militärbasis auf dem Hermon und kam mit verschiedenen Kommandeuren des Nordkommandos sowie der Alpinistim zusammen. Diese führten ihn zu Militärposten am Bergmassiv und erklärten ihm die aktuelle Sicherheitslage an der Nordgrenze.
Per Snowcat gelangte er auf den knapp 2000 Meter hohen Gipfel, und bei klarem Blick auf das nur 35 Kilometer entfernte Damaskus bedankte er sich bei den Gebirgskämpfern. »Der Hermon ist nicht das ganze Jahr über schneebedeckt, aber unsere Bedrohungen sind ständig präsent«, sagte Rivlin. »Wir müssen auf jedes Szenario vorbereitet sein und unsere Grenzen bei jedem Wetter schützen.«
Mehrmals erwähnte der Präsident die Wachsamkeit der Armee und sprach von der Wichtigkeit, jede Überraschung vorherzusehen, um die Sicherheit Israels zu gewährleisten. »Ihr, die Hüter der Berge, seid für diesen sensiblen Punkt am Dreiländereck verantwortlich und garantiert die Sicherheit des schneebedeckten Hermon.«
»Wir müssen unsere Grenzen bei jedem Wetter schützen.«
Präsident Reuven Rivlin
Als verlängerter Arm des Erzfeindes Iran bleibt die Hisbollah für Israel die größte Bedrohung in der Region. Die »Partei Gottes« wurde 1985, drei Jahre nach der israelischen Invasion des Libanon, als der Bürgerkrieg dort seinen Höhepunkt erreichte, mit iranischer Hilfe gegründet. Bis heute unterstützt Teheran die Miliz. Darüber hinaus finanziert sich die Organisation über ein weltweites Netzwerk mit Drogenhandel und Geldwäsche. Mit schätzungsweise 150.000 Raketen kann die Hisbollah mittlerweile jeden Ort des jüdischen Staates erreichen.
KAMPFZONE Durch ihre Intervention im syrischen Bürgerkrieg erweiterte sich die Kampfzone der Schiitenmiliz, was zu wiederholten israelischen Angriffen auf Waffendepots und -kräfte der Gotteskrieger führte. Als im vergangenen Sommer ein Hisbollah-Agent in Syrien bei einem israelischen Luftangriff getötet wurde, drohte die Terrorgruppe mit massiver Vergeltung.
Seitdem sind die IDF-Truppen in höchster Alarmbereitschaft.
»Die Hisbollah ist der Stellvertreter Irans«, sagt Amit Caspi, Sicherheitsberater beim Verteidigungsministerium. »Das Ayatollah-Regime ist zur größten Sicherheitsherausforderung Israels geworden, dessen Vernichtung zu seiner Staatsdoktrin gehört.«
Teherans Bestrebungen nach Hegemonie im Nahen Osten manifestieren sich nicht nur in seinen militärischen Nuklearaktivitäten. Mittlerweile erstreckt sich sein militärischer Einfluss über viele Regionen des Nahen Ostens, darunter auch den Jemen, den Irak und den Gazastreifen mit der radikalen Palästinenserorganisation Hamas. »Die Mullahs haben auch ihr Arsenal an Präzisionsraketen verbessert«, erklärt der Sicherheitsexperte. »Diese Fähigkeiten exportieren sie teilweise an bewaffnete schiitische Fraktionen in der gesamten Region.«
SYRIEN Vor allem aber unterstützt der Iran das Regime des Diktators Baschar al-Assad in Damaskus mit seinen Truppen und strebt eine permanente militärische Präsenz in Syrien an – was Israel als Überschreitung einer roten Linie sieht. Um dem entgegenzuwirken, führt Israel einen sogenannten Krieg zwischen den Kriegen und greift seit 2017 regelmäßig iranische Militäranlagen und Waffenlieferungen in dem vom Bürgerkrieg gebeutelten Land an.
»Dank unserer fortschrittlichen Geheimdienstfähigkeiten ist es uns gelungen, Hunderte von Zielen auszuschalten und die regionale Überlegenheit Israels zu bewahren«, erklärt Caspi.
Als verlängerter Arm des Erzfeindes Iran bleibt die Hisbollah für Israel die größte Bedrohung.
Während des zweitägigen Manövers wurden solche Szenarien und weitere Militäroperationen mehrmals simuliert. »Die Übung diente auch dazu, die Lehren aus den jüngsten Ereignissen an der libanesischen Grenze zu überprüfen«, erklärt Hauptmann Benjamin von den Alpinistim. »Auch wurden unsere offensiven Aktionen verbessert und die Zusammenarbeit aller Militäreinheiten perfektioniert.«
Der erfahrene Offizier, der schon im zweiten Libanonkrieg kämpfte, hofft auf keinen neuen Waffengang, weiß aber auch, dass viele Führer in der Region im blutigen Rausch ihrer Torheit marschieren. »In den vergangenen 100 Jahren bestand die Geschichte des Nahen Ostens aus Arroganz, Kontrollfantasien und dem Streben nach Macht, und so wird sich das israelische Kaleidoskop leider weiterdrehen.«